Wie lange noch?
Hiam Abu-Dayyeh
Wie
lange noch wird die Unterdrückung des palästinensischen Volkes
andauern?
Kann es passieren, das ein Wunder geschieht?
Kann es sein, das man eines Tages
aufsteht und man fühlt: ich bin frei?
Kann es sein, das kranke Menschen eines Tages befreit sind von ihren
Schmerzen?
Kann es sein, das die Grenzen, die
Checkpoints geöffnet werden?
Könnte es passieren, dass palästinensische Arbeiter normal zu ihrer
Arbeit in Jerusalem und Israel fahren, ohne Erlaubnis oder ohne
Schikane, ohne stundenlanges Warten an Straßensperren, ohne das ihr
Leben bedroht ist?
Wäre es möglich, das Familien, welche in
Bethlehem wohnen, ihre Familien in Ramallah oder Haifa oder Jaffa
oder ... treffen und sie sich sehen und besuchen können?
Diese Fragen werden mir jeden Tag aufs Neue gestellt von all den
Menschen, die zur Sozialstation kommen.
Beantwortet werden können sie, so glaube ich, wenn Jesus Christus
wiederkommt.
Mein Motto in dieser schwierigen
Situation ist: Wenn man in der Dunkelheit sitzt, muss man eine
kleine Kerze anzünden. Dieses sage ich jeden Tag als
Sozialarbeiterin und als Mensch zu den Leuten, die kommen.
Zu den Vätern, die mich in der
Diakonie-Sozialstation besuchen und die am Ende ihrer Kräfte sind,
keine Hoffnung mehr haben, keine Arbeit, kein Geld und die ihre
Kinder nicht mehr ernähren können.
Zu den Frauen, die krank sind und keine
Hoffnung mehr haben, um zu leben.
Diese kleine Hoffnung, die kleine
Kerze, die ich jeden Tag in meinem Herzen entzünde, gibt mir den
Mut, weiter für das Leben zu kämpfen, weiterzumachen und Hoffnung an
andere weiterzugeben.
Ich bin ganz sicher, dass Gott das
palästinensische Volk nie vergessen wird, denn wir sind seine
Kinder, er hat keine
Diskriminierung zwischen die Menschen getan, für ihn gibt es keinen
Unterschied zwischen Männern und Frauen, er schaut nicht auf unsere
Hautfarbe, schaut nicht, ob wir Christen, Muslime oder Juden sind.
Das palästinensische Volk kann nicht
mehr – es kocht unter sich.
Als Sozialarbeiterin in der
Evangelisch-Lutherischen Kirche Beit Jala spüre ich, dass wenn die
Lage so bleibt, Palästina ein großes Psychisches Krankenhaus sein
wird. Ich merke, wie wir miteinander reden, ohne Respekt
voreinander, ohne zuzuhören; ich weiß, das der Jugend jegliche
Lebensperspektive fehlt; ich sehe, wie Kinder mit Gewalt miteinander
spielen, wie Aggressionen in den Familien steigen, wie soziale
Probleme von Tag zu Tag mehr werden.
Wenn man in Palästina ist und unter
Menschen, Wenn man das alltägliche Leben erfährt, merkt man, das
dieses Volk Mauer steht auch auf unserem Land. Ihr könnt Euch das
nicht vorstellen, acht Meter hoch – was hinter der Mauer ist, können
wir nicht sehen. Nur die Checkpoints und Straßensperren, die
Soldaten und Panzer – dieses Leben führt zu immer mehr Gewalt und
Aggressionen und macht krank.
Dieses Volk ist krank, weil die
täglichen Erfahrungen es überfordern und gleichzeitig ist es ein
kluges Volk, das von niemandem geschätzt wird.
Dieses Volk wird nicht erkannt von der
Welt.
Viele
von Ihnen fragen mich: Was können wir tun, meine Antwort ist: zuerst
unsere Probleme verstehen, die Wahrheit wissen und sie zu sagen –
nur die Wahrheit. Den Mund aufmachen und es weitersagen, dann uns
besuchen hier in Palästina, in Beit Jala, denn wir brauchen Euch
hier. Wir sind hier ganz alleine, wie Menschen ohne Hirte.
Die wirtschaftliche, soziale, politische
Lage ist so schwierig, dass wir unsere Freunde brauchen, denen wir
unsere Probleme mitteilen können, die uns zuhören und über unsere
Kultur, unsere Geschäfte, unser normales Leben erfahren. Betlehem
lebt vom Tourismus – Sie können sich nicht vorstellen, wie viele
Familien ohne Arbeit sind, ohne oder mit nur sehr wenig Einkommen.
Durch Eure Besuche hier in Beit Jala,
in Abrahams Herberge und unserer Evangelischen Institution, in der
Umgebung ... wie sehr uns dieses freut und was das schenkt: Euer
Dasein bedeutet viel für uns alle. Könnt Ihr euch vorstellen, wie
sehr die Mitarbeiter, die mit Menschen arbeiten psychische Hilfe
brauchen oder eine Supervision? Wie gesagt, wir brauchen alle wieder
unseren Hirten Jesus Christus, der durch Eure soziale und
finanzielle Unterstützung Zeichen gibt.
Wir brauchen Eure Gebete mit uns, dass
Gott uns den Frieden zuerst in unsere Herzen schenkt und das er uns
fuer die Guete braucht und nicht fuer den Teufel.
Eure Hiam Abu-Dayyeh
Beit-Jala. 15.08.2004
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