Den Frieden treffen –
Verlorene Liebe zur Heimat - Gershon Baskin (Jerusalem
Post, 29.11.18) - In Haaretz op-ed schrieb Rami Livni, ein
junger israelischer politischer Aktivist eine starke
Verurteilung des Premierministers Benjamin Netanyahu. Seine
Worte waren hart, wie z.B.: „Was wir Netanyahu niemals
vergeben werden, ist, dass er - anscheinend mehr als alle
anderen Führer – Erfolg hatte, uns von unserer Liebe zur
Heimat zu entfernen. Wir werden unsere Heimat immer lieben,
ihm zum Trotz, aber wir bekennen ohne Angst vor der
Verwirrung, die er stiftet, indem er uns sauer nennt, dass
Israel zu lieben schwieriger geworden ist. Heimatliebe ist
kein Luxus. Wenn sie vorhanden ist, kann sie dem Leben
Geschmack geben – ihre Abwesenheit ist schmerzlich wie ein
Stumpf, sogar wenn er nach einer Weile das fehlende Glied
vermisst.
Diese Worte sind im
ursprünglichen Hebräisch voll von Poesie, aber sogar im
Englischen können sie das Gefühl des Schmerzes vermitteln,
den dieses Land darüber fühlt, was aus Israel heute in der
Ära Netanyahu geworden ist.
Netanyahu ist während
der letzten neun Jahre Israels Premierminister gewesen und
hat die rechtslastigen Regierungen mit einer klar
richtungweisenden Strategie geführt. Wir brauchen nicht zu
raten was er denkt, oder was er zu tun versucht. Er war klar
erfolgreich, Israel entsprechend seiner Weltsicht zu prägen.
Es ist ihm auch gelungen, eine definitive Mehrheit von
Israelis hinter sich persönlich zu entwickeln. Es ist nicht
ungewöhnlich in Demokratien, dass der Amtsträger eine starke
unterstützende Mehrheit zwischen den Wahlen hat. Im Falle
von Netanyahu scheint es mehr zu sein als nur die
Unterstützung der Massen. Hinter Netanyahu zu stehen und ihn
zu unterstützen hat sich in einen Kult verwandelt. Gegen
Netanyahu Position einzunehmen oder diese zu unterstützen
wurde durch den Kult und seine Anführer gesehen als gegen
Israel zu sein. Der Netanyahu-Kult hat starke Teilungen der
Gesellschaft mit sich gebracht, wobei eine immer größere
Zahl seiner Unterstützer darauf bestehen, dass jene von uns,
die gegen Netanyahu sind, ihre Berechtigung verloren haben –
sogar ihre berechtigte Kritik zu äußern. Netanyahu zu
kritisieren wurde gleichbedeutend mit gegen Israel zu sein.
Ich gebe zu, dass es
für mich heute schwierig ist, mich mit Israel zu
identifizieren, stolz auf Israel zu sein, Liebe für meine
Heimat zu empfinden. Es gibt ein starkes Gefühl, dass Israel
sich in die falsche Richtung bewegt und dass die Spaltung im
Land nicht zufällig ist, sondern von oben angestiftet und
dirigiert wird.. Es gibt mehrere Gründe für dieses Gefühl,
darunter:
·
Die Ermutigung zur Delegitimierung der
palästinensischen Bürger von Israel und der zunehmende
Rassismus und die Diskriminierung gegen sie.
·
Die kürzlichen Demonstrationen der
„Verpflichtung zur jüdischen Identität“ in Afula durch den
neuen Bürgermeister und Stadtrat dort würden in jeder
anderen Demokratie als klarer und marktschreierischer
Rassismus bezeichnet werden.
·
Es ist dies das direkte Ergebnis einer
Kampagne der Delegitimierung, die von Netanyahu während des
größten Teils der vergangenen Dekade geführt und
orchestriert wurde, die der Ausrufung des
„Nationalstaats-Gesetzes“ voranging und das Prinzip der
Gleichheit verwirft, wie es in Israels
Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben war.
·
Ständig entrechtet werden durch den
Premierminister und seine Verbündeten die Organisationen für
Menschenrechte und der Zivilgesellschaft, die sich für
Frieden und Koexistenz einsetzen.
·
Ständig sinkt durch Selbstzensur der freie
Ausdruck jener, die sich fürchten, ihre politische Meinung
frei auszudrücken – dazu gehören Journalisten,
Persönlichkeiten im Fernsehen, Künstler, Musiker und andere
in der Öffentlichkeit stehenden Leute.
·
Die Legitimation der Absperrung der Grenzen
Israels für jene, die die Positionen der Regierung ablehnen.
·
Die ständige Blockierung der Gesetzgebung oder
Versuche, das Verschwinden der demokratischen Rechte zu
rechtfertigen, die bis vor einigen Jahren für
selbstverständlich gehalten wurden.
·
Die signifikant wachsende Abkehr junger Juden
in der Diaspora von der Identifikation mit dem Staat Israel.
·
Die Abscheu, die Menschen rund um die Welt
gegenüber Israel hegen, nicht, weil sie Antisemiten sind –
die meisten von ihnen unterstützen Israels Existenzrecht –
sondern wegen Israels Politik und Aggression gegen das
palästinensische Volk.
·
Die Existenz und Dominanz einer Gratiszeitung
(?) „the Bibiton“ - Israel Heute -, die die Landkarte der
israelischen News-Medien verändert hat und die nur durch
einen amerikanischen Milliardär getragen wird, der moralisch
hinter einem weißen Supermacho, dem Präsidenten der
Vereinigten Staaten, und Israels extrem rechtslastigem
Premierminister steht.
Alle diese Beispiele haben ihre Wurzel in der nicht endenden
Besetzung und ständigen Verschanzung Israels in den
Gebieten, die es im Juni 1967 besetzt hat, einschließlich
der Entwicklung israelischer Siedlungen und den ständigen
Versuchen zur Entvölkerung Palästinas. Es gibt keine
Initiative, um einen Friedensprozess mit den Palästinensern
wieder aufzunehmen und da ist die ständige Entrechtung ihrer
Führer.
Israel unter Netanyahu steht einer existentiellen Realität
gegenüber, die es selbst so geschaffen hat. Die wirklichen
Bedrohungen Israels sind nicht Iran oder die Hisbollah,
Hamas oder der Islamische Dschihad. Die wirklichen
Bedrohungen sind nicht BDS oder der Antisemitismus des
Westens oder in der islamischen Welt. Die wirklichen
Bedrohungen für Israel kommen aus der Fehlentwicklung, dass
es keine definierten Grenzen im Osten gibt, wodurch die es
Millionen Palästinenser ohne Staatsbürgerschaft und ohne
Demokratie unter Israels Militärkontrolle gibt, mehr als 1 ½
Millionen arabischer israelischer Staatsbürger, die sich
zunehmend fremd fühlen in ihrem Staat, und steigende Zahlen
israelisch-jüdischer Staatsbürger – wie mich – die sich
selbst dazu gestoßen fühlen, uns von unserer Heimat zu
entfernen.
Netanyahu ist schlecht für Israel. Er ist nicht der Mister
Sicherheit. Er hält Israel nicht sicher. Er macht Israel
nicht groß. Netanyahu reißt Israel auseinander, und es ist
Zeit für Israel, von der Trennung abzulassen, die er
gefördert hat. Wahlen gibt es 2019. Netanyahu muss fallen
und wir müssen voranschreiten, das Land zu heilen und
Brücken zu bauen zwischen den Menschen, im Land - und
zwischen diesem Land und dem Rest der Welt.
Der Autor ist politisch und sozial freiberuflich tätig und
hat sein Leben dem Staat Israel gewidmet und dem Frieden
zwischen Israel und seinen Nachbarn. Sein neuestes Buch „Dem
Frieden in Israel und Palästina folgen“ wurde bei Vanderbilt
University Press aufgelegt.
Quelle
(Übers.:
Gerhilde Merz) |