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Deutscher Emil Zola gewünscht.
Reuven Moskovitz im November 04

 

 

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Reuven Moskovitz



Liebe Israel- und Palästina-Interessierte,

ich schreibe diese Zeilen in einer Stimmung, die Zorn und Verzweiflung ganz nahe kommt. Nun bin ich in einem Zustand vom Propheten Jona, der nicht an seinem Auftrag Gottes – die Menschen von Ninive zu mahnen - glaubte. Trotz seines Unglaubens taten die Menschen von Ninive doch Buße, und Gott ließ sein Erbarmen gelten. Ich bin kein Prophet sondern ein alt gewordener Mensch am Ende der achtziger Jahre, der das ganze Unheil des 20. Jahrhunderts und die ersten Jahre des 21 Jahrhunderts erlebte. Ich kann nicht glauben, dass unter den Umständen, welche hier in Israel/Palästina herrschen, so ein Wunder wie in Nineve passieren würde.

Geboren in einer jüdisch-orthodoxen Familie, oft heimgesucht von Armut, Verfolgung, Vertreibung und die schreckliche Shoah überlebt habend, glaubte ich als Kind an Gott und betete für Gottes Gesundheit. Ich habe mit Inbrunst an das geglaubt, was meine Eltern und meine religiöse Erziehung, die schon mit 4 Jahren anfing, lehrten. Da kamen die Ereignisse, die zu der schrecklichen Shoah führten – eine Shoah die das Überlebensrecht der Juden in Frage stellte. Kurz nach meiner frühzeitigen Einschulung, 1933, hörte ich erschreckende Gespräche über einen Adolf Hitler und ein Deutschland, was die meisten Juden verehrten, das das jüdische Volk vernichten will. Die Gebete unserer kleinen jüdischen Gemeinde, meiner Eltern und Verwandten haben nicht im Geringsten geholfen. Man hat gehofft, es wurde gefastet, Almosen für arme Menschen wurden gesammelt, man war sicher, dass das von den meisten Menschen bewunderte Volk, Deutschland, einen Schurken wie Adolf Hitler nicht langfristig dulden würde. Nichts außer Vertreibung, Demütigungen und Hoffnungslosigkeit haben meine ersten Lebensjahre gekennzeichnet. Da kam die unerwartete Befreiung. Der Glaube an die Heilige Schrift, die Gebete, die feste Sicherheit, dass die Niederlage Deutschlands ein Gottes-Urteil ist, sind unter einer faszinierenden Welle von Glauben an Vernunft, Gerechtigkeit und Frieden untergegangen. Diese Werte haben als Ziel, die Welt zu befreien. Außer der Liebe zu Menschen und zum Leben war für mich nichts wichtiger zu glauben, dass nicht Gott, sondern der Mensch beauftragt ist, eine Welt zu schaffen, die frei ist von Not, Hunger, Hass, Verfolgung und zerstörerische Kriege ist.

Seit 40 Jahren schien es mir, dass ich weiß, wen ich meine, wenn ich "Liebe Freundinnen und Freunde" schreibe. Unter jetzigen Umständen, weiß ich genau, wer noch die Freunde sind, nur weiß ich nicht, ob alle Hunderte und Tausende Deutsche, die ich als Freunde bezeichnete, noch immer die Freunde der Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung sind. Eine Mehrheit des deutschen Volkes scheint mit einer fast unheilbare Krankheit kontaminiert zu sein, die ich - "das Kind mit Falten" - unfähig bin, zu einer Heilung beizutragen.

Ich war unter den ersten Überlebenden und Verfolgten, die gewagt haben, über ein "Deutschland, das ich liebe" zu schreiben. Ich liebe noch immer das Deutschland, egal wie zahlreich diejenigen sind, die wahrhaftig der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Versöhnung, dienen. Leider sind die meisten durch das Trauma, als Antisemiten verunglimpft zu werden, gelähmt.

Nach der schrecklichen Vergangenheit darf sich das gegenwärtige Deutschland auf keinen Fall leisten, die Hände in Unschuld unter dem Schirm der Staatsraison zu waschen. Wir Juden sind nicht die einzigen Opfer des NS Regimes, und das einzige noch leidende Opfer von dieser Vergangenheit sind die Palästinenser, denen der Begriff, Nakba (Vertreibung), von Deutschland verweigert wird.

In meinen zahlreichen Briefen, in meinem ersten und zweiten Buch, habe ich unermüdlich vor der unkritischen Solidarität mit einem Staat gemahnt, der sich alles andere als demokratisch und humanistisch entwickelt hat. Im Grunde meines Herzens muss ich wiederholt aufschreien, das dieser Staat zu einem Schurkenstaat geworden ist, zu einem Sodom und Gomorrha, auch wenn es noch Gerechte gibt die leider nicht mehr als ein Zehntel der Bevölkerung Israels ausmachen. Die Demagogie, die Herzlosigkeit, die Kriegslust, die Habgier, der Fremdenhass und hauptsächlich der Anders-Denkenden-Hass haben erschreckende Dimensionen erreicht. In Israel exekutiert man Palästinenser, egal, ob Kinder oder Erwachsene, mit der Leichtfertigkeit mit welcher man mit Tollwut infizierte Tiere tötet. Ich bin mir bewusst, wie viel Wut ich mit diesem Ausdruck erwecke, und dennoch ist es die pure alltägliche Wirklichkeit. Mit hochgezogener Augenbraue haben viele meiner Freunde und Bekannte in meinem ersten Buch gelesen, dass vor und seit der Staatsgründung Juden von palästinensischen Widerständlern grausam ermordet wurden. Palästinensische Widerständler - auch wenn die Art des Widerstands nicht akzeptabel ist - werden entweder 'erlegt, vernichtet' und seit der Messer-Intifada 'neutralisiert' (das sind nicht die einzigen Adjektive die von der mit der Regierung gleichgeschalteter Presse verwendet werden).

Schon am Anfang der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, hat Erich Fried in seinem Gedicht "In der Sprache der Alten" zitiert: (Auszug)
 

Komm Volk Israels! erhebe dich aus deinem Unrecht!

Lass ab von dem was dich zum Gespött macht der Völker!

Auch die noch freundlich tun um ihres Vorteils willen dir ins Gesicht

die rümpfen schon die Nase und spotten hinter dir her wenn du den Kopf abwendest:

"Da habt ihr das Volk der Bibel! so rachsüchtig und so gierig wie nur irgendein Volk in der weiten blutigen Welt! ...

 

Wie ist es dazu gekommen, frage ich mich, dass Deutschland mit einer der schrecklichsten Vergangenheiten, vom Terror spricht, nur wenn es um palästinensischen Terror geht.

Terror ist Terror ist Terror - Selbst Netanjahu spricht vom jüdischen Terror. Haben sich die zahlreichen Deutschen gefragt, was der Unterschied ist, wenn Palästinenser unschuldige Juden und Juden unschuldige Palästinenser ermorden? Haben sich alle umgebrachte Palästinenser in Gaza mit Terror schuldig gemacht? Nur im letzten sinnlosen Gaza Krieg sind Tausende Palästinenser umgebracht worden, über 2000 Erwachsene und knapp 700 Kinder. Für palästinensischen Terror, auch wenn er von Steine werfenden Kindern ausgeübt wird, zerstört man die Häuser der ganzen Familien. Ist jemand fähig von einem jüdisch-israelischen Haus eines Terroristen zu sprechen, das zerstört wurde? Wie kann man diese Untaten nachvollziehen? Was ist wichtiger als die Heimat, was ist schlimmer als Menschen, die von den Häusern geräumt werden und zuschauen müssen, wie Hab und Gut zerstört werden? Die menschliche Geschichte ist voller Kriege mit angeblichen Siegen und mit schrecklichen Niederlagen. Kaum aber passierte es in der Geschichte, dass ein besiegtes Volk das Recht verliert, frei eine Heimat zu haben.
Der Arzt Baruch Goldstein hat 29 Palästinenser in der Moschee der Väter und Mütter in Hebron 'erlegt'. Hat man etwa das Haus von Baruch Goldstein zerstört? Was ist mehr Terror als diese Untat, die nicht die einzige in der schrecklichen Geschichte des Konfliktes zwischen Juden und Palästinensern ist, die eigentlich - nach der Bibel - Geschwistervölker sind.

Mit großer Achtung und Bewunderung verfolge ich die mutigen Deutschen, die gegen der Lieferung von deutschen Waffen an dieses vom Terror geplagte Land protestieren. Der fast verbrecherische Höhepunkt jedoch hat die deutsche Regierung erreicht, geführt von Frau Merkel, die das kriegs- und kolonialisierungsfreudige Israel auf den Status einer Weltmacht gehievt hat. Es ist schrecklich, was der islamische IS oder Daisch im Nahen Osten tut, aber in dem gefährlichen Exodus der Millionen von Menschen hauptsächlich nach Westeuropa treibt, haben nicht nur die Finger von den westlichen Staaten gerührt, sondern mindestens was Syrien anbelangt, trägt Israel meiner Meinung nach die Hauptschuld. Seit Jahren versuchen die syrischen Machthaber, mit Israel unter einer Bedingung Frieden zu schließen: die Golanhöhen, die von Israel 1967 erobert wurden, trotz der Tatsache, dass der Krieg nicht von Syrien entfacht wurde, zurück zu bekommen. Darüber schreibt ausführlich einer der wichtigsten Generäle Israels, Uri Sagi, (nachzulesen in meinem Buch "Ein Leben für Gerechtigkeit, Liebe und Versöhnung"). Diese israelische Mitschuld ist nachzulesen im Buch vom Michael Lüders "Wer den Wind sät", insbesondere im vorletzten Kapitel "Freibrief für Israel?".

Es scheint aber, dass ich ein Rufer in der Wüste bleibe.
- Seit Jahren habe ich mich mit der Hoffnung getröstet, dass ich ein Rufer in einer kleiner aber sehr fruchtbaren und friedensliebenden deutsche Oase bin. Ich fühle mich aber zutiefst enttäuscht und hoffnungslos. Dieser Satz betrifft nicht die Hunderte oder Tausende Deutsche, die mich noch ernst nehmen.

Es ist vielleicht vielen Regierenden nicht klar, dass Israel nicht nur faschistische Züge zeigt, sondern schwer und gefährlich unter den Einfluss eines nationalistischen Klerikalismus gerät. Es mag sein, dass bei vielen in Deutschland noch nicht das Signal angekommen ist, dass nicht nur die Palästinenser und die noch gebliebenen politischen Widerständler auch von nationalistischem Klerikalismus ins Visier genommen sind. Im Wirbel der besorgniserregenden Entwicklungen sind jedoch auch die christlichen Kirchen angegriffen worden. Einer der schönsten Kirchen in Tabha – die Kirche der Brotvermehrung - wurde in Brand gesetzt, das Kloster in Latroun und die Abtei Dormitio in Jerusalem, die sich durch freundliche Beziehungen mit anderen Konfessionen auszeichnet, wurden mit anti-christlichen Losungen beschmiert.

Amos Gwirzt, einem der berühmtesten Kriegsverweigerer und Mahner in Israel, ist es gelungen unter den Titel "Sagt nur, dass Ihr es nicht gewusst habt" über 495 Untaten zu berichten. Das Beduinendorf Araqib z.B. wurde über 90 Mal zerstört.

Auch wichtig zu erwähnen ist, dass nach der Besatzung der Westbank haben dort 20 % Christen gelebt. Heute sind nur noch kaum 2 % zu finden.

Trotz allem versuche ich noch etwas bewegen zu können: Ich möchte eine Delegation der Vertreter aller Konfessionen in Israel und Palästina zusammenstellen und zum deutschen Bundestag senden um über die Gefahr der existierenden Verhältnisse in meinem Land aufzuklären. Demokratie bedeutet, auch den Andersdenkenden und Andersgläubigen Gehör zu schenken. Meine Entscheidung, nach der Erschütterung, die ich in meinem Land erlebte, nach Deutschland zu kommen, war von der Hoffnung erfüllt, dass vom wieder auferstandenen Deutschland Hilfe kommen würde und es ein Modell und Zeichen für andere Völker sein könnte, insbesondere für die Geschwistervölker. In meinem Denken hat sich etwas geändert, nicht gerade beeinflusst vom Teil jüdischer Rabbiner, sondern von deutschen Kirchen und Christen, die gelernt zu haben schienen, dass der Gott gewordene Mensch, Jesus, und seine Lehre im Stande sein könnte, Frieden im sogenannten Heiligen Land zu schaffen.

In meinem ersten Brief, 1974, hauptsächlich an die deutsche Christen gerichtet, berichtete ich darüber, dass Prof. Dr. Helmut Gollwitzer, auf einer Tagung in Beir Sheva, die der Lehre von Martin Buber gewidmet war, mir erzählte, dass er in seinem Vortrag Israel vor der Gefahr ein Herrenvolk zu werden, mahnte. Brutalerweise wurde er unterbrochen und nicht zugelassen, seinen Vortrag zu Ende zu sprechen. Für mich war Prof. Gollwitzer einer der wichtigsten Friedensapostel. In einer damaligen Veröffentlichung wurden Friedensapostel als ‚Pfarrer im Dienste des Terrors‘ beschrieben. Eine bestimmte Zeit später habe ich eine Begegnung von Prof. Gollwitzer mit dem jüdisch-israelischen Friedensapostel Jesaja Leibowitz organisiert. Bei dieser Begegnung hat Prof. Leibowitz Franz Grillparzer zitiert, der sehr zutreffend meinte, dass es scheint, dass die Welt sich von der Humanität zu der Nationalität und von der Nationalität zur Bestialität entwickle.

Ein seltenes Gefühl der Genugtuung hatte ich, als später in Berlin Prof. Gollwitzer mir verraten hat, dass die Mahnung Israels vor der Gefahr ein Herrenvolk zu werden, durch die Lektüre meines ersten Jahresbriefes beeinflusst wurde.

Dutzende Pfarrer, wie Prof. Gollwitzer, Niemöller, u.a. haben mich das erste Mal zu einem Christus- und Christenfreund umgewandelt. Was mich zutiefst enttäuscht und verzweifelt macht, ist die Tatsache, dass es bei vielen Pfarrern an der Botschaft der Apostel, wie Gollwitzer, und an dessen Geist mangelt. Sie sind besessen von der Angst, als Antisemiten verunglimpft zu werden, wenn sie wagen, Kritik gegen die gefährliche Politik Israels hören zu lassen.

Was mich traurig und krank macht ist, dass die Regierenden Israels und ein großer Teil der israelischen Rabbiner bei mir bewirken, dass ich meine neu gewonnene Heimat Israel als den "unheiligen Staat" bezeichnen muss und ich mich als Exilant in einer blutrünstigen Diaspora empfinde.

Ohne Zweifel werden viele nicht einverstanden sein mit meiner Botschaft, und das bedauere ich sehr.

An die vielen Hunderte und vielleicht auch Tausende, die mir und meinen noch übrig gebliebenen Hoffnungen treu geblieben sind und sich weiterhin für eine gerechte und friedliche Zukunft einsetzen, sende ich meine tiefste Bewunderung und Dankbarkeit.



Euer Reuven Jerusalem, März 2016

p.s.:

Für diejenigen, die noch nichts von dem neuen Buch: Reuven Moskovitz: Ein Leben für Gerechtigkeit, Liebe und Versöhnung, herausgegeben von Ekkehart Dorst und Martin Breidert, erfahren haben, appelliere ich, es nicht nur zu lesen, jedoch auch anderen zu empfehlen.

Sie können das Buch bei Gesine Janssen – gesine-anna.Janssen@t-online.de oder bei Hanja Van Dyck – hanja.vandyck@t-online.de bestellen.

 

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