Blut und
Champagner
Uri Avnery, 16.2. 08
JEDES
VOLK rühmt das Gewerbe, in dem es sich besonders
auszeichnet.
Wenn irgend jemand auf der
Straße gefragt werden würde, den Bereich zu nennen, in dem
wir, die Israelis, uns besonders auszeichnen, so würde die
Antwort höchstwahrscheinlich lauten: Hi-Tech. Und
tatsächlich haben wir auf diesem Gebiet Eindrucksvolles
geleistet. Es sieht so aus, als ob jeden zweiten Tag eine
Gesellschaft, die in einer Garage gegründet wurde, für
hundert Millionen verkauft wird. Das kleine Israel ist eine
der großen Hi-Tech-Mächte in der Welt.
Aber das Gewerbe, in dem Israel
nicht nur eine der Großen, sondern die unangefochtene
Nummer Eins ist, ist das der Liquidationen.
In dieser Woche wurde dies
wieder einmal bewiesen. Das hebräische Wort „lehassel“ –
liquidieren - in all seinen grammatischen Formen, beherrscht
augenblicklich unser öffentliches Leben. Geachtete
Professoren debattieren mit akademischer Ernsthaftigkeit,
wann und wer liquidiert werden solle. Abgenutzte Generäle
diskutieren mit professionellem Eifer die Technik der
„Liquidierung“, ihre Regeln und Methoden. Raffinierte
Politiker konkurrieren mit einander über die Anzahl und den
Status der Kandidaten für die nächste „Liquidierung“.
TATSÄCHLICH gab es seit langem
in den israelischen Medien keine solche Jubelorgie wie in
der vergangenen Woche. Jeder Reporter, jeder Kommentator,
jeder politische Schreiberling, jeder augenblickliche Promi,
der vom TV, Radio oder einer Zeitung interviewt wurde,
strahlte vor Stolz. Wir haben’s geschafft. Es ist uns
gelungen Wir haben Imad Mughniyeh „liquidiert“!
Er war ein „Terrorist“. Und
nicht nur ein Terrorist, er war ein Meisterterrorist, ein
Erz-Terrorist, ein König der Terroristen! Von Stunde zu
Stunde wurde er größer und erreichte Riesenproportionen. Im
Vergleich zu ihm ist Osama Bin Laden nur ein Anfänger. Die
Liste seiner Taten wuchs von einer Nachrichtensendung zur
anderen, von einer Schlagzeile zur anderen.
So einen gab es nur einmal.
Seit Jahren war er aus dem Blickfeld geraten. Aber unsere
guten Jungs – viele, viele gute Jungs – haben ihn nicht
einen Augenblick aus den Augen verloren. Sie arbeiteten Tag
und Nacht, Wochen und Monate daran, seit Jahren und
Jahrzehnten, um die Spur zu halten. Sie „kannten ihn besser
als seine Freunde, besser als er sich selbst kannte“
(wörtliches Zitat eines respektierten Haaretz-Kommentators,
selbstgefällig wie all seine Kollegen).
Ein spielverderbender
westlicher Kommentator behauptete bei Aljazeera zwar, dass
Mughniyeh deshalb aus dem Blickfeld geraten sei, weil er
aufgehört hatte, wichtig zu sein, dass seine großen Tage als
Terrorist in den Achziger- und Neunziger- Jahren lagen, als
er ein Flugzeug gekidnappt hatte und das Marinehauptquartier
in Beirut und israelische Institutionen im Ausland in die
Luft sprengte. Seitdem die Hisbollah zu einem Staat in einem
Staate geworden war mit einer Art regulären Armee – nach
dieser Version – brauchte man ihn nicht mehr.
Aber was schert uns das?
Mughniyeh-die-Person ist verschwunden, und
Mughniyeh-die-Legende hat seinen Platz eingenommen, ein
weltumfassender mythologischer Terrorist, der schon seit
langem „ein Sohn des Todes“ geworden war (also eine Person,
die getötet werden soll), wie vom TV von einem ausrangierten
General erklärt wurde. Seine „Liquidierung“ war ein sehr
großer, fast übernatürlicher Erfolg, viel bedeutsamer als
der 2. Libanonkrieg, in dem wir nicht so erfolgreich waren.
Die „Liquidierung“ gleicht mindestens dem
Entebbe-Unternehmen.
Es stimmt zwar, dass uns die
Bibel davor warnt: „Freu dich nicht über den Fall deines
Feindes, und dein Herz sei nicht froh über sein Unglück; der
HErr könnte es sehen und Missfallen daran haben.“(Sprüche
24,17) Aber dies war nicht irgend ein Feind, es war ein
Super-Super-Feind und deshalb wird der HErr uns sicher
verzeihen, wenn wir vor Freude von einer Talkshow zur
nächsten tanzen, von einer Veröffentlichung zur anderen, von
einer Rede zur anderen, solange wir keine Bonbons auf der
Straße verteilen – auch wenn die israelische Regierung kaum
leugnet, dass wir diejenigen waren, die den Mann
„liquidierten“.
WIE DER ZUFALL so will, wurde
die „Liquidierung“ nur ein paar Tage später ausgeführt,
nachdem ich den Artikel über die Unfähigkeit von
Besatzungsmächten geschrieben hatte, die innere Logik einer
Widerstandsorganisation zu verstehen. Diese „Liquidierung“
ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. (Auch wenn Israel
schon vor Jahren die Besetzung des Süd-Libanon beendet
hatte, waren die Beziehungen zwischen den Parteien, so wie
sie waren, geblieben).
In den Augen der israelischen
Führung war die „Liquidierung“ ein großer Erfolg. Wir haben
der „Schlange den Kopf abgeschnitten“ (so eine andere
Schlagzeile in Haaretz). Wir haben der Hisbollah enormen
Schaden zugefügt, einen so großen, der nicht repariert
werden kann. „Das ist keine Rache, sondern Vorbeugung“, wie
ein anderer der führenden Reporter (wieder in Haaretz)
erklärte. Es ist ein so bedeutsamer Erfolg, dass es sich
lohnt, die unvermeidliche Rache in Kauf zu nehmen, egal wie
hoch die Zahl der Opfer sein wird.
In den Augen der Hisbollah
sehen die Dinge völlig anders aus. Die Organisation hat noch
einen kostbaren Aktivposten bekommen: einen Nationalhelden,
dessen Name die Atmosphäre vom Iran bis nach Marokko
erfüllt. Der „liquidierte“ Mughniyeh ist mehr wert als der
lebende Mughniyeh, ganz egal, welchen realen Status er am
Ende seines Lebens gehabt haben mag.
Man erinnere sich nur an das,
was hier – im damaligen Palästina - 1942 geschah, als die
Briten Abraham Stern (aliasYair) „liquidierten“: aus seinem
Blut entstand die Lehi-Organisation (alias Stern-Bande).
Sie wurde vielleicht zur effizientesten Terrororganisation
des 20. Jahrhunderts.
Deshalb hat die Hisbollah
keinerlei Interesse, den Status des „Liquidierten“ zu
verringern. Im Gegenteil – Hassan Nasrallah hat genau wie
Ehud Olmert jedes Interesse, seinen Status zu enormen
Proportionen aufzublasen.
Falls die Hisbollah in letzter
Zeit aus dem gesamt-arabischen Scheinwerferlicht
entschwunden war, so kehrte sie jetzt mit einem großen Knall
wieder zurück. Fast jede arabische Fernseh- und
Radiostation widmete Stunden dem „Bruder, dem Märtyrer, dem
Kommandeur Imad Mughniyeh al-Hajj Raduan“.
Im Kampf um den Libanon – in
dem Nasrallah seine Hauptaufgabe sieht – hat die
Organisation einen großen Vorteil erhalten. Eine Menge
Menschen schlossen sich dem Trauerzug an , der die fast
gleichzeitige Gedenkparade für seinen Gegner, Rafiq
al-Hariri, vollkommen überschattet hat. In seiner Rede
beschrieb Nasrallah seine Gegner verächtlich als Komplizen
der Mörder des Helden, als abscheuliche Kollaborateure
Israels und der USA und rief sie auf, „das Haus zu
verlassen“ und nach Tel Aviv oder New York umzuziehen. Er
ist in seinem Kampf um die Vorherrschaft im Lande der Zedern
wieder eine Stufe höher gestiegen.
Und die Hauptsache: die Wut
über den Mord und der Stolz auf den Märtyrer wird eine neue
Generation Jugendlicher inspirieren, für Allah und
Nasrallah zu sterben. Je mehr die israelische Propaganda die
Proportionen von Mughniyeh vergrößert, um so mehr junge
Schiiten werden inspiriert, seinem Beispiel zu folgen.
Die Karriere des Mannes selbst
ist in diesem Zusammenhang interessant. Als er in einem
kleinen schiitischen Dorf im Südlibanon geboren wurde, waren
die Schiiten dort eine verachtete, unterdrückte,
ohnmächtige Gemeinschaft. Er schloss sich der
palästinensischen Fatahorganisation an, die damals den Süden
des Libanon beherrschte, wurde schließlich Arafats
Leibwächter (ich könnte ihn gesehen haben, als ich Arafat
in Beirut besuchte). Aber als es Israel gelang, die
Fatahkräfte aus dem Südlibanon zu vertreiben, blieb
Mughniyeh zurück und schloss sich der Hisbollah an, der
neuen Kampftruppe, die als direkte Folge von Israels
Besatzung entstanden war.
ISRAEL ÄHNELT nun einer
Person, deren Nachbar der nächstoberen Etage einen Stiefel
auf den Fußboden geworfen hat und die nun auf den Fall des
andern Stiefel wartet.
Jeder weiß, dass es Rache geben
wird. Nasrallah hat dies versprochen. Er hatte hinzugefügt,
dass dies irgendwo auf der Welt geschehen werde. Schon seit
langem glauben die Menschen in Israel Nasrallah mehr als
Olmert.
Israels Sicherheitsdienste
veröffentlichen ernste Warnungen an die, die ins Ausland
gehen - jeden Augenblick auf der Hut zu sein, sich nicht
auffällig zu verhalten, sich nicht mit anderen Israelis zu
versammeln, keine ungewöhnlichen Einladungen anzunehmen usw.
Die Medien haben diese Warnungen bis zu einem Punkt von
Hysterie getrieben. In den israelischen Botschaften wurden
die Sicherheitsvorkehrungen noch strenger gehandhabt. An der
Nordgrenze wurde auch Alarm geschlagen – nur ein paar Tage,
nachdem sich Olmert in der Knesset gerühmt hat, dass als
Folge des Krieges die Nordgrenze ruhiger sei als jemals.
Solche Sorgen sind alles
andere als grundlos. Alle vergangenen „Liquidationen“ dieser
Art hatten verheerende Konsequenzen.
-
Das klassische Beispiel
ist natürlich die „Liquidation“ von Nasrallahs Vorgänger,
Abbas Mussawi. Er war 1992 im Südlibanon von einem
Apache-Kampfhubschrauber aus getötet worden. Ganz Israel
freute sich. Auch damals floss Champagner. Als Rache dafür
jagte die Hisbollah die israelische Botschaft mitsamt dem
jüdischen Gemeindezentrum in Buenos Aires in die Luft. Der
dies geplant hatte, war – wie heute behauptet wird – Imad
Mughiniyeh. Mehr als hundert Menschen kamen dabei ums Leben.
Die wichtigste Folge: anstelle des ziemlich farblosen
Mussawi übernahm der raffinierte, dominierende Nasrallah das
Amt.
-
Vor diesem befahl Golda
Meir eine Reihe von „Liquidationen“, um die Tragödie mit
den israelischen Athleten in München zu rächen (von denen
die meisten von der unfähigen bayrischen Polizei getötet
wurden, beim Versuch, ihren Flug als Geiseln nach Algerien
zu verhindern). Keiner der dann „Liquidierten“ hatte etwas
mit der Gräueltat selbst zu tun. Sie waren diplomatische
PLO-Vertreter, Diplomaten, die in ihren Büros wie Enten am
Schießplatz saßen. Die Sache wurde ausführlich in Stephen
Spielbergs kitschigem Film „München“ beschrieben. Die Folge
davon: die PLO wurde stärker und wurde zu einem Staat im
Werden. Yasser Arafat kehrte schließlich nach Palästina
zurück.
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Die „Liquidation“ von
Yihyah Ayyash 1996 in Gaza erinnert an die Mughniyeh-Affäre.
Sie wurde mittels eines präparierten Mobiltelefons
ausgeführt. Auch Ayyashs Dimension wurden riesige
Proportionen verliehen, so dass er schon zu Lebzeiten zur
Legende geworden war. Sein Spitzname, „der Ingenieur“, war
mit ihm verbunden, weil er die Sprengstoffkörper
vorbereitete, die die Hamas benützte. Shimon Peres, der nach
dem Mord von Yitzhak Rabin Ministerpräsident wurde, glaubte,
dass die „Liquidation“ ihm große Popularität einbringen und
ihm helfen würde, wieder gewählt zu werden. Das Gegenteil
geschah. Die Hamas reagierte mit einer Reihe von
sensationellen Selbstmordattentaten und brachte Binyamin
Netanyahu an die Macht.
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Fathi Shkaki, der Chef
des islamischen Jihad, wurde 1995 von einem
Fahrradfahrer„liquidiert“, der ihn in einer Straße auf Malta
erschoss. Die kleine Organisation wurde damit nicht
ausgelöscht, sondern wuchs durch seine Racheaktionen. Jetzt
ist es die Gruppe, die die Qassams nach Sderot abfeuert.
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Hamas militanter Khaled
Mashal wurde tatsächlich in einer Straße in Amman mit einer
Giftspritze „liquidiert“. Diese Tat wurde sofort entdeckt,
die Täter identifiziert und ein wütender König Hussein zwang
Israel ein Gegengift zu liefern, damit sein Leben gerettet
werde. Den „Liquidatoren“ wurde erlaubt, nach Hause zu
fahren, wenn dafür der Hamasgründer Scheich Ahmad Yassin aus
dem israelischen Gefängnis entlassen werde. Die Folge
davon: Mashal stieg auf und ist jetzt der ranghohe
politische Führer von Hamas.
-
Scheich Yassin selbst,
ein Querschnittgelähmter, wurde bei einem
Hubschrauberangriff „liquidiert“, als er die Moschee nach
einem Gebet verlassen hatte. Ein Versuch zuvor, sein Haus zu
bombardieren, war fehl geschlagen. Der Scheich wurde in den
Augen der ganzen arabischen Welt ein Märtyrer und ihr
Vorbild und hat seitdem zu Hunderten von Hamasattacken
angeregt.
DER GEMEINSAME Nenner all
dieser und anderer Aktionen ist der, dass sie nicht die
Organisationen der „Liquidierten“ schädigen, sondern wie
ein Bumerang zurückschlagen. Es folgten schwere Racheakte.
Die Entscheidung, eine
„Liquidation“ auszuführen, ähnelt der Entscheidung, die
gefasst wurde, den Zweiten Libanonkrieg zu beginnen: keiner
der Entscheidungsträgers hat sich um das Leiden der zivilen
Bevölkerung gekümmert, die beim Racheakt Opfer wurde.
Warum werden dann
„Liquidationen“ ausgeführt?
Die Antwort, die einer der
Generäle gab, dem die Frage gestellt wurde, war: „Darauf
gibt es keine eindeutige Antwort.“
Diese Worte triefen von
Chutzpe (Frechheit): Wie kann man solch eine Aktion
entscheiden, wenn es keine eindeutige Antwort darauf gibt,
ob sie den Preis wert sei.
Ich habe den Verdacht, dass der
wirkliche Grund politisch und psychologisch ist. Politisch,
weil es immer populär ist. Nach jeder „Liquidation“ herrscht
große Freude. Wenn die Rache kommt, sieht die Öffentlichkeit
(und die Medien) nicht den Zusammenhang zwischen der
Liquidation und der Antwort. Jedes wird getrennt von
einander gesehen. Wenige Leute haben die Zeit und die
Neigung, darüber nachzudenken, wenn jeder über den
mörderischen Akt empört ist.
In der augenblicklichen
Situation gibt es noch eine zusätzliche Motivation: Die
Armee hat keine Antwort auf die Qassams, noch hat sie den
Wunsch, in eine Wiederbesetzung des Gazastreifens mit zu
erwartenden Opfern verstrickt zu werden. Eine
„Liquidation“ ist dann eine einfache Alternative.
Der psychologische Grund ist
auch klar: er befriedigt. Das Wort „Liquidation“ stammt aus
der Sprache der Unterwelt. Es passt kaum zu den
Sicherheitsdiensten eines demokratischen Staates. Aber es
ist eine herausfordernde und komplexe Aufgabe wie in einem
Mafiafilm, die den „Liquidatoren“ große Befriedigung gibt.
Ehud Barak war zum Beispiel von Anfang seiner militärischen
Kariere an ein „Liquidator“. Wenn die „Liquidation“ mit
Erfolg endet, können die Vollstrecker ihre Champagnergläser
erheben.
Eine Mischung von Blut,
Champagner und Torheit ist ein gefährliches Cocktail.
( Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)
Erfahrungen zeigen, dass aus
Morden nichts Gutes wächst.
Einer Ermordung folgt Rache.
Dutzende von Unschuldigen
Werden in einem Teufelskreis
von Gewalt von Rache und Blutvergießen getötet.
Erfahrungen zeigen, dass der
Platz des Ermordeten
Fast immer von einem noch
besseren Feind eingenommen wird. ( s. Mussawi s.oben)
Inserat von Gush
Shalom in Haaretz, 15.Februar 2008
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