Wenn
israelische Soldaten das Schweigen brechen
(Neue israelische Studie, die unsere schlimmsten
Befürchtungen bestätigt)
Dalia Karpel, Haaretz, 21./
27.September 2007 *
Die israelischen
Soldaten sprachen gegenüber Nofer frei, der mit ihnen im selben
Eshbal-Zug vor 20 Jahren diente. Sie gaben ihre innersten
Emotionen über die schrecklichsten Verbrechen, an denen sie
teilgenommen hatten, preis: Mord, das Brechen von Knochen
palästinensischer Kinder , demütigende Aktionen, Zerstörung von
Eigentum, Raub und Diebstahl..“ Dieser Artikel wurde am 21.
September nur im hebräischen Teil von Haaretz
veröffentlicht und erschien dann auf der ISM-website. Es ist
eine gekürzte Übersetzung einer akademischen Forschungsstudie
von Nofer Ishai-Karen und Psychologieprofessor Joel Elzur ( *)
der hebr. Universität, die im ALPAYIM-Magazin, Vol.31
veröffentlicht wurde.
„Wir – israelische
Soldaten – wurden dorthin gebracht, um Palästinenser zu
bestrafen,“ sagte Ilan Vilenda, ein isr. Soldat, der während der
1.Intifada in Rafah diente. Ilan ist der einzige, der damit
einverstanden ist, dass sein Name veröffentlich wird, nachdem er
von der Psychologin Nofer Ishai-Karen interviewt worden war.
Die Soldaten sprachen frei zu Nofer, die vor 20 Jahren mit ihnen
zusammen in derselben Truppe diente..
Soldat A: „Wir
entschlossen uns, eine alte Dusche der Basis zu einer Haftzelle
zu verwandeln. Ein Palästinenser wurde dorthin gebracht, die
Hände gefesselt, der Mund zugebunden, damit er sich weder
bewegen noch reden konnte. Wir „vergaßen“ ihn dort 3 Tage lang“
…
Soldat B.: „Es war
meine erste Patrouille. Die andern schossen einfach wie
verrückt. Ich begann, so wie sie zu schießen. Sie hetzten mich
auf. Ich nahm meine Waffe und schoss. Keiner war da, der mir
etwas anderes sagte.“
Der Psychologin Ishai
Karen war geschockt, als sie herausfand, wie die Soldaten
an der Vergiftung durch die Macht Freude hatten und wie sie Spaß
hatten, Waffen zu benützen. Sie sagte: Die meisten meiner
Interviewten freuten sich darüber, wie sie selbst während des
Besatzungsmilitärdienstes zur Gewalt aufhetzten.
Soldat C: „Die
Wahrheit ist, dass ich dieses Chaos liebe – ich habe Spaß daran.
Es wirkt wie Drogen. Wenn ich nicht wenigstens einmal die Woche
eine Rebellion niederschlagen kann, dann werde ich
verrückt.“
Soldat D: „Was
großartig ist, ist dass man hier keinen Gesetzen und Regeln
folgen muss. Man hat das Gefühl, selbst Gesetz zu sein.
Ich kann entscheiden. Wenn man in die besetzten Gebieten
geht , ist man wie Gott.“
Emotionale Dummheit
Soldat E: „Wir fuhren
mit einem APC ( gepanzertes Militärfahrzeug) durch Rafah. Ein
Mann von etwa 25 Jahren ging an uns vorbei. Er warf keinen Stein
auf uns oder etwas anderes. Dann schoss X ohne einen Grund ihm
in den Magen. Wir ließen ihn am Straßenrand liegen.
Soldat F : „Einige
raue Burschen entwickelten „eine Ideologie“ , nach der wir
brutal reagieren sollten, selbst bei kleinen Anlässen . Eine
Frau warf eine Sandale nach mir. Ich stieß ihr mit meinem
Stiefel in den Unterleib. Sie brach zusammen. Sie wird keine
Kinder mehr bekommen. Sie wird kein 2. mal eine Sandale gegen
mich werfen … und als eine andere Frau mich anspuckte, schlug
ich ihr mit meinem Gewehrkolben ins Gesicht. Sie
kann nun nicht mehr spucken“.
Soldat G
beschrieb seinen ersten gewalttätigen Überfall in ein Haus, um
einen Palästinenser zu verhaften: „Er war wirklich groß, etwa 30
Jahre alt. Er wehrte sich gegen die Verhaftung. Wir schlugen
ihn, konnten ihn aber nicht überwinden. Da kamen einige Leute,
die Steine auf uns warfen. Wir schlugen ihn und befahlen ihm,
sich auf den Boden zu legen. Schließlich tat er es. Wir fuhren
mit ihm zur Militärbasis. Inzwischen hatte er das Bewusstsein
verloren. Einige Tage später starb er.
Nofer Ishai-Kofer:
„Einige NCOs (?) ermutigen die Soldaten, brutal zu sein
und gaben selbst Beispiele dafür.
Soldat H: „Nach zwei
Monaten in Rafah kam ein NCO-Kommandeur. Die erste
Patrouille, die er befehligte, war um 6 Uhr früh. Rafah stand
unter Ausgangssperre. Kein Mensch war auf der Straße. Dann
sah er ein Kind von etwa 4 Jahren, das im Sand im Hof
seines Hauses spielte. Das Kind baute eine Sandburg. Plötzlich
rannte der NCO, ein Bursche vom Ingenieur-Corps, und jagte das
Kind. Wir folgten. Er fing das Kind und brach dessen Ellenbogen.
Er brach den Ellbogen des Kindes. Verdammt noch mal, wenn ich
nicht die Wahrheit erzähle! Dann trat der NCO dreimal auf den
Bauch des Kindes, bevor er wegging. Wir trauten unsern Augen
nicht … aber am nächsten Tag gingen wir wieder mit ihm auf
Patrouille und nun machten es die Soldaten ihm nach …
Was geschah dann?
Einige der Burschen
konnten dies nicht ertragen: Der Fall von schwerer Misshandlung
von drei jungen Leuten, denen die Hände und Füße von einem
jungen Sergeanten gebunden wurden; sie alarmierten einen
ranghohen Offizier. „Als der Sanitäter kam, bluteten die jungen
Leute am ganzen Körper, ihre Kleider waren voller Blut und sie
zitterten vor Angst.
Sie mussten sich wie
Hunde auf alle Viere begeben und wagten, sich vor Angst nicht zu
rühren.“ Der NCO wurde dann mit 3 Monaten Haft verurteilt.
Doch der Kommandeur
des Zuges unterstützte die NCO und tadelte die
Wehrdienstverweigerer, sie hätten den Zug verleumdet.“
Nofer Ishai-Karen: der
höchste sittlichste Maßstab in der ( israelischen ) Armee ist
die Solidarität der Kämpfer unter einander“ d.h. Loyalität
gegenüber seinen Mitkämpfern. Der Zug schützt seine Geheimnisse,
wie eine Familie ihr „schwarzes Schaf“ verteidigt. Die Soldaten
betrachten die Verweigerer als „Verräter“, sagt Nofer
Ishai-Karen. Die Vertuschung war vollkommen, als unsere „guten
Kerle“ exkommuniziert und vom ganzen Zug geächtet wurden.
Und der NCO? Er verließ das Land und lebt jetzt in den USA. Die
Mehrheit der Soldaten dieses Zugs hat Israel verlassen. Nur
fünf oder sechs sind in Israel geblieben.
Nofer untersuchte zwei
Gruppen ( den Platoon) ESHBAL und ESHKHAR. Die letztere sei
noch extremer in ihrer Brutalität gewesen.
Und schließlich zurück
zu Ilan Vilenda . Er war der einzige Soldat, der Nofer
erlaubte, seinen vollen Namen zu nennen und sogar photographiert
zu werden. Vilenda war ein Oberfeldwebel mit dem Auftrag von
„Operationen“.
Ilan Vilendas Zeugnis:
„Unser Job war es , sie zu schlagen .. ich persönlich schlug
zwei Jungen . Ich benützte meine Hände oder den Gummiknüppel.
Die erwachsenen Palästinenser schlugen wir stärker. Wir
handelten wie Polizisten, aber wir handelten jenseits des
Gesetzes. Da gab es einen Palästinenser, der einen Fernseher zu
Hause hatte. Es liefen gerade die Fußballweltmeisterschaften.
Wir drangen in seine Privaträume ein und beobachteten die
Spiele. Nach einiger Zeit hatte er genug und bat uns, den
Fernseher mitzunehmen und zu verschwinden.
„Ich wurde in einem
Kibbuz geboren und gehörte zu einer Familie, deren Werte
zionistisch links und human waren. Die Palästinenser bewarfen
uns tonnenweise mit Steinen. Mein ideologisches Engagement
schränkte anfangs meine Aktionen ein, mein Zorn
wurde stärker, dann ließ ich ihm freie Bahn. Wir waren dort, um
die Palästinenser „zahlen“ zu lassen. Meine politische
Einstellung änderte sich auch. Jetzt unterstütze ich die extreme
national-religiöse Partei. Nach seiner Entlassung aus der Armee
wurden Vilanda und fünf andere Israelis in Goa verhaftet, weil
sie im Besitz von LSD waren. „Ich wollte meinem Land dienen. Das
war meine Aufgabe … aber die ganze IDF führt illegale Befehle
aus,
Wer ist
verantwortlich?
General Matan Vilna’i
(der jetzt untere Ehud Barak als stellvertretender
Verteidigungsminister dient) war während jener Zeit (1.Intifada)
der Chef des Kommando Süd. „Er besuchte oft unseren Zug und
diskutierte mit den Soldaten“, sagte Nofer … dort gingen die
Instrumente der
Leugnung und der Verheimlichung an die Arbeit …“
Außerdem: die
israelische Armee versah die Einheit nicht mit regelmäßigem
Training, sie bekamen keinen regelmäßigen Urlaub, sie
bekamen auch keine Freizeit, um sich zu erholen. Die
interviewten Soldaten behaupteten, je länger sie ( gegen
die Palästinenser in Rafah) ohne Urlaub operierten, sie um
so gewalttätiger wurden - nach ihrem eigenen „Gesetz“. Sie
behaupteten auch, dass „die Armee(Kommandeure) sich der
zunehmenden Gewalt bewusst waren und sogar dazu
ermutigten, um Personal zu sparen .
General Matan Vilnai
musste gewusst haben ,was geschehen ist. Hochrangige Offiziere,
die in der besetzten Westbank dienten, hatten ähnliche Warnungen
gegen das Verhalten der israelischen Armee geäußert. „Die
Befehle geben weiten Raum … und eine absichtlich ungenaue
„Grauzone“, die zum gewalttätigen Verhalten der Soldaten
ermutigt,“ sagte der Reserveoffizier Elisha Shapira, der in
derselben Zeit in Nablus seinen Militärdienst machte. Den
Soldaten wurde gesagt: „Schlagt die Palästinenser nicht – aber
bringt sie mit einem „geschwollenen Kopf“ zum Verhör“.
Die Ereignisse, die
Nofer Ishai-Karen untersuchte, liegen etwa 17 Jahre zurück. Die
Situation hat sich seitdem weiter verschlimmert. Jetzt ist die
israelische Armee und die Luftwaffe offen stolz auf Racheakte
gegen palästinensische Zivilisten. Generalmajor Shkeidi
verkündete mit Stolz, dass seine Piloten über dem
Gazastreifen die Schallmauer durchbrechen und so starken Lärm
verursachen .
Dies verursacht
schwere posttraumatische-Symptome bei jüngeren Kindern; sie
haben bei schwangeren Frauen auch schon Missgeburten
verursacht. Das willkürliche Bombardieren von palästinensischen
Häusern hat viele Todesfälle verursacht, einschließlich vieler
Kinder. Last but not least: das israelische Kabinett, von den US
unterstützt, sagte, es würde die Versorgung mit Strom und
Brennstoff unterbrechen.
„Da es wesentlich ist,
die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen,
damit der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und
Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen wird.“
(Aus der Präambel der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948)
·
Der Psychologe Prof.
Joel Elizur von der Hebräischen Universität, der Nofer
Ishai-Karen bei ihrer Magisterarbeit beistand, diente bei der
Reservetruppe in der IDF-Abteilung für psychisch Kranke.
Aber die IDF erlaubte ihm nicht, das Problem israelischer
Gewalttätigkeit zu erforschen. Die Forscher hielten das
Rohmaterial der Interviews zurück.
** Nach meinem besten Wissen und
Erkenntnissen hat die Armee nicht einen einzigen Fall von
Misshandlung oder Mord an Palästinensern vor ein ordentliches
Gericht gebracht.
* am 6. Oktober 07 kam im Magazin
von Haaretz doch noch die ungekürzte Fassung auf Englisch –
„Parallel Lives“ doch da hatte ich dies schon
übersetzt.
(dt. Ellen Rohlfs)
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