Es kann hier geschehen
Haaretz, 22.11.04 (ohne Name des
Verfassers)
Vor sechs
Monaten hatten aus der Armee entlassene Soldaten eine
Ausstellung eröffnet, die sie „Das Schweigen brechen“ nannten.
In ihr gaben sie Zeugnis ab über schwere Brutalitäten gegen
Palästinenser, wie sie sie während ihres Militärdienstes in
Hebron miterlebt haben. Die Reaktion des Generalstabschefs war,
die Militärpolizei dorthin zu senden, um alles Material zu
konfiszieren. Der Zorn über die Veröffentlichung wurde zu Scham
und bis heute gibt es von Seiten der Armee keine Information, ob
man daraus gelernt habe oder ob rechtliche Schritte gegen jene
unternommen worden seien, die für diese Brutalitäten
verantwortlich sind.
Jeder, der über
die in Yedioth Ahronoth(YA) am Freitag veröffentlichten,
entsetzlichen Zeugnisse überrascht worden ist - nämlich über
die Leichenschändung von palästinensischen Militanten oder
unschuldigen Opfern – nahm bis jetzt wahrscheinlich an, dass die
IDF die Armee mit höchster Moral in der Welt sei. Aber die IDF
ist in der Tat wie jede andere Besatzungsmacht, und der
Glauben, „das kann hier nicht geschehen“ ist die Folge von
Ignoranz und absichtlichem Wegsehen von den Dingen, die
tatsächlich in den (besetzten) Gebieten vor sich gehen.
Nach den
Zeugenaussagen in der Freitagsgeschichte, auf mehreren
Internetseiten und in den Bericten von Machsom Watch ist solch
ein Verhalten in einer Armeeeinheit nichts Besonderes, aber
typisch für viele Kampfeinheiten. „Den Tod bestätigen“ heißt aus
der Nähe auf verwundete Palästinenser schießen, obwohl sie keine
Gefahr mehr sind, mit Leichenteilen makabre Spiele spielen und
mit ihnen zu einem Photo posieren oder gar einen abgerissenen
Kopf auf eine Stange stecken und in den Mund eine Zigarette
stecken – alle diese Gräueltaten geschehen in der IDF. Auch wenn
es oft scheint, dass die Öffentlichkeit vorzieht, dies nicht zu
wissen und den Ruf der IDF nicht schädigen möchte, dienen solche
Zeugnisse tatsächlich dazu, die Armee und die Gesellschaft vor
tiefer moralischer Verkümmerung zu bewahren.
Auf die
„Reinheit der Waffen“ stolz zu sein oder der Versuch, die
Sprache eines ethischen Kriegscodex zu präzisieren sind leere
Phrasen, wenn dies nicht von Aktionen der Verantwortlichen
begleitet wird.
Der
IDF-Sprecher, der auf den Artikel in YA antwortete, sprach
darüber, dass die Soldaten in einer „komplizierten Realität“
operieren – ein Satz, der verrät, dass man das Verhalten der
Soldaten versteht. Aber diese komplizierte Realität ist in der
Tat sehr einfach. Seit Jahrzehnten handelten die Soldaten und
Siedler in den besetzten Gebieten so wie es ihnen passte,
während das Image der Palästinenser als menschliche Wesen mit
Rechten und einem Gesicht immer geringer wurde. Der Prozess der
De-humanisierung hat während der letzten vier Jahre einen
Höhepunkt erreicht. Und wo es keine Achtung für die Lebenden
gibt, gibt es auch keinen Respekt gegenüber den Toten.
Das Belieben
eines Kommandeurs, eine Reihe Häuser zu zerstören, Bäume zu
entwurzeln, private Autos mit Panzern zu zermalmen oder eine
Mauer/ einen Zaun dorthin zu setzen wo es einem passt und die
Leichtigkeit, mit der Kommandeure das Töten von Kindern und
unschuldigen Zivilisten dulden, ist für die israelische
Gesellschaft erniedrigend.
Die Schändung
von palästinensischen Leichen ist besonders erschreckend, weil
es in der israelischen Gesellschaft eine fast fetischistische
Besessenheit gibt, wenn es sich um die Würde jüdischer Toten
handelt, wo jeder menschliche Rest eines Toten eine jüdische
Beerdigung erhält.
Nur eine neue
politische Realität in den besetzten Gebieten kann die
menschliche Würde der Palästinenser und der Soldaten wieder
herstellen. Bis dahin wird es höchste Zeit, dass die IDF in
ihren Reihen eine neue Atmosphäre schafft. Die Enthebung und
eine unmittelbare Gerichtsverhandlung für die dieser Verbrechen
verdächtigen Soldaten - ganz gleich in welchem Rang – so wie es
während der 1. Intifada war, sind entscheidend für eine Reform
der IDF als moralisches Rückgrat des israelischen Staates.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs) |