Was passierte in Dschenin - Jenin ?
5. 8. 2002
Was passiert in Dschenin? Die zweite Frage ist
natürlich noch wesentlicher als die erste, aber im Grunde hängen
beide miteinander zusammen.
Gerade erst wurde der
Dschenin-Bericht der UN veröffentlicht, der
Report von Human Rights Watch liegt ja schon länger vor:
damit haben die offiziellen Stellen also gesprochen. Der Bericht der
UN ist so “ausgewogen”, dass man ihn fast schon als Karikatur
bezeichnen könnte. Aber wenigstens wird der Leser von Anfang an
nicht im Unklaren gelassen: “Dieser Report wurde erstellt ohne vor
Ort in Dschenin gewesen zu sein bzw. in einer der andern
palästinensischen Städte, von denen er handelt. Er beruht
ausschließlich auf zugänglichen Quellen respektive Informationen”.
Israel u. die USA haben sich ja schon seit langem darauf verständigt,
die UNO als antisemitische Organisation anzuseh’n (nämlich seit der
Antirassismus-Konferenz in Durban (Südafrika) im Jahr 2001). Zu
Beginn des Reports wird denn auch auf jene schmutzige Geschichte
hingewiesen, wie Israel eine Untersuchung (der Geschehnisse in
Dschenin ) verhindert hat - Kofi Annan bedauernd: “Ich war mir
vollständig sicher, dass sich das Team in ebenso professioneller wie
fairer Weise verhalten würde, um den vom Rat geforderten Bericht zu
erstellen.” Aber jetzt haben die Vereinten Nationen also einen
Bericht erstellt, ohne vor Ort gewesen zu sein - Israel wird’s
freuen. Im Vordergrund des Berichts steht das passive Unvermögen -
ganz wie üblich: “In vielen Fällen war es Helfern nicht möglich, zu
in Not befindlichen Personen vorzudringen”. Der Bericht
unterscheidet auch nicht zwischen mit modernstem Kriegsgerät
ausgestatteten Besatzern und Besetzten, die lediglich improvisierte
Waffen zur Verfügung hatten: “Kombattanten beider Seiten brachten
durch ihr Verhalten verschiedentlich Zivilisten in Gefahr”. Die
Täter bestimmter verbrecherischer Vorkommnisse bleiben (im Bericht)
oft seltsam im Dunkeln: “Die Gefechte während Operation
‘Schutzschild’ spielten sich meist auf dichtbesiedeltem Gebiet mit
viel Zivilbevölkerung ab, wobei oftmals auch schwere Waffen zum
Einsatz kamen.” Schwere Waffen aber haben die Palästinenser gar
keine. Der Bericht jedoch überläßt die Schlussfolgerung, wer denn
nun bei dieser “Schlacht” die schweren Waffen eingesetzt hat, ganz
allein dem Leser.
Zudem ist der Annan-Bericht dadurch gekennzeichnet, dass er den
Zusammenhang zwischen Ursache u. Wirkung konsequent umschifft: “Ich
habe die Palästinenser dazu aufgerufen, alle Akte des Terrors und
sämtliche Selbstmordattentate einzustellen - unter Hinweis darauf,
dass es sich dabei um moralisch nicht zu rechtfertigende Taten
handelt, die ihrer Sache nur schadeten. Ich forderte die Israelis
dazu auf, die Bombardierung bewohnter (ziviler) Gebiete zu
unterlassen ebenso wie Tötungen ohne Prozeß, wie Zerstörungen oder
die alltägliche Demütigung ganz normaler Palästinenser.” Also: die
kriminellen Taten der Palästinenser rangieren an oberster Stelle,
dann erst kommen die Israelis. Aber wenn es um Opferzahlen geht,
lautet die Regel (Annans) grade umgekehrt: “.. zwischen den (Kampf-)Parteien
ist es fortgesetzt zu wechselseitiger Gewalt gekommen, die in ihrer
Intensität allerdings flukturierte. Bis zum 7. Mai 2002 kamen dabei
441 Israelis ums Leben und 1539 Palästinenser ”. Hier die Fakten:
allein zwischen dem 1. März u. dem 7. Mai gab es 497 tote
Palästinenser, 1447 wurden verletzt - 538 davon durch scharfe
Munition. 1 Million Palästinenser unter Ausgangssperre, 17 000
verloren ihr Zuhause, 50 Schulen wurden beschädigt. Geschätzte
Reparaturkosten: $361 Millionen.
Wenn man wirklich wissen will, was (in Dschenin) geschehen ist, wenn
man nach Zeugenaussagen sucht, dann ist man beim Bericht des Human
Rights Watch (HRW) wesentlich besser aufgehoben. HRW war nämlich
tatsächlich vor Ort in Dschenin. Innerhalb einer Woche führte die
Gruppe 100 Interviews durch - u. zwar vom 19. bis zum 28. April.
Aber auch HRW hatte seine Informationsbeschaffungsprobleme: die
Israelische Armee verweigerte jegliche Auskunft. Dennoch liefert der
HRW-Bericht einen fundierten Eindruck davon, wie sich die Angriffe
damals abgespielt haben - u. er zeigt auch, welche Seite die
Hauptschuld trägt: “Ungeachtet der engen Bebauungssituation
verpflichtete das Recht die Israelische Armee dazu, einen
Unterschied zu machen zwischen Zivilisten u. militärischen
Zielobjekten. Die Angriffe der Israelischen Streitkräfte waren
jedoch zuweilen ungezielt - ohne obige Unterscheidung zu treffen.
Besonders wahllos war das Feuer am Morgen des 6. Aprils, als von
Helikoptern aus mehrere Raketen abgeschossen wurden. Viele
Zivilisten wurden im Schlaf überrascht. Während des
Helikopter-Angriffs wurde eine Frau getötet. In einem andern
Stadtteil wurde ein 4jähriges Mädchen verletzt, als eine Missile in
das Haus einschlug, in dem es schlief. Bei beiden Gebäuden handelte
es sich um rein zivilbewohnte Objekte. Es befanden sich keine
Kämpfer in unmittelbarer Nähe”.
Quelle
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TRAUER ALS MOTOR FÜR VERÄNDERUNG
Im Flüchtlingslager von Jenin sitzt eine alte Frau
neben einem Steinhaufen, der vor der israelischen Militäroperation
einmal ihr Haus war. Sie zeigt mir den Ausweis ihres behinderten
Sohns Jamal, der an den Rollstuhl gefesselt war. Während die
israelischen Truppen ihr Haus zerstörten, so erzählt sie, versuchten
die Frauen, Jamal hinauszutragen, aber die Wände begannen
einzustürzen und sie rannten hinaus. Jamal wurde lebendig unter den
Trümmern begraben.
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