Wer verschanzt sich eigentlich hinter
dogmatischen Barrieren?
Attia und Verena Rajab
Palästinakomitee Stuttgart
Leider müssen wir nochmals Stellung beziehen. Denn in einem
Text zur Stuttgarter Erklärung von Dr. Ludwig Watzal vom 30.
Dezember 2010 finden sich erneut falsche Darstellungen.
Dieser Text befindet sich auf Dr. Watzals Homepage und auf
dem Palästinaportal.
Dr. Watzal schreibt, es gebe zwei Stuttgarter Erklärungen,
eine vom 6. Dezember und eine vom 10. Dezember. Diese
Feststellung ist ganz einfach falsch.
Richtig ist: Es gab einen Entwurf der Stuttgarter Erklärung,
der von verschiedenen bekannten Initiativen und Personen,
die in der Palästinasolidarität aktiv sind und an der
Konferenz teilgenommen haben, verfasst wurde. Dieser Entwurf
war während der Diskussion eindeutig als solcher
gekennzeichnet, nur im privaten Email-Verkehr der
Konferenz-TeilnehmerInnen zugänglich und gilt seit der
Veröffentlichung der eigentlichen Stuttgarter Erklärung
nicht mehr.
Nur die Fassung vom 10. Dezember wurde im Netz
veröffentlicht. Wie Dr. Watzal den Entwurf erhalten hat,
wissen wir nicht, denn er hat nicht an der Konferenz
teilgenommen. Zur journalistischen Korrektheit gehört es
jedoch, einen Entwurf als solchen zu benennen und nicht
einfach eine zweite Stuttgarter Erklärung daraus zu
konstruieren.
Doch nun zu den „fragwürdige Formulierungen“, die Dr. Watzal
„stutzig gemacht haben“ und die Dr. Watzal dazu
bringen, den OrganisatorInnen der Konferenz, unehrliche
Absichten zu unterstellen. Watzal schreibt nämlich, diese
Formulierungen würden
„ein schales Licht auf die vermutlich wirklichen Motive der
Veranstalter werfen.“
Was ist eigentlich „fragwürdig“ an dem Satz im Entwurf: „Wir
werden mit einer weiteren Freedom Flotilla und einer Flut
von Aktionen zu Land und zu Wasser die Mauern und Blockaden
um Gaza und die Westbank einreißen und überrennen.“
Gerade zivile Aktionen wie die Gaza-Flotille im Frühsommer
dieses Jahres haben die Positionierung in UN, EU und im
deutschen Bundestag gegenüber der für die Zivilbevölkerung
tödlichen Gaza-Blockade ein gutes Stück nach vorne gebracht.
Die sonst für Appelle so unempfindliche israelische
Regierung sah sich sogar gezwungen, die Sperren leicht zu
lockern. Ohne ein solches Engagement von Free Gaza und Viva
Palästina wären die BewohnerInnen des Gazastreifens von den
mächtigen in der internationalen Staatengemeinschaft wohl
schon vergessen worden. Ähnliches gilt für die
PalästinenserInnen hinter der Apartheidsmauer auf der
Westbank. Die zivilen Initiativen müssen die Blockade
Israels tatsächlich geradezu brechen, hat Dr. Watzal etwas
dagegen, wenn die BürgerInnen den Menschenrechten dort zur
Geltung verhelfen, wo internationale Institutionen und
Regierungen versagen?
Und was ist „fragwürdig“ an folgendem Abschnitt, der im
Entwurf steht: „Insbesondere
wir Deutschen haben die Pflicht, Stellung zu beziehen.
Deutschland hat eine Mitschuld an dem, was den
Palästinensern/Innen angetan wurde als Folge deutscher
Geschichte. Gerade die deutsche Vergangenheit fordert von
uns ein besonders hohes Verantwortungsbewusstsein im Umgang
mit den Menschenrechten und wenn es um Vertreibungen und
ethnische Säuberung geht.“
Es ist nicht richtig, wenn Dr.
Watzal schreibt, dieser Abschnitt entbehre „jeglicher
historischen Grundlage“. Wolfgang Gehrcke, Jutta von
Freyberg und Harri Grünberg nehmen auf die Gromyko-Äußerung
Bezug und zitieren Arno Lustiger, der über die Rolle der
Sowjetunion beim Teilungsplan klar und deutlich schreibt:
„Ohne die Intervention der Sowjetunion wäre der Staat Israel
nicht gegründet worden, zumindestens 1948 nicht.“ Es
folgen Hinweise auf die vielen JüdInnen in den Lagern für
Displaced Persons, unter deren Druck die UNO 1947 und den
folgenden Jahren stand (siehe „Die deutsche Linke, der
Zionismus und der Nahostkonflikt, Köln 2009, S. 105) Ohne
den deutschen Nationalsozialismus wäre wohl auch kaum eine
ausreichend große Zahl JüdInnen dem zionistischen Aufruf
nach Palästina zu emigrieren, gefolgt. Die Zahlen sprechen
eine eindeutige Sprache. In den 30er Jahren steigt die Zahl
der EinwanderInnen sprunghaft an (1935 kamen beispielsweise
30-mal so viele JüdInnen nach Palästina wie im Jahr 1928).
Und was ist fragwürdig an dem
Satz aus dem Entwurf:
„Jeder muss ohne Zeitverzögerung alles unternehmen, was in
seiner Macht steht. Wir dürfen nicht darauf warten, dass
Israel von sich aus kollabiert“,
der im Entwurf eindeutig und unzweifelhaft im Zusammenhang
steht mit folgender Erklärung zum BDS-Aufruf:
„Die
internationale BDS-Kampagne richtet sich selbstverständlich
nicht gegen JüdInnen und auch nicht gegen israelische
BürgerInnen als solche, sondern allein gegen die
Unterdrückungspolitik eines Staates und gegen die Firmen und
Institutionen, die an der Besatzung beteiligt sind, sie
unterstützen oder davon profitieren. Sie wird daher von
zahlreichen jüdischen Organisationen wie auch israelischen
Persönlichkeiten unterstützt.“
So
isoliert und in fragwürdiger Weise wie Dr. Watzal ihn
zitiert, eröffnet der obige Satz die Möglichkeit der
Spekulation in jeglicher Richtung. Was beabsichtig Dr.
Watzal mit diesem fragwürdigen Umgang mit Zitaten?
Unsensibel wird Dr. Watzal dann, wenn er auf die relativ
geringe Zahl von UnterzeichnerInnen der Stuttgarter
Erklärung eingeht, die als Land „Israel“ angeben. Wir gehen
davon aus, dass auch er von dem massiven Druck weiß, den die
derzeitige israelische Regierung auf all ihre GegnerInnen
ausübt. Auch Dr. Watzal ist sicher bekannt, dass in der
Knesset darüber diskutiert wird, all denjenigen die
Staatsbürgerschaft zu entziehen, deren Loyalität zum Staat
Israel in Zweifel gezogen werden kann. Unsere Hochachtung
gilt daher allen UnterzeichnerInnen, die trotzdem gewagt
haben, ihre kritische Haltung gegenüber einem
Apartheid-Staat durch ihre namentliche Unterschrift
öffentlich zu machen.
Wir möchten Dr. Watzal hier nicht überzeugen, dass es sich
bei Israel genauso um einen Apartheid-Staat wie beim
ehemaligen Südafrika. Wir verwehren uns aber gegen die
Behauptung, wir seien bei der Verwendung des Begriffs
Apartheid „leichtfertig“ vorgegangen oder hätten
damit „um uns geworfen“, wie Dr. Watzal schreibt. Der
Begriff „Apartheid“ mit Bezug auf Israel beruht auf
seit den 80er Jahren bekannten Analysen von Uri Davis, Ilan
Pappe und vielen anderen, unter ihnen sind nicht zuletzt
Südafrikaner (Ronnie Kasrils). Ben White kann in diesem
Zusammenhang auch nicht als Zeuge gegen unsere Verwendung
des Begriffs Apartheid für Israel zitiert werden, wie es Dr.
Watzal tut. Ben White schreibt nämlich zur Apartheid Israels
auf seiner Homepage:
“Leaving aside the differences
and similarities with South Africa, Israel’s policies
towards the Palestinians since 1948 have met the definition
of apartheid in international law - with important
ramifications for the responsibilities of the international
community and civil society”.
(Also auch nach der Ansicht von
Ben White erfüllt Israel die Definition der Apartheid nach
internationalem Recht und zwar seit 1948, das heißt nicht
nur in der Westbank und im Gazastreifen).
Wir bitten Herrn Dr. Watzal auch, uns zu erklären, in
welchem Punkt wir uns unter seinem Niveau befinden? Wir
möchten ihn auch fragen, ob sich etwa auch Richard Falk,
Jeff Halper, Hedy Epstein, Evelyn Hecht-Galinski und Hajo G.
Mayer und die palästinensischen ReferentInnen auf der
Stuttgarter Konferenz unter seinem Niveau befinden. Sie alle
haben die Stuttgarter Erklärung unterschrieben.
Ludwig Watzal wiederholt auch wieder die Keule des
Spaltungsvorwurfs gegenüber allen, die die Ein-Staat-Lösung
vertreten und die Zwei-Staaten-Lösung kritisieren. Wir sind
auf jeden Fall seit Jahrzehnten mitten in der
Solidaritätsbewegung, egal, ob es sich um BefürworterInnen
der Ein- oder der Zwei-Staaten-Lösung handelt. Dagegen zieht
es Dr. Watzal offensichtlich vor, UnterstützerInnen der
Ein-Staat-Lösung anzugreifen. Das bedauern wir.
Ein Wort in eigener Sache: Die OrganisatorInnen der
Stuttgarter Konferenz haben einen von sehr vielen als
positiv empfundenen Beitrag zur Solidaritätsbewegung
geleistet. Auch die Stuttgarter Erklärung ist inzwischen von
850 UnterstützerInnen unterzeichnet worden, unter ihnen ist
Richard Falk, der die Erklärung sogar auf seiner Website
veröffentlicht hat (http://richardfalk.wordpress.com/).
Jeder kann sich vorstellen, dass die Konferenz eine lange
und intensive Vorbereitung erforderte. Umso enttäuschter
sind alle OrganistorInnen nun über eine wochenlang
andauernde Debatte mit schweren Vorwürfen, die von Personen
geführt wird, die nicht an der Konferenz teilgenommen haben.
Dies hält die Solidaritätsbewegung von wichtigen zukünftigen
Aufgaben ab, für die unter anderem auch die Konferenz
Impulse gegeben hat. Wir sollten nun endlich nach vorne
schauen.
Wir sind davon überzeugt, dass die Stuttgarter Konferenz und
Erklärung mit ihren neuen Perspektiven sich auch in der BRD
durchsetzen werden, wenn dies auch mit langen und schweren
Geburtswehen verbunden ist.
Wir wünschen Dr. Watzal und uns im neuen Jahr Beiträge zur
Solidaritätsarbeit, die eine wirkliche Perspektive für
die PalästinenserInnen haben und tatsächlich dazu beitragen,
Apartheid und Besatzung zu beenden.
31. Dezember 2010
Attia und Verena Rajab
Palästinakomitee Stuttgart
Website des
Palästinakomitee Stuttgart.
http://palaestinakomitee-stuttgart.de/
http://palaestinakomitee-stuttgart.de/
http://senderfreiespalaestina.de/sign.htm
http://senderfreiespalaestina.de/sign.htm
24.12.2010 -
Zu einer typisch deutschen Diskussion um
Palästina
-
Attia und Verena Rajab -
Palästinakomitee Stuttgart - Die Stuttgarter Palästina
Solidaritätskonferenz vom 26. bis 28. November 2010 hat in
erfolgreicher Weise Wege für die zukünftige
Solidaritätsarbeit beleuchtet. Unter dem Titel „Getrennte
Vergangenheit – Gemeinsame Zukunft, Hindernisse und
Perspektiven für eine gerechte Lösung“ referierten und
diskutierten PalästinenserInnen, Israelis, Deutsche und
AktivistInnen aus vielen anderen Ländern über die Frage
Rassismus und Apartheid, Unterstützung des palästinensischen
zivilen Widerstandes durch BDS und die Perspektive der
Ein-Staat-Lösung. Die Konferenz wurde von der Mehrheit der
TeilnehmerInnen als positiv empfunden, das
Abschlussdokument, die Stuttgarter Erklärung, haben eine
Woche nach ihrem Erscheinen 475 UnterstützerInnen aus der
Bundesrepublik und vielen weiteren Ländern unterzeichnet und
die Zahl wächst rasch. Trotzdem ist um die Stuttgarter
Erklärung eine Debatte entstanden, die kontraproduktiv
für die Bewegung werden kann. Zwar melden sich nur wenige
KritikerInnen zu Wort, doch sie führen die Diskussion umso
schärfer und mit diffamierenden Argumenten.
Gegen keine der inzwischen recht zahlreichen
Ein Staaten-Konferenzen, die in den letzten sieben Jahren in
Lausanne, London, Madrid, Haifa und Texas stattgefunden
haben, hat es eine so erbitterte Reaktion gegeben. Die
Reaktion von Außenstehenden auf die Stuttgarter Konferenz
nimmt eine traurige deutsche Ausnahmestellung ein. An der
Diskussion um die abschließende Stuttgarter Erklärung zeigt
sich auch, wie schwer es ist, in Deutschland den Aspekt des
Apartheid-Staats Israel und die Konsequenzen aus seiner
möglichen Überwindung ins Zentrum zu stellen.
Für die ReferentInnen, die OrganisatorInnen
und die Mehrheit der KonferenzteilnehmerInnen stellt die
Apartheid-Gesellschaft des zionistischen Israels den Kern
des Problems dar. Daher darf nicht nur die Besatzung von
einer internationalen Bürgerrechtsbewegung bekämpft werden,
vielmehr müssen die Säulen der Apartheid, die rassistischen
Strukturen des Staats Israels im Zentrum von Boykott,
Divestment and Sanctions (BDS) stehen. So ist es auch im
Aufruf der palästinensischen Zivilgesellshaft zu BDS gegen
Israel festgehalten.
Aus dem palästinensischen BDS-Aufruf geht
eindeutig hervor, dass die Maßnahmen so lange fortgeführt
werden, bis auch die PalästinenserInnen in Israel gleiche
Rechte haben und das Rückkehrrecht der Palästinensischen
Flüchtlinge an die Orte, von denen sie vertrieben worden
sind und nicht nach Jericho und Gaza (wie viele der
KritikerInnen meinen) eingelöst ist (Punkt 2 und 3 in der
Erklärung der palästinensischen Zivilgesellschaft vom 9.
Juli 2005). Dies soll geschehen, selbst wenn sich die
israelischen Besatzungstruppen vorher aus der Westbank
zurückgezogen haben und die Gaza-Blockade beendet worden
ist.
Ludwig Watzal beschränkt die BDS-Bewegung
dagegen auf die Besatzung und beweist damit ein mangelhaftes
Verständnis der internationalen Kampagne. Würden wir ihm und
anderen KritikerInnen folgen, entstände eine deutsche
Sondersituation und eine Spaltung der internationalen
Bewegung.
„Spaltung und Sektierertum“ nennen die
KritikerInnen Viktoria Waltz, Ludwig Watzal, Thomas Immanuel
Steinberg und Knut Mellenthin die Forderung einer
Ein-Staat-Lösung in der Stuttgarter Konferenz und der
Erklärung. Damit unterscheiden sie sich von den
Bürgerrechtsbewegungen in Palästina und Israel. Diese
Bewegungen sind offen und relativieren die
Menschenrechte nicht. Deutliches Beispiel dafür sind die
ReferentInnen der Stuttgarter Konferenz, die alle eine
führende Rolle im zivilen palästinensischen Widerstand in
der Westbank und im Gazastreifen spielen. Der Referent Mazin
Qumsiyeh ist am 22. Dezember beim Protest gegen die
Apartheid-Mauer und die Besatzung verhaftet worden. Ein
weiteres Beispiel ist Uri Davis, der zwar Mitglied des
Fatah-Revolutionsrates ist, sich aber nie auf die
Zwei-Staaten-Lösung hat festlegen lassen und wie viele
andere Aktivisten aus Palästina/Israel selbstverständlich zu
den UnterzeichnerInnen der Stuttgarter Erklärung gehört. Wer
dagegen den KritikerInnen folgt, zensiert die AktivistInnen
in Palästina/Israel und hält an der Spaltung der Bevölkerung
in Religionsgruppen fest. Und schlimmer noch, er schließt
den zivilen Widerstand innerhalb der Grünen Linie, im Negev,
in Galiläa und an vielen anderen Orten von der Unterstützung
durch die deutsche Menschenrechtsbewegung aus. Dies ist bei
den KritikerInnen der Stuttgarter Erklärung leider schon
seit vielen Jahren Praxis.
Sonderbarerweise verschanzen sich die
KritikerInnen hinter dem Argument, man könne den
PalästinenserInnen nicht von Deutschland aus das Ein- oder
Zwei-Staaten-Modell vorschreiben. Dies tun sie jedoch seit
Jahrzehnten selbst, indem sie die Ein-Staaten-Lösung gar
nicht in Betracht ziehen und die Zwei-Staaten-Lösung als die
einzig richtige darstellen. So soll es ihrer Meinung nach
offensichtlich weitergehen, obwohl sich die
Zwei-Staaten-Lösung seit langer Zeit in der Sackgasse
befindet. Da hilft es auch nicht, das tote Pferd mit einer
Vorspiegelung falscher Tatsachen zu beleben. Es ist eben
nicht so, dass die „internationale Anerkennung eines
palästinensischen Staates erstmals in Reichweite rückt“, wie
Knut Mellenthin behauptet. Der Aufruf von Abbas, den
palästinensischen Staat anzuerkennen, ist ein verzweifelter
Versuch, aus der blockierten Situation zu entrinnen, indem
er den Ausruf des palästinensischen Staates in Algier im
Jahr 1988 wiederholt. Die Reaktion auf Abbas (5
lateinamerikanische Staaten sprachen die Anerkennung aus)
beschreibt die traurige Wirklichkeit. Nach Algier im Jahr
1988 waren es noch 167 Staaten, die den Staat Palästina
anerkannt haben. Aber selbst, wenn sich Israel nach Algier
aus dem Gebiet in den Grenzen von 1967 zurückgezogen hätte,
wäre das Problem nicht gelöst gewesen. Was wäre mit dem
Rückkehrrecht der Flüchtlinge und was mit den
diskriminierten PalästinenserInnen innerhalb Israels
passiert? Wären mit dem Apartheid-Staat so zentrale Fragen
wie die gerechte Aufteilung der Wasservorräte zu lösen
gewesen? Wohl kaum: Israel bezieht etwa die Hälfte seines
Wassers aus der Westbank. Das Problem sind nicht
Staatsgrenzen, sondern das Selbstbestimmungsrecht aller
PalästinenserInnen und die Anerkennung ihrer Menschenrechte
(Freiheit und Gleichheit).
Für eine gerechte Lösung ist ein
Systemwechsel im Staat Israel selbst (wie der in
Apartheid-Südafrika) die Voraussetzung, dies zeigen die
Analysen von Uri Davis und anderen. Wie in
Apartheid-Südafrika wird die Einstellung der
israelisch-jüdischen Bevölkerung überraschend schnell
kippen, sobald das Apartheid-System selbst in Frage gestellt
wird. Bleiben die Apartheid-Strukturen im Staat Israel
erhalten, werden wir weiterhin jüdisch-israelische
BürgerInnen erleben, die zu 55 % keine Wohnungen an
nicht-jüdische BürgerInnen vermieten wollen (siehe F.A.Z.
vom 8. 12.2010) und die Parteien wählen, die den so
genannten Transfer aller nicht-jüdischen BürgerInnen in den
palästinensischen Kanton-Staat der KritikerInnen der
Stuttgarter Erklärung planen. Diese Absicht haben die
PolitikerInnen von Kadima bis Beitunha gleichermaßen. Die
KritikerInnen müssen sich fragen, ob sie sich selbst
vorstellen können, auf Dauer neben solch rassistischen
Nachbarn zu wohnen. Den PalästinenserInnen muten sie das
offensichtlich zu.
Vielleicht liegt es an diesen
offensichtlichen Verhältnissen, dass die Ein-Staat-Lösung
doch ein paar BefürworterInnen mehr hat als das „Dutzend“,
das der Kritiker Ludwig Watzal in Israel ausfindig macht.
Allein zur Konferenz in Haifa im Juni 2010 kamen 250
TeilnehmerInnen. Zahlreiche weitere internationale
Ein-Staat-Konferenzen mit jeweils Hunderten von
TeilnehmerInnen gingen ihr voraus. An den UnterzeichnerInnen
der Stuttgarter Erklärung, kann man erkennen, wie viele
palästinensische Gewerkschaften, Vereine und Initiativen
hinter der Stuttgarter Erklärung und ihrer Forderung nach
einem gemeinsamen demokratischen und säkularen Staat stehen.
Die Polemik und Aggressivität, die Ludwig
Watzal den VerfasserInnen der Stuttgarter Erklärung
vorwirft, findet sich wohl eher in seinem Beitrag, in dem
sich so viele gezielt falsche Behauptungen finden. Dazu
gehört auch, dass Watzal in seinem Artikel die Worte der
Schirmfrau Felicia Langer auf der Stuttgarter Konferenz
verdreht wiedergibt. Felicia Langer bezeichnete die
Ein-Staatenlösung“ zwar tatsächlich als „wunderschön“, aber
„unrealistisch“, doch sie fügte auch hinzu „die Hoffnung
bleibt“. Sie hat sie also nicht völlig dagegen
ausgesprochen, wie Watzal seinen LeserInnen das glauben
machen will (siehe die entsprechende Videos auf public
solidarity und you tube).
Die VerfasserInnen der Stuttgarter Erklärung
sind die letzten, die die Solidaritätsbewegung in
Deutschland spalten wollen. Die Analyse, die auf der
Konferenz vertreten wurde, spiegelt die Auffassung des
Stuttgarter Palästinakomitees seit seiner Gründung im Jahr
1982 wider und trotzdem haben die Mitglieder über Jahrzehnte
mit allen anderen Initiativen erfolgreich
zusammengearbeitet. Dass eine wirkungsvolle Konferenz mit
dem Thema Ein-Staat-Lösung in Deutschland mit harten
Angriffen beantwortet würde, haben die OrganisatorInnen
erwartet. Das gehört zu den Hindernissen, mit denen sie in
der Bundesrepublik und den hiesigen verkrusteten Positionen
zur Palästinafrage rechnen mussten. Traurig stimmt auch,
dass sich die KritikerInnen den Weg zu einem Frieden nur
über die Unterstützung durch Regierungen und die UNO
vorstellen können, egal wie wenig sich dieser Weg bewährt
hat. Wie in Deutschland üblich, fehlt das Vertrauen in die
Kraft einer sozialen und Bürgerrechtsbewegung. In der
Hoffnung auf mehr produktive Offenheit in der Diskussion und
klarere Orientierung an den Betroffenen im Konflikt wird
derzeit in Stuttgart ein Workshop im Frühjahr zum Thema
Boycott, Divestment und Sanctions vorbereitet. Attia und
Verena Rajab - Palästinakomitee Stuttgart
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