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 Der Nahe Osten im Spiegelbild betrachtet

Ira Chernus, 27.5.11

 

Tuches aufn tish: Hintern auf den Tisch. Auf diese anschauliche Art und Weise haben meine Jiddish-sprechenden Vorfahren sich ausgedrückt um zu sagen: "Hört auf mit dem Unfug, lasst uns über die Wahrheit reden." Es scheint ein besonders geeigneter Ausdruck zu sein, nachdem man eine Woche lang das Schattenboxen zwischen Präsident Obama und dem israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beobachtet hat, das keinen greifbaren Fortschritt in Richtung eines israelisch-palästinensischen Friedens brachte.

Die Wahrheit ist– wie der Tisch – gewöhnlich hart und unbequem. Präsident Obamas verklausulierter öffentlicher Ruf nach einer Zwei-Staaten-Lösung entlang von Israels 1967er-Grenzen mag tatsächlich einen neuen Schritt bedeuten. Vielleicht wird er sogar Teil eines langfristigen Spielplanes, der sich womöglich sogar auszahlt. Aber hier ist das Problem: bis jetzt zeigt Obama keine Neigung, seinen Worten mit der Macht der US-Regierung Nachdruck zu verleihen. Bis er das tut, werden jene Worte Israel nicht dazu veranlassen, seine Herrschaft über die Palästinenser zu ändern.

Und es gibt noch ein tiefer liegendes Problem. Der einflussreiche israelische Kolumnist Sever Plocker wies auf den Kern der Sache hin: der amerikanische Präsident hat „eindeutig das Wesentliche des israelisch-zionistischen Narrativs übernommen. Plocker könnte dasselbe über alle amerikanischen Spitzenpolitiker und die US-Medien gesagt haben. Der amerikanische Diskurs über den israelisch-palästinensischen Konflikt wird von der Darstellung bestimmt, die die meisten Israelis erzählen.

 

Verdrehte Realitäten

Tuches aufn tish. Lasst uns ehrlich sein! Die israelische Geschichte verdreht nicht nur die Wahrheit, sie verkehrt die Wahrheit ins Umgekehrte. Es ist schon unheimlich, denn was die Israelis so grundsätzlich über die Palästinenser behaupten, ist die genaue Beschreibung ihrer selbst.

Die Israelis könnten genauso so gut in den Spiegel sehen und über sich selbst reden wenn sie behaupten: „Sie sind die Aggressoren; wir sind die Opfer, die sich nur selbst verteidigen.“ Das ist Teil des von Israelis geschaffenen Mythos der Unsicherheit, der davon ausgeht, dass Israel alle Risiken des Konfliktes mit den Palästinensern trägt. Obama hat diesen Mythos noch genährt, als er in seiner Rede zum „arabischen Frühling“ faktisch zu einem ausgewogenen Tausch aufrief: die Palästinenser würden einen Staat bekommen und die Israelis bekommen Sicherheit, als ob es vor allem die unvergleichlich stärkeren Israelis wären, die unter Unsicherheit leiden.

In dem Prozess wiederholte er ein bekanntes Mantra: „ Unser Engagement für Israels Sicherheit ist unerschütterlich“ und sprach eine vage Warnung aus, dass „die Technologie es für Israel schwieriger machen könnte, sich selbst zu verteidigen.“ Vielleicht sollte dies ein verschlüsselter Hinweis sein, dass eines Tages eine andere Nahostnation ein paar nukleare Waffen haben könnte – als ob eine von ihnen Israel bedrohen könnte, das schon mehr als 200 Atombomben hat und sicher mehr bauen könnte.

Obama machte eine Bemerkung zu dem, was er „die Voraussetzung für palästinensische Sicherheit“ nannte.“ Das sind die typischen Worte der Israelis für ihre lang gehegte Hoffnung, die palästinensische Polizei werde zu dem, was Netanjahu einmal Israels „Subunternehmer" nannte, die die Aufgabe israelischer Soldaten übernehmen, um den Widerstand gegen Israel und seine Politik zu brechen. Hier wieder die Prämisse, Israel trage das ganze Risiko.

Doch die Palästinenser leben weit unsicherer als die Israelis. Wie jedes Opfer kolonialer Militärbesatzung, sind sie ständig Todesdrohungen und Zerstörungen ausgesetzt – ohne Vorwarnung, ganz nach Lust und Laune des israelischen Militärs und zunehmend auch von Seiten der Siedler. Während der letzten 25 Jahre kamen auf einen getöteten Israeli elf getötete Palästinenser. Und doch hört man nie von einem amerikanischen Politiker diese Worte: „Unser Engagement für Palästinas Sicherheit ist unerschütterlich.“

Obama erklärte, dass "jeder Staat das Recht auf Selbstverteidigung" habe. Im nächsten Atemzug verlangt er jedoch, dass ein neuer palästinensischer Staat keine Armee haben darf. Würde irgendein souveräner Staat solch eine Forderung akzeptieren, besonders wenn sein nächster Nachbar jahrelang sein Volk beherrschte und traktierte und die mächtigste Militärmacht der Region ist? Doch die Idee eines "entmilitarisierten" palästinensischen Staates ist für die USA und Israel eine Voraussetzung, als ob die einzig vorstellbare künftige Bedrohung von den Besetzten und nicht vom früheren Besatzer ausgehen könnte.

Das überwältigende Ungleichgewicht zwischen der Macht von Besatzer und Besetzten weist auf eine weitere spiegelbildliche Verzerrung, die Amerikas Diskurs über das Problem beherrscht: die absurde Idee, dass die beiden Parteien auf gleicher Augenhöhe verhandeln könnten, dass der Schwächere der beiden, der schon 78% seines Gebietes aufgegeben hat, derjenige sein sollte, der die größeren Konzessionen macht und dann als Nation aus einer Position äußerster Schwäche operiert.

Bei einem privaten Treffen mit jüdischen Führern sagte Obama, er kenne die Wahrheit über die Situation: „Israel ist hier die stärkere Partei … und Israel muss die Rahmenbedingung für einen Frieden schaffen“. Aber so lange seine öffentlich ausgesprochenen Worte den Mythos von Israels Unsicherheit bekräftigen, können die Israelis alle Forderungen nach einem Wandel in aller Ruhe abweisen.

In den Spiegel starren

Die Israelis rechtfertigen ihre Unnachgiebigkeit mit einer weiteren spiegelbildlich verzerrten Behauptung: „Mehr als alles andere wollen wir den Frieden, aber sie [die Palästinenser - A. d. Ü] haben kein Interesse am Frieden." Mit Vorliebe wiederholen die Israelis einen Satz, der vor Jahrzehnten von einem ihrer Außenminister geprägt wurde, als er über arabische Führer sprach: „Sie versäumen nie eine Chance, um eine Chance für Frieden zu versäumen.“

In Wirklichkeit sind es die Palästinenser, die diese Klage gegen Israel erheben sollten. „Israels Rechte benötigt den permanenten Krieg“, so fasst der angesehene israelische Intellektuelle Zeev Sternhell die Situation zusammen. Netanjahu, wie alle rechten israelischen Führer, hat seine Karriere in der Tat auf seinem Image als knallhärtester Falke, die Palästinenser betreffend, aufgebaut. Mit der israelischen Wählerschaft, die im 21. Jahrhundert immer weiter nach rechts rutscht, diente ihm dieses Image mehr denn je. Selbst wenn er sein Engagement für Frieden beteuert, zeigt er keinerlei Interesse, den Konflikt tatsächlich zu beenden – und das schleichende israelische Programm des anhaltenden Siedlungsbaus in Ost-Jerusalem und in den besetzten Gebieten garantiert nur, dass der Konflikt weitergeht.

Jedoch haben nicht nur die politische Rechte oder die Siedler das Bedürfnis nach einem Feind und einem permanenten Konflikt. „Unsere Feinde haben uns geeint und geeint haben wir plötzlich unsere Stärke entdeckt“. So schrieb Theodor Herzl in seiner Gründungsschrift des Zionismus „Der Judenstaat“. Und scharfsinnige israelische Kommentatoren haben sich jahrelang gefragt, was die israelischen Juden zusammenhalten würde, wenn sie keinen arabischen oder palästinensischen Feind hätten. Das ist noch immer die entscheidende Frage für alle Israelis, meint Avraham Burg, der frühere Knessetsprecher: "können wir weiterexistieren ohne einen ständigen Feind, ohne Opfer der Verfolgung zu sein?“

Traurigerweise scheint die Antwort für die meisten Israelis ein Nein zu sein. Ein prominenter jüdischer Kolumnist der Jerusalem Post drückte es am besten aus: „Die Israelis werden wütend, wenn man ihnen sagt: wir müssen nicht weiter in den Krieg ziehen, wir sind stark genug, um unsere Feinde abzuschrecken. Die Leute wollen nichts hören von einem möglichen Frieden…Alles was sie hören wollen, ist ein 'breira', wir haben keine Wahl, entweder kämpfen oder sterben.“

Das politische Leben in Israel leidet an einer "wirklichen Zwangsvorstellung“ meinen die Herausgeber von Israels angesehenster Zeitung Haaretz, an dem "Gefühl, dass wir ständig angegriffen werden" an einem "Verfolgungswahn“.

Das ist natürlich eine alte Geschichte. „Israels Position von heute ähnelt der nach den Kriegen von 1948 und 1967“, bemerkt ein Leitartikel in Haaretz: "die Möglichkeit für Verhandlungen gab es damals, aber die [politischen] Kosten wurden als zu hoch eingeschätzt. Auch jetzt scheint es so, als würde das Aufrechterhalten des Status quo besser sein als Veränderungen vorzunehmen, die die Israelis als Bedrohung empfinden, selbst wenn sie keine echte Gefahr darstellen.“

Die vor kurzem stattgefundene Versöhnung zwischen Hamas und Fatah vermittelte den Israelis eine neue imaginäre Gefahr, über die sie sich Sorgen machen. Die Nachrichten über die palästinensische Einheit lösten in Israel einen verbalen Tsunami aus, eine Flut von Warnungen, dass eine rechtsextreme theokratische Ideologie leicht die Kontrolle über den palästinensischen Staat übernehmen könnte. Präsident Obama nährte diese Furcht, als er sagte „Hamas war und ist eine Organisation, die auf Terror zurückgreift, die sich weigert, Israels Existenzrecht anzuerkennen. Sie ist kein Partner für einen bedeutsamen, realistischen Friedensprozess.“

„Von Israel kann natürlich nicht verlangt werden mit einer Regierung zu verhandeln, die von einer palästinensischen Version von Al-Qaeda unterstützt wird,“ antwortete Netanjahu.

Es zeigt wieder einmal, wie Israelis in den Spiegel starren. Tatsächlich hat sich Hamas stetig in Richtung eines säkularen Nationalismus und einer größeren politischen Mäßigung bewegt. Ihre Regierung in Gaza ist eifrig dabei, Drohungen der wirklichen Theokraten der islamischen Rechten, die Hamas verachtet, abzuwehren. Die seltenen Salven von Hamasraketen, die jetzt Israel erreichen, sind eine Antwort auf israelische Angriffe.

Der Hamasführer Khaled Meshaal sagt seit Jahren, dass er und seine Partei absolut bereit seien, eine Zwei-Staatenlösung zu akzeptieren – eine implizite Anerkennung der permanenten Existenz Israels – wenn die Mehrheit der Palästinenser das billige. Meshaal spricht jetzt eher vom "Frieden" als nur von einem „Waffenstillstand“ und betrachtet die berüchtigte Hamas-Charta, die zur Zerstörung Israels aufruft, nicht länger als relevant.

Was die allerwichtigste Frage betrifft, die Frage der Anerkennung, so ist es Israel, das sich weigert, Hamas als eine legitime Partei anzuerkennen oder das Recht der Palästinenser auf einen demokratischen Staat und ihre eigene Regierung zu wählen. Inzwischen hat die israelische Regierung genau das getan, was sie der Hamas vorwirft – sie hat den Weg frei gemacht für zunehmend reaktionäre, rassistische und theokratische Gesetze. „Was die Meinung der Juden gegenüber Araber betrifft, so deuten Meinungsumfragen auf wachsenden Extremismus, der an Rassismus grenzt“, schreibt die Haaretz, „es ist also kein Wunder, dass es keinen öffentlichen Druck auf die Regierung gibt, im Friedensprozess weiter zu kommen.“

Israel gerät immer schneller unter den Einfluss extrem-rechter Theokraten und "immer mehr Israelis werden vom Symptom messianischen Denkens infiziert: 'Wir haben Recht – die ganze Welt hat Unrecht; also müssen wir nicht länger auf andere hören'", wie ein israelisch-jüdischer Kolumnist beobachtete.

Und dann ist da noch die bevorstehende Abstimmung in der UNO-Vollversammlung im September, in der Palästina voraussichtlich den vollen Status einer Nation zugesprochen wird. In Obamas Rede klang die israelische Linie durch, dass das palästinensische Bemühen um Anerkennung die Chancen für Frieden behindern. Tatsächlich würde das Votum den Friedensprozess fördern, denn es würde ein Nein sagendes Israel dem näher bringen, was es am meisten fürchtet: von der unaufhaltsamen Weltmeinung endlich zu Friedensverhandlungen gezwungen zu werden, anstatt ein Pariastaat zu werden.

Da gibt es noch einen letzten Punkt, den Obama und der amerikanische öffentliche Diskurs völlig verkehren: die Vorstellung, dass man ein Freund Israels sei, wenn man sein populäres Narrativ unterstützt. Das entspricht genauso wenig der Wahrheit wie Alices Spiegel. Wirkliche Freunde unterstützen ihre Freunde nicht bei ihrer Selbstzerstörung. Wirkliche Freunde hindern sie daran, sich an einer illusorischen Geschichte so zu betrinken, dass sie sich leichtfertig hinters Steuer setzen und auf eine Klippe zufahren (...).

Die USA haben die Macht, die Israelis von dieser Klippe fernzuhalten und sie in eine neue Richtung zu lenken. In dem weit verbreiteten israelischen Witz steckt einige Wahrheit: die USA ist der "8-Tonnen schwere Elefant, der sich überall hinsetzen kann, wo es ihm gefällt".

Ja, auch Obama kann seinen tuches überall, wo er will, hinsetzen. Wenn er sich politisch sicher genug fühlen würde, könnte er ihn auch auf den Tisch setzen. Dann sollte Israel die Spiegelwelt verlassen und dem Beginn echter Friedensverhandlungen zustimmen.

Ira Chernus ist Professor für Religiöse Studien an der Universität von Colorado at Boulder.

(dt. Ellen Rohlfs und Doris Pumphrey)

 

http://www.counterpunch.org/chernus05272011.html

 

 

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