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Alfred Grosser "Von Auschwitz nach Jerusalem -
Über Deutschland und Israel
Rowohlt Verlag, 1. Auflage September 2009,
204 Seiten, Euro 16,90
Alfred Grosser wurde 1925 in Frankfurt geboren. Sein
Vater war ein angesehener jüdischer Arzt. 1933 emigrierte die Familie nach
Frankreich, wo sein Vater kurz darauf starb. Alfred Grosser überlebte die
deutsche Besatzung mit falschen Papieren als Lehrer an einer katholischen
Schule. Nach dem Krieg protestierte er gegen Folter und Mord der französischen
Armee in Algerien und setzte sich für die deutsch-französische Verständigung
ein. Seit einigen Jahren engagiert er sich vor allem für den Frieden und die
Menschenrechte im Nahen Osten. So schrieb er im Jahre 2008 "Freund Israels zu
sein, sollte heißen, die harte Wahrheit zu sagen." Grosser bevorzugt stets
die leisen Töne: "Meinerseits möchte ich auf keinem Gebiet polemisch werden. Der
Sinn der Sache ist es , gemeinsam mit dem Leser nachzudenken, zu analysieren, zu
urteilen und vor allem aktuelle Kontroversen in eine erweiterte Betrachtung
einzubetten." (Seite 14)
Grosser beleuchtet in seinem Buch u. a. viele
Aspekte des Antisemitismus und der Judenverfolgung in der deutschen Geschichte,
aber auch die Verhaltensweisen in anderen Ländern. Und er warnt davor, den Islam
als neuen Feind zu mißbrauchen. Dabei wendet er sich gegen jede Form des
fundamentalistischen Umgangs mit dem Koran und der Bibel. "...so sind es zwei
israelische Forscher, die fast die ganze Historizität der Bibel in Frage
gestellt haben. Israel Finkelstein und Neil Asher Silbermann zeigen in "Keine
Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel" (2002), dass
es vor dem achten Jahrhundert v. Chr. kaum biblische Texte gegeben hat, dass
Abraham wahrscheinlich nie gelebt hat und viel Störendes mehr. Die beste
Forschungsbilanz aus jüngerer Zeit ist wahrscheinlich die des Italieners Mario
Liverani (Israel's history and the history of Israel, 2005)". Grosser zitiert
auch Friederich Schlegel: "Das Auslegen ist oft das Einlegen des Erwünschten."
und schreibt: "Ismael gilt als Stammvater der Araber - aber wenn Abraham nicht
gelebt hat? Doch schon Paulus sagte im Galaterbrief, dass es sich um eine
Allegorie handele: Hagar steht für das Bündnis durch das Gesetz, Sara für das
der Gnade." (Seite 109)
Grosser wendet sich gegen die grausamen biblischen
Darstellungen der, wenn man den Text wörtlich nimmt, "ersten ethnischen
Säuberungen", wie zum Beispiel in Deut. 20 beschrieben oder den Aufruf zur Rache
am Ende des Psalm 137: "Tochter Babel, du Zerstörerin / Wohl dem, der die
heimzahlt, was du uns angetan hast / Wohl dem, der deine Kinder packt / und sie
am Felsen zerschmettert." (Seite 110) Er beschreibt dann die jüdische
Einwanderung zwischen den beiden Weltkriegen, die Terroraktionen jüdischer
Geheimorganisation vor allem gegen die Engländer, den Mord an dem britischen
Kolonialminister Lord Moyne und das Attentat auf das Hotel King David am 22.
Juli 1946 mit 91 Toten.
"Der Terror ging sogar nach der Gründung des Staates
Israel weiter. Die Weltorganisation ernannte einen Vermittler, der für
Sicherheit und Frieden wirken sollte. Graf Folke Bernadotte., Mitglied der
schwedischen Königsfamilie, hatte im Februar 1945 nach schwierigen Verhandlungen
mit Heinrich Himmler mehr als zwanzigtausend überlebende Lagerinsassen nach
Schweden bringen können. Am 17. September 1948 wurde er vom LEHI, der Gruppe
Stern, ermordet." (Seite 118) Und er erwähnt auch einen anderen Terroranschlag:
" Am Abend des 27. März 1952 explodierte im Münchner Polizeipräsidium eine
Paketbombe, dabei wurde ein Mann getötet. Adressiert war die Sendung an
Bundeskanzler Adenauer. Die deutschen Ermittler kamen zwar nach und nach auf
die Spur der Attentäter, aber allen gelang es, nach Israel zu entkommen. Einer
von ihnen hielt später seine Erinnerungen an den Anschlag schriftlich fest.Dem
Journalisten Henning Sietz zufolge gab er auch den Namen des Mannes preis, der
Auftraggeber, Organisator und Geldbeschaffer des Attentats gewesen war: Menachim
Begin." (Seite 149) (Und dieser Mann wurde israelischer Ministerpräsident!!)
Grosser beschreibt Israels atomare Aufrüstung mit
französischer Hilfe und die weiteren Entwicklungen, auch hinsichtlich der Fatah
und Arafat. "Israels Politik scheint am Ende darin bestanden zu haben, ihn
(Arafat) als Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde zu schwächen, sei
es durch heimliche Unterstützung der gewalttätigen Hamas, sei es durch die
erwiesenermaßen falsche Behauptung, Arafat habe die zweite Intifada entfacht und
geleitet." (Seite 135) Und zum Scheitern der Verhandlungen schreibt Grosser:
"Von israelischer Seite werden die Angebote an die andere Seite ständig
überschätzt. Beispielsweise sagte der damalige israelische Außenminister Shlomo
Ben Ami, einer der Hauptverhandler von 2000, später: "Wenn ich Palästinenser
gewesen wäre, hätte ich die Vorschläge von Camp David auch zurückgewiesen." Nach
allem, was man heute wissen kann, waren die palästinensischen Unterhändler
bereit, sich gegen die Anerkennung der Grenzen vor 1967 mit der symbolischen
Rückkehr einiger weniger Flüchtlinge zu begnügen."(Seite 136)
Des weiteren bestätigt Grosser, daß nicht die Hamas,
sondern Israel im Dezember 2008 den Waffenstillstand vorsätzlich brach, in dem
Israel die vereinbarten Erleichterungen der Blockade verweigerte und 6
Palästinenser tötete, um die seit Monaten vorbereitete Militäraktion mit
Bombardierung und Invasion des Gazastreifens in Gang zu setzen, wie u. a. Henry
Siegman, ein ehemaliger "National director of the American Jewish Congress"
berichtete. Außerdem schreibt Grosser: "Henry Siegman weist darauf hin, dass
die Hamas keineswegs als Teil eines internationalen Terrorismus anzusehen sei,
da sie nicht zu Al-Quaida gehöre und lokal begrenzte Ziele verfolge. Er erinnert
an den Terrorismus der zionistischen Bewegung, wobei der Irgun die ersten
Anschläge auf die Zivilbevölkerung verübte. In diesem Sinn sei auch die Hamas
eine nationale Widerstandsbewegung gegen die Besatzungsmacht." (Seiten 140/141)
Besonders schockiert zeigt sich Grosser von den
Aufrufen israelischer Rechtsextremisten und Militärrabbiner, im Gazastreifen
keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. (Seiten 142/143). Grosser
wirft ebenfalls einen kritischen Blick auf die Solidaritätsbekundungen des
Zentralrats und der deutschen Parteien während des Gazakriegs mit der Wiedergabe
unwahrer Behauptungen. "In diesem Zusammenhang wird in Deutschland nie
berücksichtigt, was der israelische General Matti Peled, 1967 Mitglied
des Generalstabs, der Zeitung Le Monde 1972 gesagt hat: "Vorzugeben, dass uns
im Juni 1967 ein Genozid drohte und dass Israel für sein Überleben kämpfen mußte,
war nur ein Bluff ... Alle Geschichten, die damals liefen über die enorme
Gefahr, die uns bedrohte wegen der Enge unseres Territoriums, sind nie in
unseren Plänen vor dem Krieg einbezogen worden." (Seite 148)
Einen größeren Raum nehmen die zum Teil sehr
unterwürfigen Aussagen deutscher Politiker und die der wesentlich mutigeren
französischen Politiker zu Israel ein. Nach dem Israeli Saul Friedländer grenzt
die deutsche Kultur des Erinnerns von Leid und Verbrechen und die Selbstanklage
jedoch manchmal an reinen Masochismus. Und Grosser schreibt die deutsche
Begeisterung für Daniel Goldhagens zweifelhaftem Buch einem übertriebenen,
masochistischem Schuldbewußtsein zu. (Seite 170)
Grosser thematisiert die Instrumentalisierung von
Auschwitz und Broders Angriffe auf Andersdenkende. "Diskutieren kann Broder
selbst leider gar nicht. Er antwortet nie, er schimpft, er beschimpft nur“. Er
selbst wurde von Broder als alter Trottel bezeichnet. Dazu Grosser: "Mich stört
so etwas nicht. Was mich stört, ist, dass keines meiner Argumente beantwortet
wird. Die Beschimpfung soll die Gegenargumente ersetzen." (Seite 179)
Der bekennende Atheist Alfred Grosser stellt auf
Seite 203 insbesondere in Bezug auf die Shoa "die allzu ironische Frage":
"Entweder Gott will das Übel verhindern und kann es nicht, oder er kann es und
will es nicht, oder er will es nicht und kann es nicht, oder er will es und er
kann es nicht. ....". "Meine Quelle ist eben die Anerkennung des anderen
Menschen und die warme Vernunft, mit der man seiner und dessen Lage
entgegentreten sollte. (Seite 203)
Grossers Fazit: "Wenn
wir zu hause versuchen, die Grundwerte zu verteidigen, so sollten wir es auch
überall dort tun, wo man sich auf die gemeinsamen Werte beruft. Gerade Deutsche
sollten das tun, auch Israel gegenüber."
Siegfried Ullmann
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