TRANSLATE
Die Ursachen des Zionismus, die verschiedenen
Einwanderungswellen nach Palästina und der Terrorismus vor der israelischen
Staatsgründung
S. Ullmann
Kürzlich hieß es in einem Leserbrief: "Der Staat
Israel und die Verdrängung der Palästinenser sind eine Folge der jüdischen
Einwanderung nach 1945. Wir Deutschen haben jeden Grund, die Ursache für den
Staat Israel im Völkermord der Nazis zu beachten." Derartige Ansichten liest man
des öfteren. Sie sind aber falsch.
Der wesentlichste Auslöser des Zionismus und damit
für die Gründung des Staates Israel war nicht die Judenverfolgung und
-vernichtung durch das nationalsozialistische Deutschland und ihre Helfer,
sondern es waren die Pogrome in Osteuropa, insbesondere im zaristischen Rußland.
Dies zeigen die Einwanderungswellen aus diesen Gebieten nach Palästina im damals
osmanischen Reich.
Die jüdische Bevölkerung in Westeuropa war
weitgehend assimiliert und hatte kaum Interesse an einer Ansiedlung in Palästina
und damit am Zionismus, obwohl sie in vieler Hinsicht diskriminiert wurde. Dies
zeigte auch die Dreyfuß-Affaire in Frankreich, die der säkulare Wiener Jude
Theodor Herzl, der 1860 in Ungarn geboren wurde, in Paris aus nächster Nähe
erlebte. Sie veranlaßte Herzl zu seiner Schrift "Der Judenstaat", in der er eine
nationale Heimstatt für die Juden forderte, und die er 1896 veröffentlichte.
Nach außen hin war er sehr diplomatisch, aber aus seinen Tagebüchern geht
hervor, daß er die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung vorsah. Hintergrund
war nicht nur die Diskriminierung und Verfolgung der europäischen Juden, vor
allem in Osteuropa, sondern auch die sich ausbreitende Assimilierung. Von den
orthodoxen und von assimilierten westeuropäischen Juden wurden Herzls Ideen
abgelehnt und z.T. lächerlich gemacht.
1897 erfolgte der Gründungskongreß der Zionistischen
Weltorganisation in Basel und im Jahre 1917 die Balfour-Erklärung
Großbritanniens, in der den Juden eine nationale Heimstatt zugesagt wurde. Die
Haltung der westlichen Staaten gegenüber den Juden und den Arabern war
weitgehend von geostrategischen oder kriegerischen Eigeninteressen bestimmt.
Einer der aktivsten Zionisten wurde der in Odessa,
also in der Ukraine geborene Zeev Jabotinsky, Terrorist und Vater des
sogenannten revisionistischen Zionismus, der ein Groß-Israel beiderseits des
Jordans durch die Vertreibung der Palästinenser mit militärischer Gewalt
forderte. So schrieb er in seinem Buch "The Iron Wall: We and the Arabs",
das im Jahre 1923 erschien:
„Sie (die Palästinenser) haben die gleiche Denkweise
wie wir. Sie betrachten Palästina mit der gleichen instinktiven Liebe und wahrer
Inbrunst genau so wie jeder Azteke sein Mexiko betrachtet oder jeder
Sioux-Indianer seine Prärie. Jedes Volk will gegen eine Kolonisierung kämpfen,
bis der letzte Rest von Hoffnung, daß es die Gefahren einer Kolonisierung oder
Eroberung verhindern kann, ausgelöscht ist. Die Palästinenser werden auf diese
Weise kämpfen, bis es kaum noch einen Hoffnungsschimmer gibt.“
Jabotinskys "revisionistischer", nationalistischer
Zionismus der nichtreligiösen Rechten verstand sich als Gegensatz zum
sozialistisch oder religiös ausgerichteten Zionismus. Die Zielsetzung der
heutigen Likud-Partei basiert auf dem revisionistischen Zionismus. Ursprünglich
forderte Jabotinsky ein Groß-Israel auf dem gesamten englischen Mandatsgebiet,
das das heutige Jordanien einschloß und bis an den Irak reichte.
Jabotinsky gründete in Palästina die geheime
Terrorgruppe Irgun, die brutale Anschläge auf die englischen Besatzer und
arabische Zivilisten verübte, auch auf belebten Märkten. Daneben gab es die von
Avraham Stern gegründete Lehi-Gruppe, die von den Engländern als Lehi-Gang
bezeichnet wurde. Stern machte im Jahre 1941 den National-Sozialisten das
schriftliche Angebot, Deutschland aktiv im Krieg gegen die Engländer zu
unterstützen, gegen die Zusage für "the establishment of the historic Jewish
state on a national and totalitarian basis", nachdem die Engländer vertrieben
wurden. (Quelle: Wikipedia in englischer Sprache unter Revisionistischer
Zionismus.)
1882 lebten im britischen Mandatsgebiet Palästina 24
000 Juden unter 450 000 muslimischen und christlichen Arabern. Von einem Land
ohne Volk für ein Volk ohne Land konnte also nicht die Rede sein. Das war eine
propagandistische Erfindung.
Es folgten dann mehre Einwanderungswellen, ausgelöst
vor allem durch Pogrome in Rußland und Polen:
1882-1903 - 20 000 - 30 000 Einwanderer aus
Rußland
1904-1914 - 35 000 - 40 000 aus Rußland, Polen
1919-1923 - ca. 35 000 aus Rußland, bzw.
Sowjetunion, Polen
1924-1931 - ca. 80 000 aus
Polen, Sowjetunion
1932-1938 - ca. 200 000 aus
Polen, Deutschland
1939-1945 - ca. 80 000 aus
Polen, Deutschland, Rumänien, Ungarn,
1946-1948 - ca. 56 000 aus
Polen und Rumänien
Von den 200 000 Einwanderern der 5.
Einwanderungswelle kamen 80 000 aus dem deutschsprachigen Raum. (Quelle:
Informationen zur politischen Bildung, Nr. 278, Israel)
Die Einwanderungswelle im Jahre 1913 wurde durch den
Pogrom in der Stadt Kischinew im russischen Bessarabien und heutigen
Moldawien ausgelöst. Vorbereitet wurde er von einer antisemitischen Zeitung und
dann von einem russisch-orthodoxen Priester angeführt. Die Angaben zu den
getöteten Juden schwanken zwischen 47 und 150. Weitere Pogrome gab es im Jahre
1905, die zu jüdischen Auswanderungen nach Amerika und Palästina führten.
Die Mehrzahl der Juden, die nach Palästina
einwanderten, kam also aus Rußland und Polen. Dies zeigen auch die Biographien
der israelischen Ministerpräsidenten, die alle aus Osteuropa kamen oder
polnische, russische oder ukrainische Wurzeln hatten.
Während der Nazi-Herrschaft in Deutschland gab es
bis zum Beginn des 2. Weltkrieges und teilweise auch noch nach dessen Beginn,
eine Zusammenarbeit mit den Vertretern des internationalen Judentums, die eine
Auswanderung deutscher Juden nach Palästina förderten.
Im Jahre 1947 lebten 1,3 Millionen Araber und 608
000 Juden in Palästina. Wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen Arabern, Juden und
der englischen Mandatsmacht erfolgte schließlich die Teilung in ein jüdisches
und ein arabisches Gebiet sowie in eine neutrale Enklave Jerusalem durch die
UN-Resolution 181. Diese Resolution gilt bis heute als völkerrechtliche
Legitimation sowohl des Staates Israels als auch des palästinensischen
Rechtsanspruchs auf einen eigenen Staat. Zu dieser Resolution hatte die Lage der
Holocaustüberlebenden, die fast niemand aufnehmen wollte (Siehe: "Das
ungeliebte Volk" von David S.Wyman) sicherlich beigetragen. Die Zionisten
wollten sich aber von Anfang an nicht mit dem ihnen zugesprochenen Gebiet
begnügen, sondern sahen dies nur als eine vorläufige Regelung. So erklärte
Ben Gurion: „Wenn wir durch die Gründung des Staates zu einer starken Macht
geworden sind, werden wir die Teilung aufheben und uns auf ganz Palästina
ausdehnen.“ (Quelle: „Offene Wunde Nahost“ von Noam Chomsky)
Kurz vor, besonders aber ab der Staatsgründung
erfolgte eine weitere Masseneinwanderung durch Überlebende des Holocausts,
sowie durch Juden aus islamischen Ländern, was in Israels Interesse lag, um den
jüdischen Bevölkerungsanteil zu vergrößern. Als die irakischen Juden lieber in
Bagdad bleiben wollten, verübte dort der israelische Geheimdienst Anschläge auf
Synagogen und andere jüdische Einrichtungen, um sie der arabischen Bevölkerung
anzulasten und auf diese Weise die Auswanderung der Juden zu veranlassen. Den
Zionisten, die eine jüdische Mehrheit in Palästina wollten, fehlten ja die
ermordeten europäischen Juden.
Die von 1939 bis 1945 aufgrund der von Deutschland
aus betriebenen Judenverfolgungen nach Palästina geflüchteten Juden wollten nach
dem 2. Weltkrieg mehrheitlich nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, weil sie
nicht wieder in Deutschland oder unter dem Kommunismus leben wollten und es
besonders im sowjetischen Machtbereich weiterhin antisemitische Tendenzen gab.
In Polen wurden sogar noch nach 1945 Pogrome verübt. Am bekanntesten ist der
Pogrom von Kielce, einer Stadt 170 km südlich von Warschau. Dort waren etwa 200
überlebende Juden in ihren Heimatort zurückgekehrt. Fast alle wohnten gemeinsam
in einem großen Gebäude. Am 4. Juli 1946 wurde nach einer falschen Anschuldigung
das Gebäude von Polizisten und Zivilisten gestürmt und mindestens 42 Juden
grausam umgebracht. Den genauen Bericht finden Sie im Internet unter "Ganz
langsam gesteinigt" aus Spiegel 27/1996. Darin heißt es außerdem: "In den
Städten Krakau, Tschenstochau, Radom und Ostrowiec kam es in den Jahren 1946 und
1954 zu ähnlichen Exzessen. Zwischen 1500 und 2000 Juden, die meisten hatten
deutsche Vernichtungslager überlebt, wurden in diesen ersten beiden
Nachkriegsjahren von Polen erschlagen, erstochen, gesteinigt."
Auch während der deutschen Besatzung haben Polen
Juden ermordet, z.B. am 10. Juli 1941 in Jedwabne. Dort wurden etwa 200 Juden in
eine Scheune getrieben und verbrannt.
Polen hatte bis zum Jahre 1939 den größten jüdischen
Bevölkerungsanteil. Entsprechend groß war auch der Antisemitismus in der
Bevölkerung. Aber dieses Kapitel seiner Geschichte wird in Polen weitgehend
verdrängt. Meines Wissens wurden von jüdischer Seite von Polen nicht einmal die
Rückgabe oder Entschädigung jüdischen Eigentums verlangt.
Der israelischen Staatsgründung waren die
terroristischen Aktionen der militanten Zionisten gegen die koloniale englische
Beatzungsmacht und die arabische Bevölkerung vorausgegangen. Ohne diese wäre es
wohl nicht zu der Staatsgründung nach der Teilung Palästinas durch die UN
Resolution 181 gekommen. Ob die durch die Welt gehenden furchtbaren Bilder von
den befreiten Konzentrationslagern bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung
am 29. November 1947 zu dem hohen Anteil der Pro-Stimmen beigetragen haben, läßt
sich nicht belegen. 33 Staaten votierten dafür (etliche Kleinstaaten durch den
Druck der USA), 13 (einschließlich GB) dagegen und 10 enthielten sich der
Stimme. (Siehe z. B. unter Resolution 181 im Internet.)
Nach der Besetzung des Gazastreifens und des
Westjordanlandes im Jahre 1967 und der Verweigerung eines Palästinenserstaates
griffen die Palästinenser zu den gleichen Mitteln, die die jüdischen
Untergrundorganisationen gegen die englische Besatzungsmacht angewendet hatten.
(Siehe meine früheren Text "Wer brachte den Terrorismus nach Palästina")
Die Kämpfer der Hamas, PLO etc. wollen das Gleiche wie damals die Irgun, Haganah
etc, nämlich das Ende einer Besatzung und Selbstbestimmung in einem eigenen
Staat. Dabei haben sie die größere Legitimität durch ihren völkerrechtlichen
Rechtsanspruch. In Afrika, Asien und Südamerika konnten die Völker das koloniale
Joch auch nur durch einen bewaffneten Kampf abschütteln. Es bedurfte
einsichtiger Politiker, wie De Gaulle, der den Algerienkonflikt beendete oder
eine Niederlage der Kolonialherren oder Besatzer, wie in Vietnam oder
internationalen Drucks mit ökonomischen Konsequenzen, wie in Südafrika, die zum
Ende der Kolonialherrschaft führten. Aber die israelische Regierung glaubt immer
noch, daß das Recht des Stärkeren über dem Völkerrecht steht und daß das Militär
dauerhaft alle Freiheitsbestrebungen der Palästinenser in den besetzten Gebieten
unterdrücken kann.
S. Ullmann
Januar 2013
|