Notiz
von Mohssen Massarrat vom 20.12.09 anlässlich der
Kontroverse „Linke und Iran“ im ND vom 18.12.09
Liebe Kollegen,
ich bin erstaunt über die Angriffe von Herrn Mellenthin
gegen meine Person. Ich möchte mich nicht auf dasselbe
Niveau begeben, beschränke mich lediglich auf den Hinweis,
dass ich gegenüber der Atompolitik der iranischen Regierung
sehr wohl, und zwar seit langem, für ein anderes
friedenspolitisches Konzept, nämlich die gemeinsame
Sicherheit im Mittleren und Nahen Osten eintrete, das auf
den Abbau aller Atomwaffen in der Region (d. h. also auch
die israelischen Atomwaffen) und die Abrüstung bei
konventionellen Waffen abzielt. Dies ist m. E. eine viel
bessere Alternative als eine Aufrüstung auf der iranischen
Seite, um dem Sicherheitsdilemma (atomare Überlegenheit
Israels) Paroli zu bieten. Es müsste doch möglich sein, auf
der eigenen Analyse der Fakten und Konsequenzen die
Atom-Politik der iranischen Regierung zu kritisieren ohne
gleich mit solchen Initiativen wie "Stop the Bomb", die
einen Krieg gegen Iran geradezu herbeiwünschen, in einen
Topf geworfen zu werden.
Ich möchte Herrn Mellenthin bitten, sachlich zu bleiben und
meine Schriften zu meiner Alternativlösung für Iran z. B. in
den "Blättern für deutsche und internationale Politik", Heft
4, 2004, zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, dass ich mich
zusammen mit IPPNW seit 3 Jahren für eine
zivilgesellschaftliche Modellkonferenz für gemeinsame
Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO)
einsetze.
Informationshalber möchte ich allerdings noch darauf
hinweisen, dass der gegenwärtige iranische Präsident nach
seiner Wahl 2005 sehr wohl den damals in die Sackgasse
geratenen Atomkonflikt angeheizt und mit seiner Politik
einen Krieg von Bush, Cheney u. a. riskiert hat. Die
Friedensbewegung hat sich vehement gegen die
Kriegsbestrebungen gewandt und wird auch in Zukunft das
gleiche tun. Ich bin froh, einen kleinen Beitrag dabei
geleistet zu haben gegen einen Krieg und zwar nicht aus
ideologischen Gründen, sondern in allererster Linie aus
Verbundenheit mit meinen Landsleuten. Es ist grotesk, ja
geradezu ein Witz, wenn einige wie Herr Mellenthin glauben,
mir und anderen Iranerinnen und Iranern bei unserm Einsatz
gegen einen Iran-Krieg Ratschläge geben zu müssen.
Ich möchte weitere mails von Herrn Mellenthin nicht
beantworten, weil ich den verleumderischen Stil für
abwegig, nutzlos und kontraproduktiv halte. Gern wäre ich
aber bereit, mich über linke Positionen zum
Iran-Atomkonflikt in ND oder anderen Medien an einem
öffentlichen Diskurs zu beteiligen.
Mit besten Grüßen
Mohssen Massarrat
Knut Mellenthin schrieb:
Die iranische Opposition und
der Atomstreit -
Ein notwendiger Nachtrag
Liebe Kollegen,
Das "Neue Deutschland" hat in seiner Ausgabe vom 18.
Dezember Mohssen
Massarrat und mich unter der Überschrift "Streitfrage: Kann
Iran ein
Bündnispartner für linke Bewegungen sein?" zu Wort kommen
lassen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161372.auf-die-spitze-getrieben.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161373.das-recht-auf-seiner-seite.html
Massarrats Text spricht weitgehend für sich selbst. Dennoch
möchte ich
seine Polemik gegen die iranische Außenpolitik im
Schlussabsatz nicht
unkommentiert stehen lassen:
"Auch außenpolitisch mag Ahmadinedschad durch seine
antiisraelische und
antiamerikanische Rhetorik in der islamischen Welt und in
Teilen der
Dritten Welt Punkte gemacht haben. Seine Politik, den
Atomstreit mit dem
Westen eskalieren zu lassen, ist jedoch nicht im Geringsten
ein Zeichen
der nationalen Souveränität, sie hat vielmehr den
Kriegstreibern in den
USA und Israel in die Hände gearbeitet, das Feindbild Iran
gestärkt und
dem militär-industriellen Komplex neue Nahrung geliefert."
Dies entspricht leider dem vorherrschenden Stil iranischer
Oppositioneller, mit primitivem, billigen und inhaltslosen
Ahmadinedschad-Bashing Punkte machen zu wollen. Sie nutzen
damit den
Vorteil, als Trittbrettfahrer mit der mächtigen westlichen
Mainstream-Propaganda zu reisen. So weit diese Art
unfruchtbarer Polemik
auf den internationalen Streit um das zivile Atomprogramm
des Irans
ausgeweitet wird, arbeitet sie letztlich ungewollt den
Kriegstreibern in
die Hände. Denn es geht dabei weder um eine kritische
Auseinandersetzung
mit der Politik Irans in diesem Streit noch um Vorschläge
für ein
alternatives Agieren, sondern ausschließlich um
Diskreditierung und
Delegitimierung der iranischen Position.
Es ist nicht ohne innere Logik, dass eine Reihe von
iranischen
Exil-Oppositionellen mittlerweile als nützliche Idioten bei
der
zionistischen Kampagne "Stop the Bomb" gelandet sind, die
die
internationale Isolierung Irans und seine Aushungerung durch
Sanktionen
zum offen erklärten Ziel hat.
Dem Präsidenten-Bashing sind einige Tatsachen entgegen zu
halten:
Mahmud Ahmadinedschad ist erst seit Anfang August 2005 im
Amt. Er hat
weder den Streit um das iranische Atomprogramm noch die
Kriegsdrohungen
der USA und Israels erfunden, sondern hat diesen Konflikt
von seinen
Vorgängern, die heute zur Opposition gehören oder sie
unterstützen,
geerbt.
Zunächst in erster Linie Israel, dann zunehmend auch die
USA, verdächtigen
den Iran schon seit den späten 1980er Jahren, erstens sich
illegal
Atomwaffen auf dem internationalen Markt verschaffen zu
wollen und
zweitens insgeheim, unter Bruch des Nuclear
Non-Proliferation Treaty
(NPT), an der Entwicklung eigener Atomwaffen zu arbeiten.
Eine Flut von
Lügen wurde im Lauf der Jahre in die Welt gesetzt, um dieser
Kampagne
Stoff zu geben. Seit etwa 1988 oder 1989 lautet die
zionistische
Propagandaparole, dass Iran nur noch fünf Jahre von der
Bombe entfernt
sei. Die Angaben der US-amerikanischen Geheimdienste sind
nicht wesentlich
zurückhaltender. Die Aufrechterhaltung dieser evidenten
Lügen bedarf
natürlich permanenter "Neueinschätzungen".
Am 29. Januar 2002 führte Präsident George W. Bush in seiner
State of the
Union Address den Begriff der "Axis of Evil" ein, als deren
Teile er
namentlich Irak, Iran und Nordkorea angriff. Dies kam im
Kontext der Rede
einer Kriegserklärung auf Vorrat gleich, die zu jeweils
gegebener Zeit
vollstreckt werden würde.
Im August 2002 "enthüllte" der US-amerikanische Sprecher des
National
Council of Resistance, einer Frontorganisation der
sogenannten
Volksmudschaheddin, die Existenz zweier im Bau befindlicher
Anlagen: einer
Anlage zur Uran-Anreicherung in Natanz und einer Fabrik zur
Herstellung
von schwerem Wasser in Arak. Die Baustellen waren den
Geheimdiensten
mehrerer Länder offenbar schon seit längerer Zeit durch
Satellitenaufnahmen bekannt; das Material war dem NCR zu
Propagandazwecken
zugespielt worden.
Iran war nach dem NPT nicht verpflichtet, der
Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA) die Existenz dieser Baustellen
bekannt zu geben:
Die Herstellung von Schwerem Wasser fällt gar nicht in die
Zuständigkeit
der IAEA. Und die Anlage in Natanz hätte der Wiener Behörde
erst sechs
Monate vor der geplanten Einführung von radioaktivem
Material gemeldet
werden müssen. Beides waren also keine "Geheimanlagen",
beide verstießen
nicht gegen Irans Verpflichtungen aus dem NPT. Trotzdem war
die westliche
Propaganda in diesem Fall außerordentlich erfolgreich.
Begünstigt wurde
das auch dadurch, dass die damalige iranische Führung sich
wenig Mühe gab,
der internationalen Öffentlichkeit den tatsächlichen
Sachverhalt und die
Rechtslage nach dem NPT zu erklären.
In Folge dieser "Enthüllungen" ging der Iran im Jahre 2003
eine
Zusammenarbeit mit der IAEA ein, die - jedenfalls nach
iranischem
Verständnis - dazu dienen sollte, alle eventuell vorhandenen
unklaren
Vorgänge in der Entwicklung des iranischen Atomprogramms
aufzuarbeiten und
aufzuklären. Es ist in diesem Zusammenhang daran zu
erinnern, dass es sich
ausschließlich um zurückliegende Vorgänge aus der Zeit vor
der
Präsidentschaft Ahmadinedschads handelte. Verantwortlich
wären dafür
allenfalls Ex-Ministerpräsident Mussawi (1981-1989), der bei
der
Präsidentschaftswahl im Juni dieses Jahres als Kandidat der
Opposition
auftrat, Ex-Präsident Rafsandschani (1989-1997), der jetzt
hauptsächlich
die Opposition unterstützt, und Ex-Präsident Khatami
(1997-2005), der
schon in seiner Amtszeit als "Reformer" galt und jetzt einer
der
maßgeblichen Oppositionspolitiker ist.
Aufgrund der Drohungen der Westens, denen gegenüber Russland
und China
sich seltsam passiv und opportunistisch verhielten, sah sich
die damalige
iranische Führung genötigt, im Oktober 2003 einem mit dem
EU-Trio
(Deutschland, Frankreich und Großbritannien) ausgehandelten
Moratorium
zuzustimmen, durch das sich Iran zur Einstellung aller mit
der
Uran-Anreicherung verbundenen Arbeiten für die Dauer der
Verhandlungen mit
dem Trio verpflichtete. Offiziell handelte es sich
allerdings um eine
"freiwillige vertrauensbildende Maßnahme".
In den Verhandlungen sollte es angeblich darum gehen, sich
auf
"zufriedenstellende Garantien" für den rein friedlichen
Charakter des
iranischen Atomprogramms zu einigen. Iran verstand darunter
eine
Verdichtung der Kontrollmaßnahmen durch die IAEA und war zu
weitgehenden
Zugeständnissen über die Verpflichtungen aus dem NPT hinaus
bereit.
Hingegen wollte das EU-Trio, wie sich bald herausstellte, im
Einvernehmen
mit den USA absolut nichts anderes akzeptieren als einen
zeitlich
unbefristeten vollständigen Verzicht Irans auf die
Uran-Anreicherung. Das
widerspräche den Rechten Irans aus dem NPT und würde für das
Land einen
weltweit erst- und einmaligen diskriminierten Sonderstatus
konstituieren.
Im Laufe des Jahres 2004 verschärften sich infolgedessen die
Auseinandersetzungen. Diese betrafen auch den exakten
Geltungsbereich des
Moratoriums vom Oktober 2003. Die damalige iranische Führung
versuchte
ihre Auffassung durchzusetzen, dass sich dieses lediglich
auf die
eigentliche Anreicherung beziehe, nicht aber auf die in
Isfahan
praktizierte Vorstufe, bei der Roh-Uran in Gas umgewandelt
wird. Letztlich
ließ Iran sich aber aus schwer nachvollziehbaren, nicht
öffentlich
diskutierten Gründen darauf ein, im November 2004 ein
zweites mit dem
EU-Trio ausgehandeltes Moratorium zu unterzeichnen, das
nunmehr mit
absoluter Eindeutigkeit vorschrieb, alle mit der
Anreicherung verbundenen
Arbeiten, einschließlich des Konversionsprozesses in Isfahan,
für die
gesamte Dauer der weiteren Verhandlungen, also praktisch
ohne zeitliches
Limit, zu unterbrechen.
Als Gegenleistung hatte das EU-Trio lediglich in Aussicht
gestellt, dem
Iran zu einem im Abkommen nicht geregelten späteren
Zeitpunkt ein
"Anreiz-Paket" zu präsentieren, das diesem nach westlichem
Verständnis
einen dauerhaften Verzicht auf eine eigene
Uran-Anreicherung, also auf
eine vom internationalen Markt unabhängige Produktion von
Nuklearbrennstoff für Kernkraftwerke, schmackhaft machen
sollte. Die
Vorlage dieses "Pakets" zögerte das EU-Trio jedoch immer
wieder hinaus.
Nachdem die drei Staaten schließlich zugesagt hatten, dem
Iran ihre
Vorschläge spätestens Ende Juli 2005 vorzulegen, kündigten
sie kurzfristig
eine nochmalige Verschiebung an. Das wäre darauf
hinausgelaufen, dass das
"Paket" erst im August nach der Amtseinführung des neuen
Präsidenten
Ahmadinedschad übergeben worden wäre.
Daraufhin unternahm der "Reformer" und jetzige
Oppositionspolitiker
Khatami in seinen allerletzten Amtstagen eine bis heute
rätselhafte
Initiative, mit der er die Weichen für seinen Nachfolger
stellte: Khatami
erklärte zum einen, dass die Vorschläge des EU-Trios - die
zu diesem
Zeitpunkt noch gar nicht offiziell übergeben worden waren,
aber dem Iran
offenbar schon durch geheime Kanäle bekannt waren - "völlig
unzureichend"
seien. Sachlich gesehen hatte er damit wohl Recht.
Allerdings verzichtete
die damalige iranische Führung leider darauf, sich mit den
EU-Vorschlägen
öffentlich auseinanderzusetzen.
Khatami gab zweitens den Ausstieg aus dem Moratorium und die
Wiederaufnahme einiger vorbereitender Arbeiten für die
Uran-Anreicherung
bekannt. Das EU-Trio, das auch im Namen der Iran-Sechs (das
heißt neben
den drei Staaten noch USA, Russland und China) sprach,
verkündete
daraufhin sofort den Abbruch der seit 2003 geführten
Verhandlungen. Diese
Verhandlungen sollten, so das Votum der Iran-Sechs, erst
nach einer
Rückkehr Irans zum Moratorium wieder aufgenommen werden.
Dies war die Situation, die Ahmadinedschad zu Beginn seiner
Amtszeit
vorfand. Dass er irgendeine "Wende", gar eine "Verschärfung"
und
"Eskalation" im Atomstreit veranlasst habe, ist eine
erfolgreiche
westliche Propagandalüge. Von iranischen Oppositionellen
vorgetragen, die
den wirklichen Sachverhalt kennen, ist sie eine Infamie,
zumal der Vorwurf
niemals sachlich begründet und erläutert wird.
Bezeichnenderweise gibt es
von dieser Seite keine praktischen Vorschläge, wie Iran
ihrer Meinung nach
alternativ in diesem zentralen, existenziellen Konflikt
agieren könnte und
sollte. Mussawi scheute sich andererseits nicht einmal, der
iranischen
Regierung sofort "Ausverkauf" vorzuwerfen, als sich im
Oktober ein
partieller Kompromiss anzudeuten schien.
Praktisch hat Iran in der Amtszeit von Präsident
Ahmadinedschad immerhin
erreicht, dass die 2005 von den Iran-Sechs abgebrochenen
Verhandlungen
wieder aufgenommen wurden - womit die Forderung nach
Rückkehr zum
Moratorium stillschweigend fallen gelassen wurde - und dass
sich die USA
jetzt direkt an den Verhandlungen beteiligen, was sie
jahrelang
kategorisch abgelehnt hatten. Das verdankt sich übrigens
nicht Obama: Die
Wende wurde schon im letzten Amtsjahr von Bush, 2008,
eingeleitet.
Knut Mellenthin, 21.12.2009
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