Das
iranische Volk stürzte 1979 die 2500 Jahre alte Monarchie,
um den Weg für Demokratie und soziale Gerechtigkeit
freizumachen. Durch die Etablierung der islamischen
Theokratie wurden nicht nur die Ideale der Revolution
verraten, sondern auch die unter der Monarchie
vorherrschenden klientelistisch-rentierstaatlichen
Herrschaftsstrukturen restauriert. Dreißig Jahre danach
erleben wir heute eine neue revolutionäre Phase in der
iranischen Geschichte, die - alle Indizien sprechen dafür –
nicht mehr aufzuhalten ist. Und dies trotz brutaler Gewalt
der sogenannten Revolutionswächter und paramilitärischen
Bassidjis, trotz der Tötung unzähliger Menschen, trotz der
Verhaftung von unzähligen Aktivisten und der gesamten
Führungskader der islamischen Reformbewegung und trotz des
Verbote und der Unterdrückung aller Medien und
Kommunikationsmittel der Bewegung.
Ayatollah
Khamenei hat durch die Legitimierung des größten
Wahlbetruges in der iranischen Geschichte sich selbst
delegitimiert. Ihm und dem angeblichen Wahlsieger
Ahmadinedschad sind der Machterhalt und die gewaltsame
Aneignung der Öleinnahmen und gesellschaftlichen Reichtümer
zur Zementierung einer theokratischen Diktatur und
rückwärtsgewandter Staatsideologie offensichtlich wichtiger
als der Wille des Volkes. Die Theokratie spaltete die
iranische Gesellschaft von Anfang an in Systemtreue und
Systemgegner, sie öffnete so den Weg dafür, einen immer
größeren Teil der Bevölkerung von der Teilhabe an Ressourcen
und Macht auszuschließen. Sie schaffte die Grundlage dafür,
dass machthungrige Ideologen im Namen des Islams die
Staatseinnahmen an allen Kontrollorganen vorbei für den
Ausbau der eigenen Machtbasis plünderten.
Ahmadinedschad hat während seiner Amtszeit diese Politik bis
zum Exzess betrieben, er hat sich geweigert, dem Parlament
gegenüber für seine selbstherrliche Politik Rechenschaft
abzulegen, er hat durch seine archaische Politik des
Verteilens von Almosen ausschließlich selbstherrlich und
nach eigenem Gutdünken die iranische Wirtschaft in die Krise
gestürzt, der Inflation und der Bodenspekulation neuen
Auftrieb gegeben und so die Reichen reicher und die Armen
ärmer gemacht.
Auf seine
populistische Masche fallen nur noch religiös Gutgläubige,
ideologisch Verblendete oder Uninformierte in den ländlichen
Gebieten herein. Bereitwillig folgen Ahmadinedschad jedoch
alle diejenigen Staatsangestellten, Revolutionswächter,
Bassidjis, die in seiner
Amtszeit zu Geld und Macht gekommen sind.
Mit dem
gigantischen Wahlbetrug am 12. Juni 2009 – darüber besteht
nicht der geringste Zweifel – hat Ahmadinedschad die Geduld
der Iraner überstrapaziert. Er und Ayatollah Khamenei haben
die Intelligenz der Iraner beleidigt, sie Menschen
erniedrigt und ihre Würde verletzt.
Mahmud
Ahmadinedschad ist nicht der Mann, der unnachgiebig die
Interessen der Armen vertritt, unerschrocken die Korruption
bekämpft und mutig dem Imperialismus die Stirn bietet, für
den ein Teil der gutgläubigen, uninformierten und
ideologisch geblendeten Linken in Deutschland und der Welt
ihn hält.
Leider
wurden auch die südamerikanischen Präsidenten, wie Hugo
Chavez, Opfer der eigenen Oberflächlichkeit und des
verantwortungslosen Umgangs mit den wirklichen Verhältnissen
im Iran. Die Positionierung von Chavez und anderen in
Südamerika steht in krassem Widerspruch zu den
emanzipatorischen Idealen des „Sozialismus im 21.
Jahrhundert“. Universelle Rechte dürfen nicht
taktisch-geopolitischen Denkspielen geopfert werden. Mit der
Anerkennung Ahmadinedschads haben Chavez und andere linke
Staatspräsidenten der Reform- und Emanzipationsbewegung im
Iran großen Schaden zugefügt.
Diese Art
von linken und antiimerialistischen Postitionen irren sich
nicht nur im Hinblick auf Ahmadinedschad, sondern auch
hinsichtlich des Charakters der Volksbewegung und ihrer
Führung. Die Trennlinie zwischen Befürwortern und Gegnern
der Volksbewegung verläuft nicht zwischen Arm und Reich,
zwischen Nord und Süd, zwischen Stadt und Land, nein, sie
verläuft einzig und allein zwischen Befürwortern und Gegnern
der theokratischen Diktatur, zwischen illegitimer
Gewaltherrschaft und demokratisch emanzipatorischer
Sehnsüchte der überwältigenden Mehrheit der Iranerinnen und
Iraner.
Die
Volksbewegung ist daher klassen- und schichtübergreifend. Zu
ihr gehören fromme Moslems wie Laizisten,
traditionalistische wie moderne westlich orientierte Frauen
und Männer, ältere Menschen wie vor allem junge Frauen und
Männer, Intellektuelle wie Arbeiter, Reiche wie Arme. Diese
Volksbewegung ist nach übereinstimmenden Beobachtungen
breiter als diejenige Volksbewegung während der islamischen
Revolution. Sie als eine von außen gesteuerte „orangene
Revolution“ zu bezeichnen, grenzt fast an Dummheit und ist
eine unverzeihliche Beleidigung für alle emanzipatorischen
Bewegungen.
Mir Hussein
Mussawi, der Präsidentschaftskandidat der Reformbewegung,
ist nicht, wie manche aus Unwissenheit oder in bewusst
irreführender Absicht unterstellen, ein Mann des Westens. Er
ist ein frommer Moslem und ein Mann der islamischen
Revolution der ersten Stunde. Er ist im Lager der
Konservativen immer noch verankert und bezeichnet sich
selbst als prinzipientreuen Reformer.. Sein Fernsehduell mit
Ahmadinedschad und sein konsequentes Eintreten für Neuwahlen
haben ihn zu einem glaubwürdigen und standhaften Politiker
auf der Seite des Volkes werden lassen. Er ist
offensichtlich auch entschlossen, seinen Kampf gegen die
Theokratie fortzusetzen.
Mussawi hat
als erster großer Politiker in der Geschichte der
Islamischen Republik dem geistigen Führer Nein gesagt und
damit dessen Autorität erschüttert. In allen seinen
bisherigen Kommuniqués hat er die Volksbewegung zur
Fortsetzung des gewaltfreien Widerstandes aufgerufen und
geschworen, sein eigenes Leben für das gemeinsame Ziel der
Abschaffung der Tyrannei zu opfern. In der gegenwärtigen
Phase der Revolution eint das Volk und die Führung der
Reformbewegung das gemeinsame Ziel, die theokratische
Diktatur zu überwinden.
Die
Gestaltung der künftigen iranischen Gesellschaft in der
nachrevolutionären Ära und welcher Weg dann beschritten
werden soll, bleibt einzig und allein dem Volkswillen in
Freiheit vorbehalten und kann nicht schon jetzt
vorweggenommen werden.
Die
Revolution im Iran hat schon jetzt große Ausstrahlung auf
alle Menschen im Mittleren und Nahen Osten, nicht zuletzt
auch auf Teile der Friedensbewegung in Israel. Ihr Sieg und
die erfolgreiche Demokratisierung würde alle diktatorischen
Regime in der Region erschüttern, die Völker zur
Emanzipation ermutigen und nach Jahrzehnten dunkler Zeiten
von Krieg, Zerstörung und Elend eine Perspektive für
Prosperität, Demokratie und Frieden eröffnen.
Wir weisen
alle Versuche, die Revolution im Iran zu diskreditieren, mit
aller Entschiedenheit zurück und fordern alle sozialen,
antikapitalistischen, antihegemonialen
Emanzipationsbewegungen in Deutschland, in Europa und in der
ganzen Welt auf, die iranische Volksrevolution nach Kräften
zu unterstützen und sich für die Freilassung aller
politischen Gefangenen, für Demonstrations- und
Pressefreiheit im Iran einzusetzen.