Frau Bundesministerin
Dr. Ursula PLASSNIK
BM für Auswärtige Angelegenheiten
Minoritenplatz 8
1014 Wien
Wien, 06. November 2006
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
mit großer Besorgnis haben wir von der Ernennung
des extremrechtsgerichteten Knesseth-Mitglieds
Avigdor Lieberman als Minister für Strategische
Bedrohung im israelischen Parlament erfahren.
Seine politische Partei, Yisrael Beitenu,
vertritt die ethnische Säuberung und den
Transfer von Arabern auf beiden Seiten der Green
Line, sie offen als demographische und
strategische Bedrohung bezeichnend. Die Araber
innerhalb Israels sind Staatsbürger und leben
seit Jahrhunderten auf ihrem Land sowie die
Palästinenser in den Besetzten Gebieten.
Zusätzlich drängt Hr. Lieberman auf die
Verhängung der Todesstrafe für arabische
Mitglieder der Knesseth, die er der
Kollaboration mit „Terroristen“ im Mai 2006
beschuldigte. Vor einigen Jahren hat er sogar
die Bombardierung des Assuan Damms in Ägypten
befürwortet.
Das Treffen des EU-Vertreters für Allgemeine
Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana,
mit Hrn. Lieberman ist weiters besonders
alarmierend, da die Europäische Union die
aktuelle palästinensische Regierung boykottiert
und eine Kollektivstrafe über die gesamte
palästinensische Bevölkerung von fast 4.000.000
verhängte. Dieses Verhalten hat zu einer enormen
humanitären Katastrophe in vielen Teilen in den
Besetzten Palästinensischen Gebieten, speziell
im Gaza-Streifen, geführt. Die Begründung für
diesen Boykott war, dass die demokratisch
gewählte Hamas Israel nicht anerkennt.
Wir glauben, dass in Hinsicht auf die aktuellen
Entwicklungen es einen klaren Doppelstandard
gibt in der Beurteilung der Hamas und der neuen
israelischen Regierung durch die EU. Diese
Meinung verstärkte sich im Lichte der konstanten
Vernachlässigung und Übergehung der EU der
unzähligen Menschenrechtsverletzungen,
einschließlich des kürzlichen Einsatzes neuer,
illegaler und tödlicher Waffen in Gaza und im
Libanon, und der Kriegsverbrechen, die dort von
der israelischen Armee verübt werden.
Es ist noch nicht lange her, dass die Regierung
Israels seinen Botschafter aus Österreich
abgezogen hat, als die Partei Jörg Haiders, die
FPÖ, Teil der österreichischen Regierung wurde.
Die politische Philosophie Avigdor Liebermans
ist gemäß des bekannten israelischen
Journalisten der Zeitung Ha’aretz, Akiva Eldar,
viel schlimmer. Dr. Haider hat niemals zur
Deportation einer Gruppe von Bürgern aufgerufen.
Er hat niemals ein antisemitisches Statement
abgegeben. Und doch hat Israel versucht sich in
die österreichische Politik einzumischen, indem
sie den Botschafter abgezogen hat. Liebermann
ist ein offener Rassist und vertritt Meinungen,
die in europäischen Staaten Grund für Besorgnis
geben könnte.
Die Ernennung Avigdor Liebermans durch den
israelischen Premierminister wird die gesamte
palästinensische Bevölkerung gefährden, sowohl
den Teil der als israelische Staatsbürger in
Israel lebt, als auch diejenigen in den
Besetzten Palästinensischen Gebieten. Dieser
Mann ist nun federführend für die iranischen
Angelegenheiten und kann sehr wohl eine Gefahr
für den Weltfrieden werden. Wir denken, dass es
höchst fragwürdig für die österreichische
Regierung ist, Rassismus und ethnische
Säuberungen zu legitimieren durch die
Anerkennung der rassistischen Regierung in
Israel, die immer erklärt hat ein demokratischer
Staat zu sein.
Wir fordern sie dringend auf, energisch gegen
die Ernennung Avigdor Liebermans in das
israelische Kabinett Stellung zu nehmen und sich
auf den entsetzlichen politischen Leumund zu
beziehen, auf den wir oben hingewiesen haben.
Zusätzlich möchten wir nochmals unsere Stimmen
gegen den Boykott der palästinensischen
Regierung nach den demokratischen Wahlen im
Januar 2006 erheben, gegen die Kollektivstrafe
des palästinensischen Volkes durch die Regierung
Israels und deren Armee, gegen die fortwährenden
Tötungen von Zivilisten, die Abriegelung des
Gaza-Streifens, die Unterbindung der Lieferung
humanitärer Hilfe, einschließlich Nahrung,
Medikamente und ärztlicher Hilfe an die
Zivilbevölkerung und des fortwährenden
Diebstahls palästinensischen Grund und Bodens
durch die Errichtung der Apartheid-Mauer und die
Vergrößerung illegaler jüdischer Siedlungen.
Als Juden erinnern wir uns an die jüngere
Geschichte in Europa, als Menschen
Stillschweigen bewahrten gegenüber den
Verbrechen des Nazi Regimes und deshalb können
wir nicht länger ignorieren, was heute in Gaza
und im Westjordanland geschieht, und durch diese
Ernennung vielleicht in Israel selbst in der
nahen Zukunft.
Wir wiederholen unsere Überzeugung, dass Frieden
nur im Nahen Osten möglich sein wird mit der
Anerkennung israelischer UND palästinensischer
Rechte. Die Basis dafür ist ein Ende der
militärischen Besetzung palästinensischen Landes
und einer echten und ehrlichen Anstrengung eine
Zweistaatenlösung durchzusetzen. Wenn die EU das
legitime palästinensische Existenzrecht in einem
lebensfähigen und freien Staat innerhalb der
Grenzen von 1967 ignoriert, fürchten wir, dass
künftige Generation gezwungen sein werden einen
hohen Preis für die Doppelstandards und den
einseitigen Zugang der Politiker von heute zu
zahlen.
Wir hoffen, dass es eine deutliche Erklärung der
österreichischen Politiker über die Grundrechte
des palästinensischen Volkes geben wird und dass
sie in aller Deutlichkeit die Ernennung Hrn.
Liebermans verurteilen werden. In diesen Zeiten
die israelische Regierung zu hofieren,
eklatanten und offenen Rassismus in Israel zu
übersehen, würde sicherlich die falsche
Botschaft über Österreichs Bekenntnis zur
Demokratie geben.
Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Peter Melvyn
für die „Jüdische Stimme für Gerechten Frieden
in Nahost (Österreich)“