Zur aktuellen Situation im
israelisch-palästinensischen Konflikt:
Vortrag von Dr. Ludwig Watzal zur Wanderausstellung „Die Nakba“ im
Heidelberger Palmyra Verlag
Sebastian Tschorn
Im Rahmen der vom 23. Oktober bis zum 12.
November in den Räumlichkeiten des Heidelberger Palmyra Verlags
gastierenden Ausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der
Palästinenser 1948“ hielt der bekannte Publizist und Nahostexperte Dr.
Ludwig Watzal am vergangenen Freitag einen Vortrag, in dem er einen
Überblick über Geschichte und aktuelle Entwicklung des
israelisch-palästinensischen Konflikts lieferte. Watzal,
Politikwissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher, Artikel und
Rezensionen zum Nahostkonflikt, ist seit Jahren einer der
profiliertesten Kritiker der israelischen und westlichen
Palästinapolitik und von daher besonderes Zielobjekt proisraelischer
Kreise in Deutschland. So forderten der Zentralrat der Juden und andere
jüdische Organisationen im Jahr 2008 Watzals Entlassung als Mitarbeiter
der Bundeszentrale für politische Bildung, der er seit 1986 angehört.
Der Sprecher der Behörde, Raul Gersson, wirft Watzal vor, die Angriffe
von Hamas und Hisbollah auf Israel zu verharmlosen, und spricht von
einem „skandalösen“ Verhalten des Kollegen – was dieser wiederum als
unkollegiales Verhalten und öffentliche Bloßstellung kritisiert.
Obgleich dieser massive Druck Watzal bisher nicht zum Schweigen bringen
konnte, hob der Referent dennoch gleich zu Beginn seines Vortrags
hervor, dass er am heutigen Abend nicht als Mitarbeiter der
Bundeszentrale spreche, sondern lediglich seine Meinung als freier
Journalist wiedergeben werde.
So bot er in seinem anschließenden Vortrag
denn auch eine Analyse, in der nicht – wie von westlicher Politik und
Medienberichterstattung mehrheitlich vertreten – die muslimischen
Akteure Hamas, Hisbollah und Iran als die Friedensfeinde schlechthin
erschienen, sondern viel eher die seit 1948 von Israel und seit 1967
auch von den USA betriebene Politik als das wesentliche Hindernis für
einen gerechten Frieden in Nahost charakterisiert wurde. So seien die
von Anbeginn an und bis heute vom Zionismus vertretenen Gebietsansprüche
zwar mit der Bibel, nicht aber mit dem Völkerrecht in Einklang zu
bringen, so Watzal; selbst der im Westen als pragmatisch geltende erste
Ministerpräsident des Landes, David Ben-Gurion, habe nach dem Suezkrieg
von 1956 und der Eroberung des Sinai von einem „Königreich Israel in
biblischen Grenzen“ geträumt – sei dann aber vom damaligen
US-Präsidenten Eisenhower zurückgepfiffen worden. Ein Palästinenserstaat
westlich des Jordans sei in den israelischen Plänen dabei nie vorgesehen
gewesen. Zu den von Beginn an von Israel verfolgten Eroberungsträumen
passt für Watzal auch die Tatsache, dass der jüdische Staat seine
eigenen Außengrenzen bis heute nicht festgelegt habe und nicht bereit
sei, seine – völkerrechtswidrige – Siedlungspolitik einzustellen.
Für Watzal kreist der sogenannte
„Friedensprozess“, den der Referent nach eigener Aussage als einer von
wenigen schon seit seinem Beginn in den 1990er Jahren kritisiert habe,
bereits seit Langem in einer Endlosschleife. Auch den jüngst vollzogenen
Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas bewertet Watzal nicht
als ein „Window of Opportunity“, da er eher die Hamas als die Fatah des
Palästinenserpräsidenten Abbas stärke. Israel habe mit dem Austausch
möglicherweise auch nur vom Antrag der Palästinenser auf
UN-Vollmitgliedschaft und von den für die israelische Regierung immer
bedrückender werdenden Sozialprotesten im Land ablenken wollen. Mit dem
Osloer Friedensprozess sei es Israel von Anfang an nur darum gegangen,
eine Reihe palästinensischer Bantustans mit Arafat als oberstem
„Sheriff“, der für Israel die „Drecksarbeit“ erledige, einzurichten.
Anstatt den Palästinensern einen Staat zu verschaffen, habe dieser
Prozess in den vergangenen zwanzig Jahren lediglich dazu geführt, dass
diese immer mehr Land an Israel verloren hätten.
Mit der Rolle der USA als angeblicher
Vermittlerin im Nahostkonflikt ging Watzal in seinem Vortrag hart ins
Gericht. Insbesondere seit dem Wahlsieg George Bushs im Januar 2001 habe
Israel unter der Regierung Scharon praktisch freie Hand erhalten, mit
den Palästinensern und ihrer Autonomieregierung nach eigenem Gusto zu
verfahren: So habe Scharon mit Duldung der USA in dieser Zeit nicht nur
die Rückeroberung der palästinensischen Autonomiegebiete eingeleitet,
sondern auch die Palästinensische Autonomiebehörde zerstört und Arafat
in seinem verwüsteten Amtssitz unter Hausarrest gestellt. Das einzig
Positive an Präsident Bush, der Scharon in einem Brief die Beibehaltung
der israelischen Siedlungsblöcke zusicherte, war nach Aussage Watzals
die Schaffung der sogenannten Roadmap, die jedoch durch die Ernennung
des am Irakkrieg mitbeteiligten Tony Blair zum „Nahostgesandten“
abgewertet worden sei. Scharons im Westen als „Friedensgeste“ viel
gepriesenen Abzug aus dem Gazastreifen führt Watzal auf eine
demographische Erwägung des israelischen Politikers zurück: So habe man
sich schlicht und einfach der 1,5 Millionen palästinensischen Bewohner
des Streifens entledigen wollen, die, trotz des Abzugs der Siedler und
Soldaten, auch heute noch unter israelischer Besatzung und Kontrolle
lebten, so Watzal.
Die Hamas, Anfang 2006 in den ersten freien,
gleichen und geheimen Wahlen der arabischen Welt – und nicht, wie in
westlichen Medien häufig behauptet, „gewaltsam“ – an die Macht gelangt,
hat für Watzal niemals die Chance bekommen, sich ihrer eigenen
Bevölkerung, Israel und dem Westen gegenüber zu beweisen. Stattdessen
entschied sich die westliche Werte- und Interessengemeinschaft für einen
Boykott der neuen Regierung des Gazastreifens und für die Formulierung
dreier Bedingungen, die die Islamisten vor ihrer Einbeziehung in einen
jeden Gesprächsprozess zu erfüllen hätten und die da lauten: Anerkennung
Israels, Gewaltverzicht und Akzeptanz der bisher erreichten Abkommen.
Watzal dagegen beurteilt die Hamas als durchaus fähig zum Pragmatismus –
obgleich er deren in der Vergangenheit durchgeführte Terroranschläge
nicht nur als moralisch verwerflich, sondern auch als politisch
kontraproduktiv verurteilt – und verweist an dieser Stelle seines
Vortrags auf das Buch von Khaled Hroub, über das er kürzlich eine
Rezension vorgelegt hat und welches er seinen Zuhörern als das beste in
Deutschland erhältliche Buch über die Hamas empfiehlt.
Auch unter der gegenwärtigen Regierung
Barack Obamas, dessen Amtszeit mit seiner Kairoer Rede so hoffnungsvoll
begonnen habe, sieht Watzal kaum Chancen für einen gerechten Frieden in
Nahost. Denn nicht zuletzt habe der Auftritt des israelischen
Ministerpräsidenten Netanjahu vor dem US-Kongress gezeigt, wie
proisraelisch dieses wichtigste Organ der US-amerikanischen Außenpolitik
doch sei: insgesamt 29-mal seien die Abgeordneten während Netanjahus
Rede begeistert aufgesprungen und hätten durch ihre stehenden Ovationen
die auf einen Ausgleich bedachten Bemühungen Obamas desavouiert.
Zurückzuführen sei diese extrem israelfreundliche Haltung des Kongresses
auf den beträchtlichen Einfluss, den Likud-nahe Lobbygruppen in der
Politik des Landes spielten, obwohl die Mehrheit der jüdischen
US-Amerikaner politisch eher liberal ausgerichtet sei.
Zum Ende seines Vortrags zitierte Watzal
schließlich die Aussagen des US-Professors Francis Boyle, langjähriger
Rechtsberater der Palästinensischen Autonomiebehörde, der den
Palästinensern rät, keinerlei Abkommen zu unterzeichnen und einfach
abzuwarten, bis Israel von innen heraus kollabiere. Diese Meinung wird
von Watzal jedoch nicht geteilt: Er halte zwar die Einstaatenlösung, bei
der Juden und Palästinenser als gleichberechtigte Bürger eines
demokratischen Einheitsstaates miteinander leben, für „sympathisch“;
dennoch sei diese aufgrund fehlender Unterstützung in beiden
Gesellschaften utopisch und daher politisch irrelevant. Machbar sei
dagegen nur eine Zweistaatenlösung unter Einhaltung des Völkerrechts,
das von Israel jedoch permanent verletzt werde und zu dessen Einhaltung
das Land notfalls mittels politischem Druck von der Weltgemeinschaft
gezwungen werden müsse.
Abgerundet wurde der Vortragsabend durch ein
„Koreferat“ des jüdischen Verlegers Abraham Melzer, der Watzals
Ausführungen durch Erzählungen über seine eigene Zeit in der
israelischen Armee ergänzte. So sei ihm und seinen Kameraden vor vierzig
Jahren befohlen worden, palästinensische Bewohner des Nachts aus ihren
Häusern zu holen, um ihnen – wie der Kommandant auf Nachfrage Melzers
geäußert habe – „das Leben bitter zu machen“. Klares Ziel der
zionistischen Politik ist für Melzer die Vertreibung der
palästinensischen Bevölkerung aus dem Gebiet zwischen Mittelmeer und
Jordan, um so die „demographische Gefahr“, die vom palästinensischen
Bevölkerungszuwachs für Israel ausgeht, zu beseitigen. Auch habe sich
der Nahostkonflikt in den letzten dreißig Jahren permanent
verschlimmert, und nie verbessert, so Melzer; heute sei Israel darüber
hinaus auf dem besten Weg, ein rassistischer und theokratischer Staat zu
werden, „sich selbst abzuschaffen“. Auch immer mehr Juden auf der ganzen
Welt spürten dies und versagten Israel ihre bedingungslose Solidarität.
Insgesamt war es ein gelungener Abend, der
eine Fülle von Informationen über Ursachen und Entwicklung des
israelisch-palästinensischen Konflikts lieferte. Die Vertreibung der
Palästinenser im Jahre 1948 stellt eine wesentliche Ursache dieses
leidigen Konflikts, der die Welt schon viel zu lange in Atem hält, dar.
Eine Verbannung dieses schmerzvollen Aspekts aus dem öffentlichen
Diskurs wird eher zu einer Verschlimmerung als zu einer Lösung des
Konflikts beitragen – es sei daher jedem am Nahostkonflikt
Interessierten empfohlen, sich die Wanderausstellung „Flucht und
Vertreibung der Palästinenser 1948“ anzusehen.