Positionspapier
Israel/Palästina
Menschen- und Völkerrecht sind unteilbar
Für eine Neubewertung des Nahostkonflikts, der deutschen
Verantwortung und eine gerechte
Friedenspolitik
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1. Die
terroristische Nazi-Diktatur führte zur Zerschlagung der
stärksten Arbeiterbewegung außerhalb der Sowjetunion, zum
Völkermord an 6 Millionen Menschen jüdischer Herkunft, zur
geplanten Vernichtung der Sinti und Roma und anderer
Menschen, die nach der Nazi-Ideologie „unwertes Leben“
waren, sowie zur Auslösung des bisher für die Menschheit
verlustreichsten Eroberungskriegs. Daraus konnte und kann
nur eine Konsequenz gezogen werden: Nie wieder dürfen
Rassismus als Staatsdoktrin, Verachtung von Demokratie,
Menschenrechten und kulturellen Eigenarten,
Staatsterrorismus, Krieg und koloniale Eroberung in diesem
Land eine Chance bekommen oder durch deutsche Politik
anderswo gefördert werden.
Wir kämpfen
hier und weltweit für eine Gesellschaft, in der Ausbeutung,
geschlechtliche und rassistische Diskriminierung,
Großmachtstreben und Kriege, nationale und religiöse
Unterdrückung, Umweltzerstörung und ungleiche
Ressourcenverteilung überwunden sind. Wir wollen eine Welt,
in der die politischen und ökonomischen Bedingungen für eine
allgemeine Entfaltung des menschlichen Wohlergehens und die
Entwicklung der kulturellen Vielfalt gegeben sind. Wir
treten dafür ein, dass diese grundlegenden Ziele breiteste
Unterstützung finden und verwirklicht werden. Menschenrechte
sind unteilbar. Wir weigern uns, mit zweierlei Maß zu
messen. Das gilt auch für unsere Haltung zu den Konflikten
im Nahen Osten und zum deutsch-israelischen Verhältnis. Das
ist es, was wir den Überlebenden der systematischen
industriellen Ausrottung der europäischen Juden und ihren
Nachkommen schulden, mögen sie in Israel leben oder, wie 60
% von ihnen, außerhalb. Das ist es, was wir der israelischen
Bevölkerung schuldig sind, ob jüdisch oder arabisch. Das ist
es, was wir den Palästinenserinnen und Palästinensern
schuldig sind.
Der Ende des
19. Jahrhunderts als Antwort auf rassistische Ausgrenzung
und Verfolgung entstandene Zionismus – lange Zeit eine
vollkommen marginale Strömung in den jüdischen
Gemeinschaften Europas – war historisch offensichtlich die
falsche Antwort. Diese politische Ideologie hat von Anfang
an Ausgrenzung, Rassismus und Rechtfertigungsideologien des
europäischen Kolonialismus auf vielfältige Weise übernommen.
Sie stellte sich den Emanzipationsbestrebungen der Jüdinnen
und Juden im Rahmen ihrer Gesellschaften entgegen und ging
davon aus, die Antwort auf den Antisemitismus müsse ein
eigener Nationalstaat sein. Die Balfour-Erklärung der
britischen Kolonialmacht von 1917 zur Schaffung einer
„jüdischen Heimstatt“ in Palästina war ein wichtiger Schritt
auf diesem Weg. 1948 erfolgte schließlich die Gründung des
Staates Israel in einem Teil Palästinas. Die Tatsache, dass
diese Gründung vielen, aber längst nicht allen Überlebenden
des Völkermords an den Juden legitim erschien, hat konkrete
Gründe, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Dazu
zählen das Versagen der Arbeiterbewegung vor dem Faschismus
und die Verweigerung von Schutz und Zuflucht für die
verfolgten Juden durch die meisten europäischen Staaten und
die USA. Die Staatsgründung hat im Übrigen viel mit den
Interessen der europäischen Kolonialstaaten und all
derjenigen Staaten zu tun, die sich den Verfolgten gegenüber
verschlossen, und kaum etwas mit Schutz und Hilfe. Aus
palästinensischer Sicht markiert das Jahr 1948 mit der Nakba
den katastrophalsten Einschnitt in ihrer Geschichte mit
Terror, Tod und Vertreibung. 750.000 Palästinenserinnen und
Palästinenser verloren ihre Heimat, und mehrere hundert
Wohnorte wurden von der israelischen Armee bzw. dem neuen
Staat dem Erdboden gleich gemacht. Große Teile der
palästinensischen Bevölkerung leben heute im Ausland, weil
Israel ihnen das Rückkehrrecht verweigert.
2. In Israel
zeigt bis heute fast das gesamte Parteienspektrum sowie alle
bisherigen Regierungen kein Interesse an einem gerechten
Ausgleich mit den Palästinensern. Ganz im Gegenteil: Der
Vormarsch der National-Religiösen und Rechtsextremen lässt
für die Zukunft der Palästinenser und der Israelis sowie für
die Bewohner der gesamten Region Schlimmes befürchten. Ziel
dieser Politik ist die dauerhafte Zerstörung jeder Aussicht
auf ein selbstbestimmtes Leben der Palästinenserinnen und
Palästinenser. Aber die Unterdrückten wehren sich und
kämpfen für ihre Befreiung. Die Mainstream-Politik in Israel
erhöht daher nicht die Sicherheit seiner Bewohnerinnen und
Bewohner, sondern ihre Unsicherheit und Gefährdung.
Die seit 1967
anhaltende Besatzung, die damit einhergehende Entrechtung,
die wirtschaftliche und kulturelle Benachteiligung, die
offene und schleichende Vertreibung der Palästinenserinnen
und Palästinenser sowie die immer weiter gehende
Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit sind keine
inner-israelischen Angelegenheiten. Die rechtliche und
faktische Diskriminierung der palästinensischen
Staatsangehörigen innerhalb der israelischen Grenzen von
1967 sowie die Apartheid-ähnlichen Verhältnisse in den
besetzten und teilweise annektierten palästinensischen
Gebieten, im abgeriegelten Gaza-Streifen und in den von
Syrien annektierten Golanhöhen sind unakzeptabel. Die
ständige Unterdrückungspolitik, die Angriffe, Kriege und
Kriegsverbrechen sind eine Herausforderung für alle, die
sich für die universellen Menschenrechte und das Völkerrecht
einsetzen. Diese werden durch die stillschweigende Hinnahme
ihrer gewohnheitsmäßigen Missachtung ausgehöhlt und zunichte
gemacht – mit weitreichenden Folgen über die Region hinaus.
Israel ist
durch die koloniale Landnahme, durch die zionistische
Staatsdoktrin bzw. die Definition als „jüdischer Staat“
sowie die Politik seiner bisherigen Regierungen Täter und
nicht Opfer. Die Selbstdefinition als Staat aller Juden –
und nicht als Staat aller seiner Bürgerinnen und Bürger, wie
es modernem Staatsrecht entspräche – führt zwangsläufig zu
Diskriminierung und Ausgrenzung und zur Verweigerung des
Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge. Das
ständige Bestreben, das zahlenmäßige Übergewicht der
jüdischen Bevölkerung zu sichern und aktive
Einwanderungspolitik zu betreiben sowie das Ziel, Israel
möglichst auf ganz Palästina auszudehnen, führen zu
zahllosen Widersprüchen, strukturellem Unrecht,
rassistischer Ausgrenzung und ethnischer Säuberung. Der
zionistische Kolonialismus hat die jüdische Arbeiterschaft
in ihrer großen Mehrheit zu Gefangenen dieses Staatskonzepts
gemacht und von der israelisch-palästinensischen
Arbeiterschaft sowie den Arbeitsmigrantinnen und –migranten
durch tiefe Gräben getrennt.
Wir ergreifen
in der Nahostfrage wie in allen Zusammenhängen, in denen
Bevölkerungen schutzlos einem übermächtigen Akteur
ausgesetzt sind, eindeutig Partei für die Schwächeren und
ihre legitimen Interessen. Eine bedingungslose oder auch nur
kritische „Solidarität mit Israel“ aus Gründen der
„Staatsräson“ oder eine angebliche „Doppelverantwortung“
gegenüber einem kolonialistischen und unterdrückerischen
Israel und den unterdrückten Palästinensern wären nicht nur
falsche Konsequenzen aus der deutschen Geschichte. Solche
Ausgangspunkte sind in Wahrheit geeignet, die einseitige
Unterstützung des Stärkeren, d. h. Israels, zu kaschieren.
Die Folge aus derartigen politischen Positionen ist außerdem
eine zunächst schleichende, dann immer offenere Revision von
politisch fortschrittlichen Positionen auch auf anderen
Gebieten.
3. Eine
unterdrückte Nation wie die palästinensische hat das Recht,
sich zu wehren und für ihre Selbstbestimmung zu kämpfen.
Wenn friedliche Mittel nichts erreichen, hat eine
unterdrückte Nation allerdings auch das Recht, den
Befreiungskampf bewaffnet zu führen. Der bewaffnete Kampf
gegen die Repressionsorgane der Unterdrücker muss sich
allerdings an die Regeln des Völkerrechts halten. Ist dies
nicht der Fall oder halten sich einzelne Akteure des
Widerstands nicht an diese Regeln, so erschwert dies die
Solidarität, darf aber nicht die grundsätzliche Beurteilung
eines kolonialen Konflikts ändern. Terror gegen
Zivilbevölkerung lehnen wir klar und eindeutig ab. Wir
treten grundsätzlich für eine friedliche Konfliktlösung ein.
Wir können und
dürfen die Unterstützung einer unterdrückten Bevölkerung im
Übrigen nicht vom Charakter ihrer aktuellen Führungen – hier
der Fatah (bzw. PLO) oder der islamischen Hamas – abhängig
machen, sonst laufen wir Gefahr, uns in der
Auseinandersetzung zu neutralisieren bzw. Unterdrückung
faktisch zu rechtfertigen bzw. zu unterstützen. Fatah und –
die 2006 gewählte – Hamas müssen bei internationalen
Friedensinitiativen ohne Vorbedingungen als Vertreter der
palästinensischen Seite anerkannt und beteiligt werden.
Humanitäre Hilfe darf ebenfalls nicht vom Charakter von
politischen Führungen oder von Regierungen abhängig gemacht
werden. Kollektivstrafen sind aus völkerrechtlicher Sicht
illegal. Es ist unsere Pflicht, den vorbildlichen
gewaltfreien Widerstand der Palästinenser – oft gemeinsam
mit israelischen und internationalen Aktiven – zu
unterstützen.
4. Die
länderübergreifenden Konflikte im Nahen Osten mit ihren
weltpolitischen Implikationen können nur durch eine radikal
veränderte internationale Politik gelöst werden. Die
blutigen und zerstörerischen Interventionskriege im Irak und
in Afghanistan, die ständigen kriegerischen
Auseinandersetzungen, die israelischen Überfälle auf Gaza
oder den Libanon sowie die ständigen Drohungen der
US-Regierung, der israelischen Regierung und ihrer
Unterstützer in der EU gegen den Iran stehen in einem
inneren Zusammenhang. Es geht um geostrategische Interessen,
um den Zugang zu Öl- und Rohstoffressourcen und Märkten
sowie ihre Kontrolle. Nicht zuletzt geht es auch um die
Weiterentwicklung und Erprobung von Strategien zur
Aushöhlung des internationalen Rechts sowie von Herrschafts-
und Kontrollinstrumentarien, die weltweit angewandt werden.
Israel verfügt über eine der stärksten Armeen der Welt und
ist längst inoffizielle Atommacht, die einzige in der
gesamten Region. Die intensiven wirtschaftlichen,
diplomatischen und Rüstungsbeziehungen zwischen Deutschland,
der EU und Israel sowie ihr laufender Ausbau, die ständigen
Beschwichtigungen und doppelten Standards fördern keine
Konfliktlösungen, die den Interessen der betroffenen
Menschen vor Ort gerecht werden. Sie tragen maßgeblich dazu
bei, dass Israel mit völkerrechtwidriger Besatzung und
Unterdrückung, Annexion und kriegerischen Überfällen auf die
Nachbarstaaten, der Wirtschaftsblockade gegen Gaza und der
blutigen Kaperung von internationalen Hilfskonvois mit
dringend benötigten und von Israel nicht herein gelassenen
Gütern straflos fortfahren kann. Die finanzielle und
materielle Unterstützung der Bundesregierung, der
Europäischen Union und der Vereinten Nationen für die
Palästinenserinnen und Palästinenser trägt zwar dazu bei,
die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen zu mildern; sie
hilft, die Palästinensische Autonomiebehörde im
Westjordanland aufrecht zu erhalten. Aber das grundsätzliche
Problem dieser Hilfe besteht darin, dass damit die Besatzung
und die ständigen Übergriffe indirekt flankiert werden, weil
die entscheidenden Regierungen unakzeptable israelische
Bedingungen akzeptieren und bisher keinen ernsthaften und
gerechten Lösungsprozess durchsetzen wollen. Diese
internationale Hilfe dient faktisch dem israelischen
Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo, solange
diese nicht Hand in Hand geht mit dem ernsthaften Willen,
endlich den politischen Rechten der Palästinenser Geltung zu
verschaffen. Das Oslo-Abkommen von 1993 und verschiedene
Versuche danach haben immer wieder bewiesen: Die israelische
Seite will alles, nur keinen gerechten Frieden und kein
Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser. Abkommen
wurden unterlaufen oder aufgrund struktureller Mängel so
umgesetzt, dass die palästinensische Seite immer rechtloser
und ohnmächtiger wurde und die israelische Seite ihre
Bedingungen diktieren konnte. Wir müssen entschieden zu den
notwendigen politischen Veränderungen beitragen, um weitere
und noch größere humanitäre Katastrophen verhindern zu
helfen.
5. Die
israelische Abriegelung des Gazastreifens zu Lande, zu
Wasser und aus der Luft – insbesondere nach dem Wahlsieg von
Hamas im Jahr 2006 – und der brutale und blutige Überfall um
die Jahreswende 2008/2009 haben zu einem massiven Mangel an
Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer Versorgung, Bau- und
Brennstoffen, Ersatzteilen und elementaren technischen
Mitteln geführt und die Exporte auf ein Minimum reduziert.
Es handelt sich um eine Kollektivstrafe für die 1,5
Millionen Menschen, die das Völkerrecht ausdrücklich
verbietet. Fast 9.000 Palästinenserinnen und Palästinenser
werden in israelischen Gefängnissen festgehalten, sitzen
lange Haftstrafen ab oder befinden sich monate- bis
jahrelang in sogenannter Administrativhaft mit nur geringen
juristischen Verteidigungsmöglichkeiten. Unter den
politischen Gefangenen sind auch Jugendliche und
Parlamentarier. Zahlreiche politische Vertreterinnen und
Vertreter des palästinensischen Widerstands und der
palästinensischen politischen Parteien – auch der Linken –
sind durch Israel gezielt ermordet worden oder leben ständig
unter dieser Bedrohung. Der völkerrechtswidrige Mauerbau im
besetzen Westjordanland, die Annexion Ostjerusalems, die rd.
600 Kontrollposten, die willkürlichen Passierscheine für
verschiedene Besatzungszonen (A, B und C), die fortdauernde
illegale Besiedlung und Zersplitterung des palästinensischen
Territoriums, der Abriss Tausender palästinensischer Häuser,
die Ressourcenkontrolle, umweltschädliche Abwasser- und
Abfallentsorgung in Palästinensergebieten sowie das den
israelischen Staatsbürgern vorbehaltene moderne Straßennetz
zerrütten die palästinensische Wirtschaft und Gesellschaft
immer weiter, während es zugleich auf der Hand liegt, dass
diese Maßnahmen nicht das Geringste zur langfristigen
Sicherheit der israelischen Bevölkerung beitragen. Die
Regierung Netanjahu/Lieberman holt inzwischen zu neuen
Schlägen gegen die innerisraelische Opposition aus. Sie
stellt das Gedenken an die Nakba (im arabischen
Sprachgebrauch die Katastrophe, die die Gründung des Staates
Israel 1948 für die palästinensische Bevölkerung bedeutete)
unter Strafe. Sie drangsaliert die zivilgesellschaftlichen
Widerstandsorganisationen, die palästinensischen wie die
israelischen, und versucht den zivilen Widerstand gegen die
Mauer militärisch zu unterdrücken.
6. Das
deutsch-israelische Verhältnis kann und darf – unter Verweis
auf den Völkermord an den Juden – nicht mit grundsätzlich
anderen Maßstäben als andere zwischenstaatliche Beziehungen
bewertet werden. Die bisherige Rolle der westdeutschen
Regierungen und der Regierung des vereinigten Deutschland
nach 1990 hat weniger mit der notwendigen Aufarbeitung des
Völkermords an den Juden zu tun, sondern mehr mit
Komplizenschaft bei neuem Unrecht. Israel hat sich immer in
der Rolle des Vorpostens der westlichen Welt im Nahen Osten
und in der arabischen Welt gesehen. In dieser Rolle wurde es
von den USA und Europa unterstützt. Israel hat traditionell
mit Militärdiktaturen in aller Welt kooperiert und jahrelang
das Apartheid-Regime in Südafrika unterstützt. An der Seite
der USA und Europas beteiligt es sich an vorderster Front am
Kampf gegen den sogenannten „islamischen“ Terrorismus.
Die in Europa
und den USA grassierende und von vielen Regierungen mehr
oder weniger offen geschürte Islamophobie ist die umfassende
Legitimationsideologie für die heutigen imperialen
Interventionskriege, für verweigerte Hilfeleistung und für
Staatsboykott gegen ganze Länder, die sich imperialer
Kontrolle entziehen, für Überwachungsmaßnahmen, die
Einschränkung von Bürgerrechten und soziale Ausgrenzung.
Diese Ideologie wird von Israel massiv befeuert. Israels
wichtigster Bündnispartner und Finanzier sind die USA. Auch
wenn der Antritt der Regierung Obama für viele zunächst mit
Hoffnungen verbunden war, zeigt sich doch inzwischen, dass
es ihr angesichts des militärischen und politischen
Desasters im Irak und in Afghanistan lediglich um eine
gewisse Neujustierung der Beziehungen zu Israel und zur
arabischen Welt geht. Die strategischen Interessen der USA
und Israels bleiben wesentlich gleich. Die kritiklose
Fortsetzung der bisherigen Beziehungen zu Israel als Teil
der westlichen Welt diskreditiert Deutschland in den
Bevölkerungen der arabischen Länder. Sie trägt zur
Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser bei,
zur Verlängerung und Ausweitung der Kriege und
Besatzungsregimes im Irak und in Afghanistan und gefährdet
den Weltfrieden insgesamt. Sie stärkt allerdings die
geopolitischen und ökonomischen Interessen der deutschen
Eliten und wirtschaftlich Mächtigen. Wir wollen uns dieser
Herausforderung stellen und für einen grundsätzlichen
Kurswechsel kämpfen.
7. Die Lehre
aus dem Völkermord an den Juden kann nur der gemeinsame und
ungeteilte Kampf für universelle Menschenrechte und eine
sozial gerechte Welt sein. Wenn Israel schweres Unrecht
unter Berufung auf den Völkermord der Nazis an den Juden
begeht, von anderen Regierungen dabei unterstützt oder
gerechtfertigt wird, so ist das eine Verhöhnung der Opfer.
Zusammen mit den internationalen gesellschaftlichen
Bewegungen für eine friedliche und gerechte Welt treten wir
dafür ein, die unterdrückerische, ausgrenzende und
kriegerische israelische Politik und die zionistische
Staatsdoktrin zu delegitimieren. Das ist die zentrale
Voraussetzung für ein Leben in Frieden, Sicherheit und
Demokratie sowohl für Israelis wie für Palästinenser. Es
gibt keine deutsche historische Wiedergutmachung auf Kosten
der Palästinenser und Palästinenserinnen. Wir weisen
entschieden die Anwürfe zurück, Kritik an der Politik der
israelischen Regierung und an den Kriegsverbrechen der
israelischen Armee sei eine Form des Antisemitismus.
Zusammen mit großen Teilen der israelischen und
palästinensischen Linken, großen Teilen der internationalen
Friedensbewegung – einschließlich zahlreicher jüdischer
Friedensaktivistinnen und -aktivisten in aller Welt – setzen
wir uns für eine politische Lösung ein, die demokratisch und
gerecht ist, die dauerhaft Frieden und Sicherheit für
Israelis und Palästinenser bringt.
8. In welcher
Form sich eine künftige gerechte und völkerrechtlich
abgesicherte Lösung in Nahost ergeben wird, ist derzeit noch
nicht absehbar. Diese Frage wird vor Ort entschieden und ist
das Ergebnis der Auseinandersetzungen. Wir sprechen den
Mächtigen dieser Welt, ihren Regierungen und Institutionen
das Recht ab, den beiden Bevölkerungen in Palästina und
Israel Modelle aufzuzwingen. Auch die internationale Linke
und die weltweite Friedensbewegung sollten sich in dieser
Frage zurückhalten. Dabei ist folgendes zu bedenken: Die
Zweistaaten-Option auf Basis der Grenzen aus der Zeit vor
dem 6-Tage-Krieg 1967 mit Ost-Jerusalem als palästinensische
Hauptstadt wird durch die von Israel und seinen
internationalen Unterstützern geschaffenen Fakten immer
schwieriger; vor allem, wenn sie die umfangreiche illegale
Besiedlung nicht rückgängig macht oder vielleicht nicht mehr
rückgängig machen kann; wenn sie den Palästinensern nur rund
20 % des alten Palästina belässt, diese Gebiete zerrissen
und zerstückelt sind und wichtige Ressourcen wie Wasser
unter israelischer Kontrolle lässt. Eine solche Option droht
außerdem, die rechtliche und soziale Diskriminierung der
israelischen Staatsbürger arabischer Herkunft zu verewigen
und schreibt das Rückkehrrecht für die palästinensischen
Vertriebenen und Geflüchteten ab. Die Einstaaten-Option –
also ein gemeinsamer säkularer Staat, in dem Israelis und
Palästinensern gleichberechtigt und mit umfassenden
Verfassungsgarantien leben – würde wesentliche Probleme
leichter lösbar machen, scheint aber heute mangels
breiter politischer Unterstützung in der israelischen
Bevölkerung ferner denn je. Aber politische Mehrheiten
können sich nach aller historischen Erfahrung ändern. Beide
Optionen hätten sich schließlich dem Flüchtlingsproblem zu
stellen, müssten also auf der Grundlage des Rückkehrrechts
eine Rückkehr- und/oder Entschädigungsmöglichkeit eröffnen.
Damit diese oder mögliche andere Optionen überhaupt von
Palästinensern und Israelis ernsthaft verhandelt werden
können, muss die entscheidende Voraussetzung geschaffen
werden: Die politischen Rechte der Palästinensern müssen
international und von Israel anerkannt und garantiert sein.
Und schließlich wird eine progressive Lösung für
Israel/Palästina auch neue Optionen für die arabischen
Nachbarstaaten eröffnen in Richtung einer regionalen
Föderation oder Konföderation. Eine progressive Lösung für
Israel/Palästina und Erfolge im Kampf um die
Demokratisierung der arabischen Nachbarstaaten werden sich
gegenseitig enorm befruchten.
9. Wir setzen
uns für den verstärkten Austausch und die Zusammenarbeit mit
den israelischen und palästinensischen fortschrittlichen
Kräften sowie die Stärkung der internationalen
zivilgesellschaftlichen Bewegungen insgesamt ein, um die
Wahrheit über die unhaltbaren Verhältnisse in Nahost zu
verbreiten, den Druck auf die israelische Regierung und ihre
Unterstützer zu erhöhen und sie zur Einhaltung von
Menschenrechten und Völkerrecht zu zwingen. Ein wichtiges
Mittel, wirksamen Druck von unten aufzubauen, ist die von
der palästinensischen Zivilgesellschaft im Jahr 2005
angestoßene internationale Kampagne Boykott, Desinvestment
und Sanktionen (BDS). Sie richtet sich gegen die
Unterdrückungspolitik eines Staates, und gegen alle, die von
Besatzung und Mauerbau in Israel/Palästina profitieren oder
daran beteiligt sind, d. h. vor allem gegen
Wirtschaftsunternehmen, Finanzgruppen, akademische
Institutionen usw. Der Erfolg dieser Kampagne in vielen
Ländern der Welt ist ermutigend. Die Kampagne wird in jedem
Land mit anderen Schwerpunkten und anderen Aktionsformen
organisiert. Es darf selbstverständlich nicht ausgeblendet
werden, dass die Nazis einmal mit dem Ziel rassistischer
Ausgrenzung zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen
haben. Die BDS-Kampagne ist allerdings nicht die eines
Staates gegen eine Gruppe von Menschen; sie ist eine
zivilgesellschaftliche Kampagne und richtet sich gegen die
Unterdrückungspolitik eines Staates. Sie geht von der
palästinensischen Zivilgesellschaft aus, die damit nach
jahrzehntelangen fruchtlosen Appellen an Regierungen und
internationale Organisationen und nach der Frustration eines
sogenannten Friedensprozesses (ähnlich wie bei der
seinerzeitigen Anti-Apartheid-Kampagne gegen das
rassistische Südafrika) Israel dazu bewegen will, sich an
internationales Recht zu halten und Regierungen zum Handeln
veranlassen will. In Deutschland sollte die BDS-Kampagne
sich hauptsächlich gegen Rüstungskonzerne, -projekte und
Konzerne richten, die am Bau der Mauer, an Sperranlagen und
Überwachungseinrichtungen in den von Israel okkupierten
Gebieten verdienen. Sie sollte auch über die Bedingungen
aufklären, unter denen israelische Produkte hergestellt und
zollbegünstigt in die EU eingeführt werden. Häufig handelt
es sich um Produkte aus besetzten Palästinensergebieten oder
um Produkte, deren Herstellung durch rücksichtslose
Aneignung von Ressourcen aus Palästinensergebieten (z. B.
Wasser) erfolgt. Der Europäische Gerichtshof hat unlängst
klargestellt, dass Produkte aus Besatzungsgebiet nicht mit
dem Label „Made in Israel“ in der EU vermarktet werden
dürfen. BDS sollte die militärische Kooperation zwischen
Deutschland und Israel thematisieren und die Einhaltung von
bi- oder multilateralen Abkommen, einschlägiger
Grundgesetzartikel (insbesondere Art. 25 und 26) sowie der
Regierungsrichtlinien über Waffenlieferungen in
Krisengebiete fordern. Verfassungsvorschriften und
Waffenexportrichtlinien werden durch deutsche
Waffenlieferungen (einschließlich atomwaffenfähige U-Boote,
Komponenten bzw. Lieferungen über Drittländer) an Israel
immer wieder in flagranter Weise verletzt.
Wir
ermutigen und unterstützen Initiativen, die folgende
Mindestforderungen vertreten:
|
Einstellung aller deutschen Waffenexporte nach
Israel. Einstellung der militärischen Zusammenarbeit
zwischen der Bundeswehr und der israelischen Armee,
wie z. B. die Ausbildung von Bundeswehrsoldaten an
fliegenden Überwachungsapparaten (Drohnen) und
Beendigung sämtlicher Rüstungsbeziehungen. |
|
Keine
weitere Aufwertung der Handelsabkommen zwischen der
EU und Israel. Israel muss endlich die
Menschenrechtsklausel im EU-Assoziierungsabkommen
und die Menschen- und Völkerrechtsbestimmungen im
OECD-Vertrag einhalten. Weigert sich Israel
weiterhin, sind die Verträge auszusetzen. |
|
Israelische Produkte aus den Siedlungen, die aus
Sicht der EU illegal sind, dürfen keine
Zollvergünstigungen genießen, wie diese unter dem
Assoziationsabkommen jedoch gewährt werden. Während
in der EU die Intensivierung der Beziehungen als
vertrauensbildend verkauft wird, fasst die
israelische Regierung diese – genau wie die im Mai
2010 erfolgte Aufnahme in die Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) – als Ermutigung für ihre repressive und
annexionistische Politik auf. |
|
Allgemeines Importverbot für israelische Produkte in
die EU, die ganz oder teilweise in den besetzen
Gebieten einschließlich Ost-Jerusalem hergestellt
werden. |
|
Strafverfolgung gegen die Verantwortlichen für die
Kriegsverbrechen und die Kaperung des
internationalen Hilfskonvois. |
|
Sofortige Beendigung der Blockade des Gazastreifens
und Umsetzung aller weiteren Empfehlungen des
Berichts der UN-Menschenrechtskommission (Goldstone-Report). |
|
Unterstützung des gewaltfreien und
basisdemokratischen Widerstands gegen die Besatzung
des Westjordanlands und besonders gegen die Mauer
und die Siedlungen in den besetzten Gebieten. |
|
Unterstützung aller Bestrebungen, die rechtliche
Diskriminierung der palästinensischen Staatsbürger
in Israel zu überwinden. |
|
Kampf
gegen Islamophobie und neofaschistische Tendenzen. |
|
Förderung antifaschistischer Erinnerungskultur. |
|
Kampf
gegen Antisemitismus. Dazu gehört auch, mit aller
Entschiedenheit der Gleichsetzung des Staates Israel
(mitsamt seiner Unterdrückungspolitik) mit „den
Juden“ entgegen zu treten. Eine Gleichsetzung der
Kritik an der Politik des Staates Israel mit
Antisemitismus weisen wir entschieden zurück. Sie
hat allein den Zweck, die berechtigte Kritik mundtot
zu machen. |
|
Förderung von Information und Publizistik über die
tatsächlichen Verhältnisse in Israel/Palästina. |
Dieses
Positionspapier wird von den Unterzeichnerinnen und
Unterzeichnern in seiner Substanz gebilligt. Bei einem
derart komplexen Thema sollte klar sein, dass es zu dem
einen oder anderen Teilaspekt Meinungsverschiedenheiten oder
offene Fragen gibt. Wir möchten mit diesem Positionspapier
vor allem dazu beitragen, die Debatte zu fördern. Wir wollen
helfen, Klarheit zu schaffen und die Debatte über das
Verhältnis Deutschland – Israel – Palästina auf Kernfragen
zu lenken, die nach unserer Ansicht bisher kaum richtig
gestellt, geschweige fortschrittlich beantwortet werden. Ein
wichtiger Impuls für das Positionspapier war der Offene
Brief von über 100 israelischen Linken und
Friedensaktivisten an die Partei DIE LINKE von Anfang 2010.
Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner
(Funktionsbezeichnungen dienen nur der Identifikation):
Carsten Albrecht (Mitglied DIE LINKE Berlin-Neukölln), Edith
Bartelmus-Scholich (Redaktion scharf-links, Krefeld); Helmut
Born (Verdi-Betriebsratsvorsitzender, Düsseldorf); Michael
Bruns (IG Metall-Betriebsrat u. Vors. der Ratsfraktion DIE
LINKE, Lippstadt); Prof. Dr. Aris Christidis
(Fachhochschullehrer, Gießen); Elias Davidsson (Komponist u.
Musikpädagoge, Bonn); Sophia Deeg (Autorin u. Journalistin,
Berlin); Heinz-Günther Dicks (Journalist, Berlin); Hermann
Dierkes (Vors. der Ratsfraktion DIE LINKE, Duisburg); Harald
Etzbach (Journalist, Berlin); Dr. Detlef Feldmann (Arzt u.
Umweltaktivist, Duisburg); Martin Forberg (Journalist und
Menschenrechtsaktivist, Berlin); Karin Gerlich (Erwerbslosenberatung,
Duisburg); Paul Grasse (Mitarbeiter der
Bundestagsabgeordneten Inge Höger, Berlin); Prof. Christian
Haasen (Hamburg); Horst Hilse (Bildungsgemeinschaft SALZ,
Köln); Angela Klein (internationale sozialistische linke,
isl); Paul und Traude Kleiser (München); Armin Kligge
(Kreisverband DIE LINKE, Iserlohn); Wilfried Mohr
(Gymnasiallehrer i.R. u. Umweltaktivist, Duisburg); Ellen
Rohlfs (Übersetzerin u. Publizistin, Leer); Jakob Schäfer
(Wiesbaden); Thomas Immanuel Steinberg (Publizist, Hamburg);
Jochim Varchmin (AK Nahost, Berlin); Charlotte Weyers
(Umweltaktivistin, Duisburg); Stefan Ziefle (Sprecher der
BAG Frieden und internationale Politik DIE LINKE, Berlin)
Weitere
Unterzeichnerinnen des Positionspapiers vom 29. Juni 2010
Abraham, Ute (Sprecherin der LINKEN Duisburg); Annas,
Heinrich (Roter Reporter, Rheine); Arendt, Erhard (Das
Palästina Portal , Dortmund); Atzinger, Elke J. (stellv.
Vorsitzende I.B.E. AmSeL e.V., Hofheim) Bosshart, Ruedi
(Zürich, Schweiz); Bucher, Alfred Martin (Ingenieur,
Detmold) Büddemann, Manfred (Mitglied Kreisverband DIE
LINKE, Krefeld); Cohen, Paul-E. (Mitglied S.-Cohen-Stiftung,
Niederbipp, Schweiz); Dahlenburg, Manfred (Georgensgmünd);
Dreßen, Prof.em.Dr. Wolfgang (Fachhochschule Düsseldorf);
Flock, Daniel (Kreisverband DIE LINKE, Krefeld); Gauer, Wolf
(Journalist, São Paulo, Brasilien); Gebhardt, Reinhard
(Mitglied Vorstand VVN BdA KV Mannheim, Mitglied Die Linke
Mannheim, Friedensplenum Mannheim); Guilliard, Joachim
(Softwareingenieur und Journalist, Heidelberg); Hartmann,
Klaus (Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes,
Offenbach am Main)*; Hecht-Galinski, Evelyn (Publizistin,
Malsburg-Marzell); Karas, Claudia (Frankfurt am Main);
Kofoet, Tony (Mitglied des KV DIE LINKE LEER, Weener); Köhn,
Hans-Peter (Sozialmanager, Potsdam); Kuhlmann, Wolfgang
(Hrsg. FriedensTreiberAgentur, Düsseldorf); Lauer, Martina
(Lehrerin, Chesterville, Kanada) Schenk, Günter (Autor,
Straßburg, Frankreich); Schüren, Peter (Geschäftsführer der
Bildungsgemeinschaft SALZ, Hamm/Westf.); Sert, Recep (KV DIE
LINKE, Duisburg); Strohmeier, Karl-Heinz (Gründungsmitglied
DIE LINKE); Strohmeier, Marion (Fraktionsvorsitzende DIE
LINKE Gelsenkirchen); Thomsen, Esther (Diplom-Theologin,
Ahrensburg); Übelherr, Willi (Bielefeld); Varchmin, Ulla;
Weiss, Karl (Blogger, Belo Horizonte, Brasilien); Wernicke,
Jens (KV Wiesbaden DIE LINKE., Mainz); Zahn, Jane
(Kabarettistin, Heidelberg); Ziran, Hans-D. (1. Vorsitzender
I.B.E. AmSeL e.V., Hofheim);
*Klaus Hartmann widerspricht
„der Formulierung: ’in den von Syrien annektierten
Golanhöhen’. Die zu Syrien gehörenden Golanhöhen wurden von
Israel annektiert.“ Verzeihung für die Unklarheit, genau das
war gemeint, T:I:S.
URL dieses
Beitrags: http://www.steinbergrecherche.com/10positionspapier.htm#Positionspapier
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