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Bitte beachten Sie - Claudio Casula  - Shit of Entebbe >>>

Achtung, keine Satire -- sondern bitterer Ernst!!
Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel

 

Im klassischen 5-aktigen Drama, so erinnern wir uns aus unserem Deutschunterricht, enthält der 4. Akt die scheinbare Wendung zum Guten und der 5. Akt bringt die Katastrophe. Beide Akte erlebten wir am Freitag, 19.6.2009, in Moabit.

Die Ablehnung aller Beweisanträge der Verteidigung ohne Begründung war wohl noch Teil von Akt 3 (Krisis).

Doch dann die scheinbare Wendung: die Plädoyers der beiden Anwälte, die Stellungnahme des Angeklagten  da schien es vielen der Zuschauer, nun könne nur noch ein Freispruch erfolgen: zu dünn waren all die Anklagepunkte. Und die Forderung des Staatsanwaltes, es müsse bestraft werden, da der Angeklagte sich uneinsichtig gezeigt habe und folglich die Gefahr einer Tatwiederholung bestehe, empfindet das Publikum als einen Teil der Absurdität des Ganzen: so etwas kann ein Gericht doch nicht ernst nehmen!

Und dann das ?schuldig in allen Punkten der Anklage.

Die Aufführung nahm die klassische Charakterisierung des 5. Aktes eines Dramas als ?Katastrophe wörtlich. Was da gegeben wurde war eine Katastrophe für Alle:

Es war eine Katastrophe für den Staat, vertreten durch den Staats-Anwalt: der Staat zeigte sich hier nicht als die Institution, die Grundrechte seiner Bürger wahrt, sondern als Exekutor einer von außen an ihn herangetragenen Raison.

Es war eine Katastrophe für die Rechtsprechung: es wurde nicht erwogen, abgewogen und dann erst ge- und verurteilt. Nein, es wurde aus allem, was hier im kurzen 5. Akt gesagt und getan wurde, deutlich: hier wurde ein vorgefasstes Urteil gesprochen, nicht eines aus den Erwägungen eines fairen, gerechten Für und Wider in einem echten Prozess.

Es war eine Katastrophe für alle Beteiligten:

Richterin und Staatsanwalt  ließen sich reduzieren auf eine falsch verstandene Funktionalität im Sinne eines ?höheren Gutes, eben der Staatsraison.
 

·der Verteidiger wurde durch die Ablehnung fast aller seiner Beweisanträge daran gehindert, seiner Aufgabe angemessen nachzukommen. Ihm blieb nur das ohnmächtige Bewusstsein, sich einer unheiligen Allianz von Gericht und Staatsanwaltschaft gegenüber zu sehen, die auch durch juristische Argumente nicht aufzubrechen war.
 

· die Zuhörer wurden mit einem ?Urteil konfrontiert, das keinerlei Anzeichen für die Urteilsfähigkeit, nämlich für die Fähigkeit, Argumente zu hören und abzuwägen, des Gerichts enthielt: wenn Urteil und seine (mündliche, wieder akustisch nur schwer verständliche) Begründung keinerlei Hinweise auf die Beschäftigung mit den Argumenten und Einlassungen von Verteidiger und Angeklagten enthalten, so bleibt für den Zuhörer vom Urteil nur das Vor-Urteil. Die Rezensenten hatten eine Gänsehaut bei der Vorstellung, selbst einmal vor einem solchen Gericht stehen zu müssen � und sie fragten sich, ob die Gänsehaut im Sinne einer Generalprävention beabsichtigt war.
 

· für den Angeklagten, der weiterhin der Meinung war, seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt zu haben mit seinem Protest und dem in keiner Weise klar gemacht werden konnte, dass die von ihm gewählte spezielle Form des Protestes illegal war; ihm verblieb aus den Worten des Staatsanwaltes, dass er die Gefahr der Wiederholung der Tat sehe (offenbar erwartet der Staatsanwalt, dass sich die Situation eines Massakers durch die israelische Armee jederzeit wiederholen kann, durch welche Einschätzung er ein unerwartet hohes Maß an Einsicht in die Verhältnisse in Nahost erkennen ließ) und nachdem ihm in keiner einsehbaren Weise verdeutlicht worden war, worin nun das Besondere in seiner Form des Protestes liege (alle diesbezüglichen Anklagepunkte waren ja vom Verteidiger als irrelevant zurückgewiesen worden), lediglich die Schlussfolgerung, dass er sich in Zukunft mit Protesten zurückzuhalten habe. Er lebt, lernt und arbeitet seit über 30 Jahren in Deutschland, er hat seine Prägung, sein politisches Bewusstwerden hier in Deutschland erfahren, und jetzt zeigt dieser Staat, für dessen Zukunft er sich einsetzt ein ganz anderes Gesicht, eine rachsüchtige Fratze gegen den Menschen mit Migrationshintergrund, der eine durch die Mainstream-Medien definierte Grenze politischer Korrektheit überschritten hatte.

Die Rezensenten fragen sich, was hier eigentlich gespielt wurde. Und vor allem: wer führte Regie? Wir weigern uns, der Annahme zu folgen, es gebe einen unbekannten Regisseur, der im Hintergrund die Fäden gezogen habe, haben wir doch eine unabhängige Rechtsprechung.

Nein, wir sind keine Verschwörungstheoretiker. Auch die Vorstellung, hier solle ganz gezielt ein Exempel statuiert werden, um Kritiker an Israel oder sogar allgemein Kriegskritiker abzuschrecken, kann einem zwar kommen (insbesondere angesichts der Äußerung des Staatsanwaltes in seinem Plädoyer über eine Wiederholungsgefahr), doch wir weisen sie zurück. Wir wollen unseren Glauben an die Unabhängigkeit der Justiz behalten, eine der Grundlagen unseres Mutes, für Menschenrechte einzutreten. 

Die Rezensenten sind rat- aber nicht mutlos. 

Wir warten am Bühnenausgang auf Issa: er ist auch erschöpft, aber auch nicht mutlos. Er hat ja die Rolle sicher in der nächsten Aufführung!

Als Rezensenten wieder Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel, Berlin

***********************************

Und nun zur Beschreibung des Stückes selbst (Textbuch, Regie und Improvisation ließen sich wieder nicht trennen) einige Notizen von der Verhandlung gegen Issa am 19.6.2009 � bruchstückhaft, da die Rezensenten angesichts der Fülle der Geschehnisse auf, vor und hinter der Bühne manchmal mit dem Aufzeichnen nicht folgen konnten und da manche der Akteure es offenbar darauf angelegt hatte, die Zuhörer vom Verstehen auszuschließen.

Die Verhandlung und ihre Unterbrechungen:

Zu Beginn der Verhandlung, um 10:03, teilt die Richterin mit, alle zusätzlichen Beweisanträge der Verteidigung aus der Verhandlung vom 16.6. seien für dieses Verfahren belanglos und deshalb abgelehnt. Sie verweist auf StPO §420,4, nach dem im Verfahren der Richter über die Zulassung von Beweisanträgen bestimmt.

Der Verteidiger beantragt eine etwa 10-minütige Unterbrechung, um seine Gegenvorstellung vorbereiten zu können. Wir verlassen den Saal.

Um 10:15 erfolgt die Gegenvorstellung des Verteidigers: Eine pauschale Ablehnung von Beweisanträgen ohne Begründung ist wegen StPO §244,2 unbegründet. Er zitiert aus einem Handkommentar (Meyer-Geßler): Die Ablehnung des Antrags erfordere einen begründeten Gerichtsbeschluss. ?Belanglosigkeit� müsse mit tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bewiesen werden. Die Verteidigung erhebt Gegenvorstellungen, weil die Begründung des Ablehnungsbeschlusses die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen, aus denen der Beweisantrag abgelehnt werde, nicht erkennen lasse. Es sei in der Ablehnung nicht einmal angegeben, ob diese auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht.

Die Richterin erklärt, sie habe diese Gegenvorstellung zur Kenntnis genommen, sie halte eine Begründung nicht für erforderlich und bleibe bei der Ablehnung.

Der Verteidiger fragt die Richterin, ob das Gericht auch der Meinung des Staatsanwaltes sei, dass ?alle Menschen arabischen Glaubens� den Davidstern als religiöses Symbol sehen? Der Staatsanwalt interveniert und erklärt, ein solcher ?Ausforschungsantrag� sei unzulässig. Der Verteidiger weist darauf hin, er halte diese Klärung aus Gründen der Prozessökonomie für nötig. Der Staatsanwalt wiederholt, lautstark, unaufgefordert: ?Das Gericht ist nicht verpflichtet�. 

Die Richterin wirkt heute entschlossener, die leichte Rötung im Gesicht deutet auf Erregung, ja auf Druck hin, unter dem sie sich fühlt. Sogar ihre Stimme wird gelegentlich laut.  Einmal ermahnt sie die still zuhörenden Besucher zur Ruhe, obwohl wir keinerlei Unruhe haben erkennen können.

Die Richterin weist die Frage zurück.

Der Verteidiger bittet um eine Unterbrechung, um nun notwendig gewordene weitere Beweisanträge vorbereiten zu können. Auf die Frage der Richterin erklärt er, dass er eine halbe Stunde brauchen werde, sie gesteht lediglich eine 20-minütige Unterbrechung zu.

11:26 wird die Verhandlung fortgesetzt mit zwei Beweisanträgen der Verteidigung:

Das Gericht möge als Zeugen Prof. Ruf (Uni Kassel) � zum Thema ?arabischer Glauben� � und Prof. Rolf Verleger (Uni Lübeck) zum Thema ?Davidstern als jüdisches Glaubenssymbol� laden.

Wieder Unterbrechung, diesmal weil die Richterin über diese Beweisanträge entscheiden muss. Das Publikum darf diesmal im Saal bleiben. Als Gespräche im Publikum aufkommen, fordert der Staatsanwalt lautstark zur Ruhe auf. Der Verteidiger weist ebenfalls lautstark darauf hin, dass die Verhandlung unterbrochen sei und deshalb keine ?Ruhepflicht� gegeben sei, der Staatsanwalt kontert lautstark, das Publikum schweigt verschreckt.

Um 11:35 verkündet die Richterin, dass die Beweisanträge abgelehnt seien. Der Verteidiger erklärt, dass auch dieser Ablehnungsbeschluss den gesetzlichen Anforderungen nicht entspreche.  Die Richterin: das Gericht bleibt bei seinem Beschluss.

Es folgt die ?Verlesung� des Bundeszentralregisterauszuges � er enthält keine Eintragungen zu Issa.

Plädoyer des Staatsanwaltes:

In unglaublicher Schnelligkeit, ohne auch nur den Versuch, das von ihm Gesagte den Hörern zu vermitteln, wiederholt er die Anschuldigungen, als hätte die Verhandlung nicht stattgefunden.

Aus dem weitgehend unverständlich bleibenden Sprachbrei (ein Mitschreiben ist unmöglich, Notizen sind auch kaum machbar) hier einige Brocken, die sich notieren ließen:

Der Davidstern symbolisiere alle Juden, so dass der Angeklagte mit der Verbindung von Davidstern und Hakenkreuz Judentum und Faschismus gleichgesetzt habe, wo doch gerade in Deutschland angesichts seiner Geschichte die Juden sehr, sehr schützenswert seien.

Wie hätte wohl eine (fiktive) Gruppe, Berlin besuchender Rabbiner aus Israel auf so ein Plakat reagiert: sie hätten daraus schließen müssen, ?es geht wieder los?� (Anmerkung der Rezensenten: wir liefen genau bei dieser Demo neben einem Rabbiner aus Jerusalem, der sich eben wegen der faschistoiden Entwicklung in Israel den demonstrierenden Palästinensern angeschlossen hatte und uns dies auch genau so erläuterte � wie schade, dass die Regie Zwischenrufe oder gar Wortmeldung aus dem Publikum nicht vorsieht � dies hätten wir sehr einfach zurückweisen können, wenn auch nur mit einem Rabbi und nicht mit einer ganzen Gruppe.)

Die Hamas bringe in Israel schwangere Frauen und Kinder um, doch dagegen demonstriere der Angeklagte nicht.  

Dass auch im Fernsehen eine Verbindung von Hakenkreuz und Davidstern gezeigt worden sei, gebe keinerlei Recht, dies nachzumachen. Und hier folgt eine Begründung, die sowohl für den Mangel an Denkvermögen beim Staatsanwalt ein beredtes Zeugnis ablegt als auch für sein Verhältnis zu Menschen mit ?Migrationshintergrund�: im Fernsehen sei ja auch gezeigt worden, wie zwei junge Männer mit Migrationshintergrund in der Münchener U-Bahn einen alten Mann angegriffen hätten, und daraus könne man ja auch nicht das Recht ableiten, dies nachzumachen.  (Dies ist nun im gegebenen Zusammenhang völliger Unsinn, aber es entlarvt: das Argument würde nur Sinn machen, wenn es gälte, dem Angeklagten nachzuweisen, er habe aus dem Zeigen einer Straftat das Recht auf das Begehen einer solchen abgeleitet � es geht aber darum, dass das Zeigen selbst als Straftat gewertet werden soll�doch so viel Differenzierung war dem Staatsanwalt wohl nicht zuzumuten. Aber warum er nun gerade aus der Fülle der in den Medien gezeigten Straftaten eine von ?zwei Männern mit Migrationshintergrund� wählt, macht nur dann Sinn, wenn es darum geht, gerade diese Bevölkerungsgruppe besonders zu adressieren � s. auch die Bemerkung des Staatsanwaltes vom ?Gastland� am ersten Verhandlungstag: das riecht sehr nach Fremdenfeindlichkeit?).

Der Angeklagte habe gleich drei Straftatbestände erfüllt. Deshalb fordere er eine Bestrafung mit 5 Monaten Haft, die angesichts des Fehlens von Vorstrafen allerdings zur Bewährung auszusetzen sei, zuzüglich einer Geldbuße von EUR2000, die vorzugsweise an eine das Gedenken an den Holocaust pflegende Vereinigung zu gehen habe.

Er sagte, der Angeklagte habe sich uneinsichtig gezeigt und es sei zu befürchten, dass er bei entsprechender Gelegenheit wieder so handeln würde. Er begründete diese Vermutung der Uneinsichtigkeit in keiner Weise.

Geradezu zynisch mutete die Bitte des Staatsanwaltes an die Richterin an, das skandalöse Verhalten des Verteidigers� nicht strafverschärfend wirken zu lassen wie klein und hilflos muss ein Richter sein, um sich so etwas vorsetzen zu lassen!

Bei und nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes fragen wir uns, für wen dieser Vortrag bestimmt sei: die Zuhörerschaft, die er ja währende der Verhandlung offenbar als störende, feindliche Gruppe behandelte (s. seine Aufforderung zum Schweigen während einer Verhandlungspause), strafte er mit Verachtung, indem er uns durch seine Sprechweise (leise, überschnell, ohne alle rhetorischen Schwerpunkte, offensichtlich ohne den Versuch, überzeugend zu wirken) mitteilte: das Publikum ist mir gleichgültig.  Die Richterin wird durch den Staatsanwalt mit dieser Rhetorik so behandelt, als wolle er sagen, dass er dies ja alles schon vorab gesagt habe und dass nun nichts Neues mehr komme. Sie wisse schon?

Eine erneute Unterbrechung der Verhandlung: der Verteidiger bittet um 30 Minuten Pause, um sein Plädoyer den neuen Entwicklungen im Prozess anpassen zu können. Die Richterin gewährt nur 20 Minuten.

Plädoyer des Verteidigers:

Das Plädoyer des Verteidigers fasst in wohltuend sachlicher Weise nochmals die Position der Verteidigung zusammen:

Er beginnt mit der persönlichen Vorbemerkung, er habe die Hoffnung gehegt, dass der Staatsanwalt sein Verhalten ändere. Dies sei zu seinem Bedauern nicht geschehen.

Das Gericht möge bedenken, dass so ein Verfahren öffentlich als der Versuch wahrgenommen werden könne, Kriegsgegnern einen Maulkorb zu verpassen.

Die Anklage ist im Prozess wesentlich erweitert worden, nämlich um Anklage gem StGB §130 (Volksverhetzung) und §166 (Beschimpfung religiösen Bekenntnisses).  Und so sei aus dem Strafbefehl über 60 Tagessätze ein Strafantrag auf eine Freiheitsstrafe zuzüglich einer wesentlich höheren Geldbuße geworden.  Es sei zu fragen, warum die Staatsanwaltschaft dies nicht schon früher in der Anklage gesagt habe. Die Frage der Meinungsfreiheit sei im Plädoyer des Staatsanwaltes überhaupt nicht angesprochen worden. 

Der Verteidiger sagt nochmals, dass Issa auf die Kriegsverbrechen der israelischen Armee aufmerksam machen wollte. Mit seiner Aussage ?Wer wegsieht ist schuldig� und dem Hakenkreuz habe er die Verbindung zum Schweigen und Ignorieren durch die deutsche Bevölkerung im Dritten Reich zum Ausdruck gebracht.  Issa, zu dessen Freunden auch Juden zählen, habe keine Aussage gegen Juden machen wollen und gemacht.

Die Verurteilung gemäß §86a ist gem. eines Urteils des BGH vom 15.3.2007 nicht möglich, weil dieses Urteil klarstellt, dass die Tatsache (Zeigen des Hakenkreuzes) im Zusammenhang mit dem Zweck dieses Zeigens gesehen werden muss und erst aus dem Zweck heraus den Tatbestand gemäß §86a erfüllt. Der Mandant habe aber durch das Zeigen gerade auf die Verbrechen der Nazis hingewiesen.

Die Anwendung von §130 (Volksverhetzung) ist aus zwei Gründen nicht möglich:
a)  die verkürzte symbolische Darstellung dient eindeutig der Aufklärung der Betrachter
b) es ist keine ?Zielgruppe� einer ?Volksverhetzung� zu erkennen.

Zu §166 verweist der Verteidiger darauf, dass eine Anwendung schon deshalb nicht in Frage komme, weil das Plakat im Sinne des heutigen Kunstbegriffes als Kunst einzustufen sei.

Er verweist darauf, er habe als Beweismittel das Polizeivideo von der Demonstration einbringen lassen wollen, um daraus nachzuweisen, dass Issa eine Stunde lang sein Plakat gezeigt habe ohne irgendwelche erkennbare Ablehnung auszulösen, bis dann die Polizei einschritt. Die Tat gemäß §166 muss geeignet sein, ?den öffentlichen Frieden zu stören.� Dies sei hier nicht gegeben.

Für alle diese Delikte ist Vorsatz erforderlich. Der Verteidiger stellt die Frage, ob Issa wusste, ob seine Handlung strafbar war. Die Frage, ob es sich um einen Verbotsirrtum oder einen Tatbestandsirrtum gehandelt habe, sei erheblich.

Hier versuchte der Staatanwalt das Plädoyer zu unterbrechen. Der Verteidiger reagierte durch die Aufforderung an die Richterin, sicherzustellen, dass er sein Plädoyer ungestört halten könne. Ihre Antwort, ?Ich höre zu� reicht ihm nicht, er möchte, dass sie den Staatsanwalt auffordert, das Plädoyer nicht zu stören. Als der Staatsanwalt dennoch weiterredet, sagt der Verteidiger: ?Ich plädoyiere hier und bitte nicht unterbrochen zu werden. So etwas war im Faschismus üblich!� Der Staatsanwalt droht ihm daraufhin mit einer Anklage.

Der Verteidiger fordert aus all den vorgebrachten Gründen einen Freispruch für Issa.

Replik des Staatsanwaltes:

Der Staatsanwalt verweist in einer kurzen Replik, dass die Einlassungen zu §166 beide unerheblich seien.

Schlusswort des Angeklagten:

Issa wird von der Richterin zu einer Stellungnahme aufgefordert. Er trägt in bewegender Weise vor, wie seine Familie aus ihrer Heimat im Norden des heutigen Israel vertrieben worden sei und in einem Flüchtlingslager im Libanon gelebt habe, als er 1964 geboren wurde. Seine Mutter, die aus ihrer Heimat ein friedliches Zusammenleben auch mit den Juden ihres Dorfes kannte, habe ihn in Respekt vor allen Menschen, auch vor Menschen jüdischen Glaubens erzogen. Er schilderte nochmals seine Kindheitserlebnisse bei den Angriffen der israelischen Luftwaffe auf das Lager 1974. Er war 15, als seine Mutter ihn zu seinem Bruder nach Berlin schickte, wo er seither lebt.

Er hat sich sehr mit deutscher Geschichte beschäftigt. Als die deutsche Öffentlichkeit angesichts des Gaza-Krieges ?wegsah�, wurde er an das Wegsehen der Deutschen in der Zeit der Judenverfolgung durch die Nazis erinnert.

Er stellt eine sehr persönliche Frage an den Staatsanwalt: Haben Sie Krieg erlebt? Haben Sie die Wut der Ohnmacht erlebt? (Der Staatsanwalt blickt gleichgütig vor sich hin.)

Issa schildert, dass er in seinem Wohnviertel in Berlin (im Bayerischen Viertel) täglich an Gedenktafeln vorbeikommt, die er als Zeugnisse der Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung damals wahrnimmt.

Deshalb seine Mahnung: ?Nicht wegschauen!�

13:55 zieht sich das Gericht zurück.

Das Urteil

14:10 verliest die Richterin ?Im Namen des Volkes� das Urteil: Issa wird in allen Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Die Urteilsbegründung klingt, als habe der ganze Prozess nicht stattgefunden. Die Strafe: 120 Tagessätze (Verdoppelung des im von Issa zurückgewiesenen Strafbefehl geforderten) zu zahlen an eine Organisation, die sich der Pflege der Erinnerung an den Holocaust widmet.

 

 

 

 

Vorsicht Satire

Der Fall Issa / Rezension einer Aufführung am 16.6.09 im Justiz-Theater Moabit

 

Was war das, was wir da gestern in Moabit erlebten?  Es erinnerte in manchen Phasen an eine Aufführung eines absurden Theaterstücks.  Darum unser Bericht als Theaterkritik?

Stück: Der Fall Issa

Aufführungsort: Justiz-Theater in den Räumen des Amtsgerichtes Moabit, Kirchstr. 6

Die Besetzung:

Vorsitzende Richterin:  eine totale Fehlbesetzung!  Nicht nur, dass die sehr sympathische Dame nicht sprechen kann und deshalb ihre Texte fast unhörbar dem Raum anvertraut � jede Schauspielschülerin lernt doch in den ersten Wochen, dass es darauf ankommt, einen vorgegebenen, aber auch einen improvisierten Text selbst dem letzten im Raum verständlich zu machen.  Doch hier wurden Texte so leise und ohne rhetorische Schwerpunkte und dazu noch so unverständlich schnell heruntergesäuselt, dass beim Zuschauer Ärger aufkam. Und das bei so guten Textautoren wie Uri Avnery oder auch den Verfassern des StGB.  Nein, bei der nächsten Aufführung sollte diese Fehlbesetzung korrigiert werden.

Der finstere Staatsanwalt: eine schwere Rolle, hatte er von der Regie doch offenbar die Aufgabe zugedacht bekommen, einen offensichtlich zum Scheitern verurteilten Fall doch noch zu drehen und  dem Guten, der Staatsraison (wir wissen ja aus Angela Merkels vielen Äußerungen, dass die Unantastbarkeit Israels deutsche Staatsraison ist), zum Siege zu verhelfen.  Doch auch hier eine Fehlbesetzung: der Akteur überschlug sich geradezu in seinem Eifer und schlug immer wieder auf den Verteidiger ein wie im Kasperletheater. Seine Stimme versuchte, an Geschwindigkeit und Unverständlichkeit mit der seiner Kollegin am Richtertisch zu konkurrieren. Der Spieler fiel  nicht nur der einzigen weiblichen Sprechrolle unangenehm oft ins Wort und gab ihr dazu noch auf offener Bühne Regieanweisungen weiter. Auch sein Sprechen war oft geprägt von übergroßem Eifer, seiner Rolle gerecht zu werden, so dass er immer wieder in unbeherrschte Tempi vorpreschte.  Uns Hörern blieb so vielleicht manches erspart. Bei den offenbar vom Textbuch abweichenden improvisierten Textteilen offenbarte der Darsteller, dass er sich nur sehr lückenhaft mit den Hintergründen des Dramas beschäftigt hatte. Ausrutscher wie ?arabische Religion� oder (in Bezug auf den Aufenthalt des Angeklagten in den letzten 30 Jahren) ?Gastland� zeigten, dass er sich nicht genug mit den historischen Hintergründen des Stückes und mit den Prozessbeteiligten beschäftigt hatte.  Fehlbesetzung? Eigentlich nicht, eine Umbesetzung dieser Rolle, wie sie von seinem Gegenspieler, dem Verteidiger intensiv gefordert wurde, würde dem Stück einen großen Teil seines Reizes nehmen. Doch dass hätte ja vieleicht einen Vorteil: man könnte sich dann wieder auf das konzentrieren, für das die Spielstätte, das Amtsgericht Moabit, eigentlich eingerichtet wurde: auf die Recht-Sprechung.

Der ernsthafte, stille jugendliche Held: Die stille Hauptrolle, die des Angeklagten, war optimal besetzt.  Hier zeigte das Justiz-Theater endlich seine wahre Größe: der an das Gute glaubende Held wurde sehr wirkungsvoll von Issa gegeben.  Hut ab vor dieser Leistung: der einzige wirkliche Mensch zwischen all den Funktionsträgern. Und so darf ihm auch eine gelegentlich zu verspürende Nervosität nicht angekreidet werden � das gehörte wohl zu der Rolle, alles andere wäre unglaubwürdig gewesen. Wie gut, dass die Regie diese Rolle mit einem gebürtigen Palästinenser besetzt hatte � jedem deutschen Spieler wäre sein offensichtlicher Glaube an Recht und Gerechtigkeit, an Verantwortung und Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit kaum abgenommen worden.

Der Streiter für das Recht: Eine schwierige Rolle, gerade in dieser Inszenierung. Der Darsteller konnte sich im Zusammenspiel mit den übrigen Spielern (außer Issa) nicht so recht ausspielen, zu groß war der Abstand zwischen einem echten Profi-Darsteller und den eher wie Laienschauspielern wirkenden anderen.

Soweit zur Besetzung: Weit unter dem Niveau, dass man von diesem hochsubventionierten Haus erwarten kann.

Die Inszenierung und das Stück:

Ansonsten hatte die Inszenierung alles, was man von einer ?Klamotte� erwartet: überraschende Unterbrechungen, auch lange Strecken ohne verständliche Handlung, dann aber wieder Dramatik, wie z.B. die in einem lauten Türenknallen kulminierende Flurszene zwischen Verteidiger und Staatsanwalt � schade nur, dass nur wenige der Zuschauer dies miterleben konnten, da die meisten glaubten, es sei wirklich eine Spielpause und nicht wussten, dass dieses Theater so etwas nicht kennt.

Nun noch zum Stück selbst � wobei zu bedenken ist, dass dem Zuschauer in solchem modernen Regietheater  die Trennung von Stück, Regie und Schauspielerimprovisation kaum möglich ist, ja er oft gar nicht merkt, dass er selbst Teil der Inszenierung wird.

Dramatisch die Handlung: gleich zu Anfang fürchteten die Zuhörer um ihre Eintrittskarten, als der Verteidiger ausführlich darlegte, warum der Staatsanwalt von ihm abgelehnt werde (StPo §160,2[1]). ?Für den Angeklagten unzumutbar?� der einen Anspruch auf ein faires Verfahren habe (Art. 6, 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte[2]). Noch dramatischer wurde es, als sich zeigte, dass die Richterin offenbar den schriftlichen Einspruch des Verteidigers nicht mit der von diesem erwarteten Wichtigkeit behandelt hatte und nicht wusste, wie die Staatsanwaltschaft darauf eingehen werde.

Prozesspause � und damit eine Möglichkeit für die Besucher, ihre Beobachtungen auszutauschen: eine großartige Idee der Regie!  Und dann: keine Klärung, also keine kurzfristige Umbesetzung (was ja sicher mit einer längerfristigen Unterbrechung der Aufführung und einer Wiederaufnahme in den Spielplan zu einem spätern Zeitpunkt verbunden gewesen wäre). Nein, es ging weiter.

Und da holte der inzwischen offenbar warmgelaufene Staatsanwalt eine neue Keule aus der Kulisse: den §166 StGB, d.h. er konfrontierte Issa und die anderen Beteiligten mit der Neuversion des Dramentextes: jetzt wurde die Szene von der Verunglimpfung eines religiösen Symbols gespielt. So sah die Staatsanwaltliche Fürsorge für den Angeklagten aus! Plötzlich stand eine mehrjährige Gefängnisstrafe drohend im Raum. Und alle, die die Vorführung des ersten Aktes vor 3 Wochen erlebt hatten, wussten auch, dass damit die Drohung einer Abschiebung von Issa wieder handgreiflich wurde.

Die Rezensenten erlebten zwei Ebenen der Handlung: die durch die Spielstätte vorgegebene Standardhandlung ?Rechtsfindung�, die für den Zuschauer völlig in den Hintergrund trat, und die Parallelhandlung ?Bedrohung�, denn anders konnten die Rezensenten und die übrigen Zuschauer das Spektakel nicht erleben, bei dem bei der gestrigen Vorführung offenbar alles hinauslief auf einen frühen Höhepunkt, nämlich dem Schwingen der oben genannten Keule §166 StGB[3] durch den Staatsanwalt und dem Einbringen weiterer Beweisanträge durch den Verteidiger. Dieser forderte als ?Eventualbeweisantrag�[4] eine Reihe von Texten und sonstigen Dokumentationen zuzulassen sowie

o        Einen Text von Human Rights Watch vom 14.1. 2009 über das menschliche Leid in Gaza[5]

o        Einen Text von Human Rights Watch vom 25.3..2009 über die Kriegsverbrechen Israels[6]

o        Die Videodokumentation der Berliner Polizei über die fragliche Gaza-Demonstration

Außerdem sollte zur Einschätzung der Frage des Vorliegens eines Straftatbestandes gem §166 (2) mehrere Zeugen gehört werden, darunter ein Fachmann vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, der über die Frage, ob der Davidstern ein religiöses Symbol sei oder politisches Symbol für Israel, sowie zur selben Frage auch Frau Ruth Fruchtmann, Schriftstellerin, Vorsitzende von ?Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost � EJJP Deutschland� (s. http://www.juedische-stimme.de/).  Der Staatsanwalt verlangte daraufhin sofort, dass Ruth Fruchtmann aus dem Saal gewiesen werden müsse, damit ?sie nicht hören würde, was sie zu sagen hätte� � eine Aussage, die die Rezensenten zumindest als beleidigend für Ruth Fruchtmann empfanden (dass sie nicht im Saal anwesend sein sollte, ist zu verstehen, dass diese Begründung gegeben wurde, war entlarvend!).

Über diese Beweisanträge erhob sich wieder ein heftiger Streit zwischen dem Staatsanwalt und dem Verteidiger. Der Staatsanwalt hielt offenbar die Beweisanträge für völlig unsinnig, insbesondere der Beweisantrag, die Polizei-Video-Dokumentation einzubringen, um nachzuweisen, dass auf der Demo großformatige Fotos verletzter, verstümmelter Menschen in Gaza, insbesondere von Kindern, gezeigt wurden, veranlasste ihn zu der  Frage an den Angeklagten, ob dieser wohl auch Fotos von verletzten israelischen Kindern gezeigt hätte, eine in diesem Kontext absurde Frage, die jedoch die Voreingenommenheit des Staatsanwaltes noch einmal deutlich machte. Und dann fiel auch das Wort des Staatsanwaltes an den Angeklagten, er hätte wohl in den 30 Jahren in seinem ?Gastland� wenig gelernt über die Empfindungen seiner deutschen Mitbürger ? (Issa sagte den Rezensenten nach der Vorstellung, er habe wirklich nicht gelernt, wegzusehen und zu Unrecht zu schweigen!). Und dass der Staatsanwalt mit seiner Wortwahl ?Gastland� noch einmal die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus  von Issa in Deutschland herauskehrte, wurde von den Zuschauern (und auch von Issa selbst) als erschreckende Drohgebärde erlebt. Seine Unkenntnis der historischen Zusammenhänge und der gegenwärtigen Situation wurde auch in einem Zwischenruf des Staatsanwaltes deutlich, ?die arabischen Staaten� sollten doch erst mal ?Israel anerkennen� � offenbar weiß er weder, dass es zwei arabische Staaten gibt (Jordanien und Ägypten), die volle diplomatische Beziehungen mit Israel unterhalten noch etwa von der Arabischen Initiative zur Anerkennung von Israel weiß. Wie schon gesagt: eine Fehlbesetzung!!

Die Vorstellung wurde wieder unterbrochen, weil die Richterin nun die neuen Beweisanträge ?würdigen� wollte � und als die Zuschauer den Theater- nein. Gerichtsraum wieder betreten durften, wurde lediglich verkündet, die Verhandlung werde am kommenden Freitag, 19.Juni 2009, 10 Uhr im selben Saal im 2. Stock des Amtsgerichtes Moabit, Kirchstr. 6,  fortgesetzt.

Ein Trost für alle diejenigen, die diese neuerliche Aufführung aus dem Stück verpassen müssen: sie haben vermutlich eine weitere Chance eine solche Inszenierung zu erleben, dann allerdings wohl mit veränderter Besetzung, wenn es zu einer Verhandlung gegen eine junge Palästinenserin kommt, die des gleichen Vergehens angeklagt wurde und deren Verfahren noch aussteht.

Als Rezensenten: Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel, Berlin, 17.6.2009


 

[1] § 160 StPO

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft /  Zweites Buch (Verfahren im ersten Rechtszug) / Zweiter Abschnitt (Vorbereitung der öffentlichen Klage)

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

(3) Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen.

(4) Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.

aus: http://www.juraforum.de/gesetze/StPO/160/

 

[2] Artikel 6 - Recht auf ein faires Verfahren

(1) Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teils derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, in diesem Falle jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.

(2) Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Unschuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

(3) Jeder Angeklagte hat mindestens (insbesondere) die folgenden Rechte:

a)  unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen in Kenntnis gesetzt zu werden;

b)  über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen;

c)  sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

d)  Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken;

e)  die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er (der Angeklagte) die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.

aus: http://www.staatsvertraege.de/emrk.htm

[3] § 166

Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

 

[4] Den Rezensenten wurde die Bedeutung dieser Anträge nicht klar. Sie vermuten nach einer nachträglichen Recherche , dass der Verteidiger hier bedingte Beweisanträge stellte, über die wir fanden: ?Von einem bedingten Beweisantrag spricht man bei einem Beweisantrag, der unter einer Bedingung (z.B. des Eintritts einer bestimmten Prozesslage, der Stellung eines bestimmten Antrags von der Gegenseite, dem Umstand, dass das Gericht zu einer bestimmten Auffassung kommt oder eine bestimmte Entscheidung trifft), gestellt wird.� http://www.lexexakt.de/glossar/bedingterbeweisantrag.php

 

 

 

 

Liebe Freunde, liebe Interessierte,

das war ein seltsames Erlebnis vor 2 Wochen, die Verhandlung vor dem Amtsgericht Berlin-Moabit gegen Issa. In den 30 Jahren in Deutschland hat er viel gelernt: über die deutsche Geschichte, über die Brutalität der Nazis und die brutale Gleichgütigkeit und das Wegsehen der Deutschen, als die Juden zusammengetrieben und in die Vernichtungslager gebracht wurden. 

Er lebt inmitten der heutigen deutschen Gesellschaft und er erlebt, dass diese weitgehend stumm bleibt angesichts der Massaker in Gaza. Er hat gelernt, dass wir in Deutschland ein Maß an Freiheit der Meinungsäußerung haben, von dem andere nur träumen können, ja, bis er plötzlich an die Grenzen dieser Freiheit stößt. Er wagt es, bei einer Demo gegen den Gaza-Krieg die Gleichgültigkeit der schweigenden Mehrheit der Deutschen heute mit der vor 65 Jahren zu vergleichen und wählt dafür plakativ auf seinem handgemalten Poster die Gleichsetzung von Hakenkreuz und Davidstern und den Spruch: "Wer wegsieht ist schuldig."

Und das gab der Polizei die Handhabe, ihn festzusetzen: Hakenkreuze dürfen eben nicht gezeigt werden, selbst wenn man sie verwendet, um gegen die Nazidiktatur und die Judenmorde anzuschreien! Sie lassen sich jedenfalls gut instrumentalisieren, um die verzweifelten Proteste gegen die Grausamkeiten der israelischen Militärs medial und eben nun auch juristisch umzubiegen in das große Thema "Antisemitismus". 

Wir waren bei der Verhandlung und schicken Ihnen/Euch anbei unseren juristisch natürlich laienhaften Bericht
-- vielleicht kommen ja einige zum nächsten Termin am 16.6. um 11 Uhr in der Kirchstr. 6 in Berlin-Moabit.


Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel
www.palaestina-heute.de

 

 

 

Gertrud Nehl
58135 Hagen

 

 

An die Justizsenatorin                                                                                        Hagen 18.6.09

der Senatsverwaltung für Justiz

Berlin

 

 Sehr geehrte Frau Justizsenatorin von der Aue,

 

am Dienstag den16.6.09 war ich zur Prozessbeobachtung gegen Issa H. im Amtsgericht Moabit. Der Beschuldigte ist Palästinenser und lebt seit dreißig Jahren in Deutschland. Es wird ihm zur Last gelegt, dass er bei einer Demonstration gegen den Krieg in Gaza, ein durchgestrichenes

Hakenkreuz-Symbol, den Davidstern und „wer wegsieht, macht sich schuldig“ als Zeichen seiner Empörung über diese Katastrophe für die palästinensische Bevölkerung  benutzt habe.

  

Über den Verlauf der ersten Hauptverhandlung weiß ich nichts. Zum zweiten Termin bin ich gekommen, um mir ein Bild zu machen ob Paragraph I des Grundgesetzes hier gilt. Uri Avnery, ein Israeli, hat am Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2008 in Berlin  gesagt, dass er die Deutschen um diesen Paragraphen beneide!

 

Die 2. Verhandlung zum Prozess gegen Issa war eine Farce: er dauerte mit Pausen mehr als 3 ½ Stunden. Die Richterin war überfordert; sie sprach, auch nach mehreren Bitten der zahlreichen Prozessbeobachter, sich verständlich zu machen, zu  leise und zu schnell. Der Staatsanwalt schien  schlecht vorbereitet, sonst hätte er klar zwischen der offiziellen Politik Israels mit dem Symbol  des Davidssterns und allgemeinem antisemitischem Verhalten unterscheiden müssen. Der Unterschied zwischen Juden und Israelis sollte in einem solchen Prozess klar erkannt werden. Gewundert hat mich die Bemerkung, dass der Angeklagte, wenn er seit dreißig Jahren im „Gastland“ wohne,  Dies oder Jenes wissen müsse.  Inhaltlich wurde nichts geklärt. Beweise müssen erst neu bewertet werden. Eine Zeugin von der Jüdischen Stimme wurde vor die Tür geschickt, damit sie „nicht hört, was sie sagen soll“ ; sie wurde dann jedoch trotzdem nicht angehört.

Allgemein ist zu dieser Verhandlung zu sagen, dass sie weit unter Niveau einer solchen Instanz verlief: der Staatsanwalt schien darauf bedacht, Issa nur zu belasten und auf seinem Rücken die Animositäten auszutragen, die in der deutschen Öffentlichkeit zwischen Freunden der offiziellen Israelpolitik und ihren Kritikern bestehen. Mehrmals fiel das böse Wort vom „lächerlich machen“. Damit wird der Justiz großer Schaden zugefügt, die Rechtsprechung wird unglaubwürdiger. Ich bitte Sie, die Besetzung dieses Prozesses zu überdenken, dabei könnte tatsächlich die Richtlinie des Paragraphen I unseres Grundgesetzes sein: man stelle sich vor ein Israeli stände wegen Zeigen einer palästinensischen Flagge, einem durchgestrichen Hakenkreuz und „wer wegsieht, macht sich schuldig“ vor Gericht, ganz zu schweigen von der Bemerkung „dreißig Jahren Gastland“.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Gertrud Nehls

 

 

 

 

Wer wegsieht ist schuldig - Beobachtungen in Moabit

 

Issa H. lebt schon 30 Jahre in Deutschland, er hat als Kind im palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon den israelischen Bombenterror erlebt.

Die Richterin befragt ihn ?zur Person: geboren 1964; Herr H. weist darauf hin, dass im Polizeiprotokoll ein falsches Geburtsjahr eingetragen sei; der Staatsanwalt betont, dass dies die Ermittlungen erschwert und das Einholen eines Zentralregisterauszuges unmöglich gemacht habe, was wiederum prozessverzögernd wirke.  Issa H. ist von Beruf Kinderkrankenpfleger und arbeitet derzeit als Krankenpfleger, falls wir bei der miserablen Akustik des Saales die fast geflüsterten Fragen der Richterin und die leisen Antworten von Issa H. richtig verstanden habe.

Wir versuchen, uns nicht zu ärgern, dass die ? Öffentlichkeit (rund 20 Menschen auf zwei Stuhlreihen an der dem Richtertisch gegenüber liegenden Schmalseite des Raumes) dem Prozess doch nur sehr eingeschränkt folgen kann wegen der Akustik und wegen der Sprechweise insbesondere der Richterin. Wir hoffen, gemeinsam das Wesentliche doch mitbekommen zu können.

So liegt es wohl auch an der Akustik, dass uns verborgen bleibt, warum es zu dem immer schärferen Wortwechsel kommt zwischen einem zunehmend gereizten Staatsanwalt und einem überaus selbstbewussten Verteidiger, der immer wieder auf seine jahrelangen Erfahrungen bei Staatsschutzprozessen verweist.  Wir hören eine Drohung in der Aussage des Staatsanwaltes, der darauf verweist, es könne sich auch um das Delikt der Volksverhetzung handeln, und da sei der staatenlose Angeklagte ja sogar mit Ausweisung bedroht.  Und da sei zu fragen, ob der Verteidiger ihn wohl richtig berate. Das alles gipfelt in dem Antrag des Verteidigers auf Beistellung eines Pflichtverteidigers, da er sich gezwungen sehen könnte, die Verteidigung niederzulegen. Dass wir das Verhalten der beteiligten Juristen nicht verstehen, mag auch an unserem Mangel an Erfahrung in Gerichtssälen liegen.

Dann hören wir endlich, welcher Straftat Herr H. angeklagt ist: er hat auf einer der Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg ein selbstgemaltes Poster hochgehalten, das ein Hakenkreuz und einen Davidsstern nebeneinander zeigte und die Aufschrift trug: Wer wegsieht ist schuldig.  Wir glauben, uns zu entsinnen, bei der Demo das Plakat gesehen und es als sehr prägnant empfunden zu haben. (Leider haben wir es nicht fotografiert wie Hunderte anderer Plakate; doch da wir die Fotos alle auf unsere Web-Site gestellt habe, säßen wir vielleicht jetzt neben Issa H. auf der Anklagebank?!)

Wo ist der Tatbestand? Der Staatsanwalt spricht von StGB 86a, also dem Paragraphen, wie wir später nachlesen, der im ?Besonderen Teil des StGB unter der Kapitelüberschrift 1. Abschnitt - Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 80 - 92b)  3. Titel - Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 - 91) das ?Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen� unter Strafe stellt.

Herr H. erklärt auf Befragen der Richterin, seine Absicht bei der Verwendung des Hakenkreuzsymbols sei gewesen, auf die Verbrechen der Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus und auf des Schweigen der Öffentlichkeit damals hinzuweisen und eine Verbindung herzustellen zu dem Schweigen der Öffentlichkeit heute zu dem, was an Grausamkeiten in Palästina, besonders in Gaza stattfinde. Ihm seien bei den Bildern der verstümmelten Kinder seine eigenen Kindheitserlebnisse wiedergekommen. Er habe aufrütteln wollen: schaut nicht wieder weg! Issa klingt glaubwürdig. Seine Betroffenheit ist greifbar.

Der Verteidiger führt als Beweismittel u.a. einen Text von Uri Avnery ein, aus dem er ausführlich vorliest, um zu begründen, dass Issas Vergleich von nationalsozialistischem Völkermord mit dem derzeitigen Genozid an den Palästinensern zumindest verständlich ist und auch in der Öffentlichkeit sowohl in Israel (Uri Avnery) wie auch in Deutschland behandelt wird.

Der Prozess wird vertagt, schon um den noch ausstehenden Zentralregisterauszug einholen zu können.

Wir verlassen nachdenklich das Gericht: Was wird hier inszeniert? Die Anklage gegen den Völkermord der Nazis wird gar nicht wahrgenommen.  sondern die graphische Gestaltung dieser Anklage mittels des Hakenkreuzes wird als Verherrlichung des Dritten Reiches interpretiert. Welch widersinnige Konstruktion!

Zu Hause, vor dem PC-Bildschirm, versuchen wir, zu verstehen, was hier juristisch abläuft. 

Und siehe da, unser Rechtsystem ist keineswegs so ?formalistisch wie die nackte Formulierung des 86a befürchten lässt.

Eine einfache Suche lässt uns gleich zwei BGH-Urteile finden, die deutlich machen, dass die Rechtsprechung durchaus den ?Schutzzweck� des 86a beachtet und im Urteil des BGH 01.10.2008 - 3 StR 164/08 sagt: ?Ein tatbestandliches Handeln scheidet aber dann aus, wenn sich aus den Gesamtumständen der Verwendung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuwider läuft.�

Und auch schon ein Jahr früher im Urteil vom 15.03.2007 - 3 StR 486/06 heißt es: ?Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand der Vorschrift nicht erfasst.� (http://dejure.org/dienste/lex/StGB/86a/1.html)

?Schutzzweck�? Die §§84-91 stehen unter dem Titel ?Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, der Schutz soll also dem Staat und seinem Charakter als demokratisch und als Rechtsstaat gelten. Ist dieser Schutz gefährdet, wenn die Verbrechen des Nazireichs und die Gleichgültigkeit der Deutschen damals genannt und mit dem Geschehen heute in Beziehung gesetzt werden? Wir meinen nein, im Gegenteil: der Staat wird geschützt, wenn wache Bürger auf Tendenzen hinweisen, die ihn gefährden können, z.B. eben die Gleichgültigkeit und das Wegsehen. Also können wir für Issa hoffen, aber auch für uns, denn was wäre das für ein Staat, der seinen Bürgern verwehrt, historisches Unrecht anzuklagen und plakativ zu vergleichen mit dem, was heute geschieht?!

Doch der Prozess geht weiter, am 16.6., 11 Uhr, wieder in Moabit, Kirchstr. 6

 

Hier die Links zum Nachlesen und denken:

§130 http://dejure.org/gesetze/StGB/130.html
§86  
http://dejure.org/gesetze/StGB/86.html
§86 a http://dejure.org/gesetze/StGB/86a.html

Der Verteidiger von Issa H. hat auf seiner Internetsite (http://www.menschenrechtsanwalt.de/) eine Presseerklärung zum Prozess hinterlegt, die er vor dem Gerichtstermin veröffentlicht hat: http://racf.de/Presseerklaerung%20Gaza-Demo%20Symbole.pdf


 

 

 
 

 

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