Offener Brief an alle Fraktionen des baden-württembergischen
Landtags und den Landtagspräsidenten Peter Straub
April 2008
Sehr geehrte Damen und Herren, mit Erstaunen haben wir festgestellt,
dass Sie den „Baden-Württemberg-Wald“ des Jüdischen Nationalfonds (Keren
Kayemeth Leisrael) unterstützen. Der Jüdische Nationalfonds
beansprucht mit Projekten, wie dem Baden-Württemberg-Wald, die Negev
zu begrünen. Doch bei einem genaueren Blick auf die Aktivitäten des
Jüdischen Nationalsfonds im Negev und auch auf dem Gebiet des
Baden-Württemberg Walds, stellt man fest, dass die „ökologischen
Ziele“ die Verdrängung der palästinensischen Bewohner und
völkerrechtswidrige Politik bemänteln.
Das Projekt des Baden-Württemberg-Waldes gehört zu den umfangreichen
Aufforstungsaktivitäten im Lahav-Gebiet (Wald deutscher Länder) nahe
der Stadt Levahim. Die ursprünglichen Besitzer dieses Landes sind
der Beduinen Stamm der Tiyaha oder genauer der Abu Sukut Klan. Wie
schon aus der klaren Bestimmbarkeit der Zugehörigkeit von einem
Landstück zu einem bestimmten Klan ersichtlich ist, ist die
Gesellschaft früherer Jahrhunderte in Palästina davon ausgegangen,
dass bestimmten Beduinenfamilien bestimmte Ländereien gehören, die
sie traditionell bewirtschafteten.
Von den weit mehr als 100 000 Beduinen, die vor1948, in Dörfern in
der Negev ansässig waren, floh die Mehrheit zum Zeitpunkt der
Staatsgründung Israels oder wurde von zionistischen militärischen
Einheiten vertrieben. Nur 10 000 blieben in der Negev. Diese wurden
von Premierminister Ben Gurion auf einem relativ kleinen Gebiet im
Nordwesten der Negev konzentriert und wie alle Palästinenser auf
israelischem Staatsgebiet unter Militärgesetz gestellt. Das Land
wurde, wie der größte Teil des palästinensischen Bodens überhaupt,
mittels verschiedener israelischer Gesetze in den 50er Jahren
enteignet. Dazu gehört das „Gesetz über die Besitztümer der
Abwesenden“ aus dem Jahr 1950, nachdem alle Palästinenser, die sich
in der Zeit von 20. November 1947 und dem Erlass des Gesetzes im
Jahr 1950 im Ausland oder nur in einem benachbarten Dorf aufgehalten
hatten, als Abwesende klassifiziert und enteignet werden konnten.
Heute leben in der Negev wieder 160 000 Beduinen, jedoch haben sie
nur noch zu 10 Prozent des ursprünglichen Landes Zugang.
Beduinen hatten anders als palästinensische Städter oder Bauern
aufgrund ihrer Tradition ihr Land, auf dem sie seit Hunderten von
Jahren gelebt hatten, meist nicht eingetragen. Doch aus den
Vorgängen nach der Staatsgründung im Jahr 1948 hatten sie gelernt.
Nach der Beendigung der Militärverwaltung im Jahr 1966 versuchten
sie quasi im Wettlauf mit dem israelischen Staat ihr Land
registrieren zu lassen. Es gab viele Gerichtsprozesse in diesen
Jahren. Einen üblen Schlusspunkt für die vielfach gescheiterten
Versuche setzte ein Richter im Jahr 1984. Er erklärte schlichtweg,
dass ein Beduine keine Verbindung zu seinem Land haben könne. Danach
gaben die Beduinen nach vielfach gescheiterten Bemühungen um den
Rechtsweg den juristischen Weg weitgehend auf.
Auf dem Land des Stammes der Tiyaha wurde die jüdische Siedlung
Levahim gegründet, in deren unmittelbarer Nähe sich der
Baden-Württemberg-Wald befindet. Die Stadt Levahim ist nur für
jüdische Israelis reserviert. Die Mitglieder des Abu Sukut Klans,
denen das Land gehörte und die vertrieben wurden, sind zwangsweise
in Rahat angesiedelt worden. Einer der Planstädte, mit denen der
israelische Staat ausgerechnet Beduinen zu Stadtbewohnern und
Arbeitern machen wollte, wie Moshe Dayan es 1973 erklärt hatte. Doch
die Verantwortlichen hatten nie daran gedacht, auch nur die
minimalen Startvoraussetzungen für die neue Existenz bereit zu
stellen. Alle Planstädte in der Negev vegetieren heute am unteren
Rand des israelischen sozio-ökonomischen Indexes. Rahat mit seinen
40 000 Einwohnern hat bisher beispielsweise nur eine Bank und nur
ein Postamt. Während die 40 000
Während die 40 000 Bewohner von Rahat mit 885 Hektar Land auskommen
müssen, verfügen die 5 100 Einwohner der exklusiv für jüdische
Israelis bestimmten Stadt Levahim über 570 Hektar Land.
Bewohner von Rahat mit 885 Hektar Land auskommen müssen, verfügen
die 5 100 Einwohner der exklusiv für jüdische Israelis bestimmten
Stadt Levahim über 570 Hektar Land. Alle Beduinen, die das
staatliche Angebot der Umsiedlung ausschlugen, leben in so genannten
„nicht anerkannten“ Siedlungen, denen die Versorgung mit
Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität, Sanitäreinrichtungen,
Kliniken und Schulen, nicht zugestanden wird. Alle Gebäude in den
„nicht anerkannten“ Gebieten wurden ohne Lizenz errichtet (es
existiert keine Stadtverwaltung, welche die Lizenzen erteilen
könnte) und unterliegen somit staatlich verhängten Abrissaufträgen.
Etwa 30 000 Unterkünfte der Beduinen sind ständig von Zerstörung
bedroht. Infolgedessen leben die meisten Dorfbewohner in Zelten oder
Blechhütten. (Gleiches trifft auf viele nicht anerkannte
palästinensische Dörfer im übrigen Israel zu).
Doch die Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung im Negev hat
seit der Regierungsübernahme von Premierminister Ariel Sharon, dem
Vorgänger von Ehud Olmert, nochmals einen neuen Schub bekommen Der
Jüdische Nationalfonds und der israelische Staat wollen im Negev
weitere 350.000 jüdischer Immigranten ansiedeln, die mit dem Land
überhaupt in keinerlei Verbindung stehen. ( Jewish Agency 10/2002 in
Ha'aretz/ Jerusalem Post) bis zum Jahr 2010 (The Guardian,
27.02.2003 spricht von1 Million). Im Rahmen eines 1,75 Milliarden
US-Dollar umfassenden Fünf-Jahresplanes sollen auch die Beduinen in
den nicht legalisierten Dörfern in die Planstädte umgesiedelt
werden. Doch statt die Betroffenen und ihre gewählten Vertreter in
die Vorgehensweise bei der Umsiedlung mit einzubeziehen, sollen die
Enteignungen und die Zerstörung der nicht anerkannten Dörfer
legitimiert und von einer neu aufgebauten bewaffneten Polizeitruppe
durchgesetzt und überwacht werden. Geplant sind14 weitere jüdischen
Siedlungen auf dem „neu gewonnenen“ Land.
Der Baden-Württemberg-Wald ist nur eines der Projekte von vielen,
die mit der Verschleierung der Existenz palästinensischer Dörfer auf
angeeignetem Land zu tun haben. Der Jüdische Nationalfonds versucht
so, der Umsetzung des von den Vereinten Nationen anerkannten
Rückkehrrechts palästinensischer Flüchtlinge entgegen zu wirken.
Ähnlich wie die Geschichte des Baden-Württemberg-Waldes klingt
beispielsweise die des Willy-Brandt-Walds. Dieser Wald in Galiläa,
der vom jüdischen Nationalfonds zu Ehren des berühmten
sozialdemokratischen Politikers zu dessen 70sten Geburtstags so
benannt wurde, steht auf den Ruinen der palästinensischen Dörfer von
Shajara und Lubya.
Ganz offensichtliches Ziel dieser Aufforstung ist es, die Ruinen
dieser palästinensischen Dörfer zu bedecken. Die Bewohner dieser
palästinensischen Dörfer wurden mit dem Gesetz über die Besitztümer
der Abwesenden aus dem Jahr 1950 enteignet. Selbst die Gräber ihrer
Angehörigen, die im Willy-Brandt-Wald erhalten sind, dürfen die
ursprünglichen Bewohner und deren Nachkommen, die in der Nähe
wohnen, nicht sichern oder gar pflegen, geschweige denn, dass sie
sich in der israelischen Siedlung in unmittelbarer Nähe nämlich
Ilaniyyah/Sejerah, niederlassen können. Die Bewohner dieser Siedlung
waren schon vor1948 in das Gebiet gezogen. Während jedoch
unmittelbar vor 1948 Juden im Gebiet von Sejarah nur 6,1 Hektar Land
besaßen, bebauten im Jahr 1959 die Siedler 1709,3 Hektar in diesem
Gebiet. Es ist sehr nahe liegend, dass der offensichtliche Wohlstand
der Bewohner von Ilaniyyah/Sejerah auf dem Land beruht, das vor 1948
den vertriebenen palästinensischen Bewohnern gehörte.
(Näheres
siehe www.uridavis.info).
Da die geschilderten Verhältnisse in ganz offensichtlicher Weise den
Menschenrechten und internationalem Recht widersprechen, fordern wir
Sie auf, die so genannten „Naturschutzprojekte“ des Jüdischen
Nationalfonds nicht mehr zu unterstützen.
Wir fordern Sie ebenfalls dazu auf, sich für die Rechte der
diskriminierten palästinensischen Bürger des Staates Israels stark
zu machen. Israel muss den Weg Südafrikas gehen und die Apartheid
abschaffen. Bitte unterrichten Sie uns darüber, wie Sie mit den von
uns geschilderten Problemen der Beduinen und Palästinenser in Israel
umgehen wollen.
Mit freundlichen Grüßen, Manuela Kunkel, Stgt.
Palästinakomittee Stuttgart, Flüchtlingskinder im Libanon e. V.
(Sieger bei "Echt gut! - Ehrenamt in Baden-Württemberg, Kategorie
"Soziales Leben" im Jahr 2007), Arbeitskreis Palästina Tübingen,
Verein arabischer Studenten und Akademiker Tübingen, Arabischer
Kulturclub e. V., Palästinensische Gemeinde Deutschland e. V.,
Palästinensische Gemeinde in Stuttgart e. V., AK Nahost Pax Christi
Diöezese Rottenburg-Stuttgart
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