Bethlehem vor Weihnachten
Rheinischer Merkur – 22.12.2007
Gedämpfte Weihnachtsvorfreude in Bethlehem:
Die Pilger kommen wieder – aber sie bleiben viel zu kurz
(Gabi Fröhlich)
Schwester Éliane fährt vorsichtig mit einem Schaber über das
Gesicht des Jesuskindes: Die Arbeit mit den Tonfiguren ist eine
kontemplative Beschäftigung, wie die Kleinen Schwestern Jesu sie
lieben. Gestört wird die Französin selten in ihrem Laden neben
der Geburtsbasilika von Bethlehem; nur ein paar gelangweilte
Straßenjungs vergnügen sich manchmal damit, Grimassen vor ihrer
Glastür zu schneiden. Immer wieder sieht sie draußen
Pilgergruppen vorbeihasten, auf dem Weg vom Ort der Geburt Jesu
zur wenige Meter entfernten „Milchgrotte“, wo die Heilige
Familie vor ihrer Flucht nach Ägypten untergekommen sein soll.
„Die Leute schauen kaum bei mir rein“, erklärt die Ordensfrau.
Sie arbeitet deshalb fast nur noch auf Bestellung – den Großteil
ihrer Figuren verschickt sie nach Europa. Die Töpferin deutet
auf die Milchgrotten-Straße draußen, rund zwei Drittel der Läden
sind mit blauen Türen verschlossen: „Die haben alle in den
vergangenen Jahren zu gemacht.“
Jahrelang lang ließ sich kaum ein Ausländer in dem unter
palästinensischer Verwaltung stehenden Geburtsort Jesu blicken;
die für das Jubeljahr 2000 neu gebauten Hotels und Geschäfte
gingen nach Ausbruch der zweiten Intifada Pleite, viele
Eigentümer wanderten aus. Der Bau der acht Meter hohen
israelischen Sperrmauer, die auch Bethlehem von Jerusalem
abriegelt, lässt bei den Einwohnern kaum Hoffnung auf Besserung
aufkommen: Zwar hat sich in Israel die Lage längst wieder
entspannt, in diesem Jahr wurden dort Besucherzahlen um die 2,3
Millionen registriert – aber Bethlehem ist von dem Aufschwung
fast ausgeschlossen. Leidtragende ist vor allem die christliche
Minderheit, die traditionell im Tourismusgewerbe arbeitet.
Wieder
marschiert eine Pilgergruppe an Schwester Élianes kleiner
Werkstatt vorbei, ebenso an dem Laden von Jack Giacoman fünfzig
Meter weiter hinten. Der Palästinenser mit italienischen
Vorfahren steht vor seinem Andenkengeschäft und macht seiner
Enttäuschung Luft: „Die Gruppen werden in Bussen zur
Geburtskirche gefahren, dann geht´s vielleicht noch zur
Milchgrotte und den Hirtenfeldern, anschließend fährt der Bus
sie direkt zu einem riesigen Andenkenshop am Stadtrand. Und dann
sind sie wieder weg.“ Grund für diesen Schnelldurchmarsch sei
vor allem die Angst der meisten Ausländer vor den
palästinensischen Gebieten. Aber gleichzeitig, so Giacoman,
machten findige Geschäftsleute diesseits und jenseits der Mauer
mit der Situation gutes Geld: Touristenführer und Busfahrer
kassierten von bestimmten Andenkenshops dreißig bis vierzig
Prozent Provision – dafür brächten sie die Gruppen nur nur zu
diesen Läden.
„Ich
sehe von diesem Geld keinen Schekel“, berichtet eine
einheimische Fremdenführerin bitter. Die Christin, die ihren
Namen lieber nicht nennen will, übernimmt manchmal Pilgergruppen
am Checkpoint Bethlehem von israelischen Reiseführern, denen der
Zutritt zu den palästinensischen Autonomiegebieten aus
Sicherheitsgründen verboten ist, wie allen Israelis. Für die
arabische Familienmutter sind die paar Stunden mit den Gruppen
in Bethlehem ein gutes Zubrot – zumal ihr Mann seit Jahren kaum
noch Geld nach Hause bringt. Vermittelt werden ihr die Touren
zumeist von einem örtlichen Busunternehmen, das mit israelischen
Reiseagenturen zusammenarbeitet. Die beiden wiederum kooperieren
mit großen Andenkenläden, zumeist an der Bethlehemer Peripherie.
Dort gibt es alles was das Pilgerherz begehrt, von
Olivenholzkrippen über Christbaumschmuck bis zu
Jerusalemkreuzchen. Für jeden Einkauf zahle der Shopbesitzer dem
Bus- und dem Reiseunternehmen kräftig Provision, erklärt die
Bethlehemitin. Wenn sie die Pilger jedoch woanders einkaufen
lasse, sei sie ihren Job los.
„Ich
sehe ja, wie die Führer die Gruppen immer antreiben“, bestätigt
Krippenschnitzer Giacoman: Wenn einzelne Pilger den Männern in
seiner Werkstatt bei der Arbeit zusehen wollten oder gar in den
Laden neben der Schnitzerei auszubrechen drohten, würden sie
sofort zurückgepfiffen. Argument sei jeweils Zeitmangel oder
Sicherheitsrisiko. Gemeinsam mit rund 300 anderen Ladenbesitzern
hat Giacoman deshalb einen Brief an die palästinensische
Tourismusministerin Khulud Daibes geschrieben, um sich über das
abgekarterte Spiel zu beschweren: Seiner Ansicht nach sind
achzig Prozent der Probleme in der Geburtsstadt Jesu durch
Israel verschuldet, zwanzig Prozent jedoch „made in Palestine“.
Eine Antwort hätten sie von der Ministerin bis dato nicht
bekommen.
Khulud
Daibes, ebenfalls einheimische Christin, ist sich der
schwierigen Lage durchaus bewusst. Die Ministerin sieht jedoch
keinen Grund, unmittelbar in das Geschehen einzugreifen. Ihrer
Ansicht nach ist die eigentliche Ursache für die Misere, dass
die Pilgerorte unter palästinensischer Verwaltung nur so kurz
angesteuert werden: „Nur deshalb können solche Abmachungen
überhaupt funktionieren.“. Zum einen bewirkten die zumeist
negativen Medienberichte aus der Region, dass Ausländer generell
von Besuchen in den palästinensischen Gebieten abgeschreckt
würden, aber auch israelische Reiseunternehmen warnten vor
Ausflügen in die Orte jenseits der Sperranlagen, klagt sie.
Gefürchtet seien zudem die manchmal langen Warteschlangen am
Checkpoint, was Daibes durchaus verstehen kann: „Die Pilger
wollen ja planen können – wenn sie nie wissen, wie lange sie zum
Herein- oder Hinauskommen brauchen werden, ist das sehr
ärgerlich.“ Bethlehem gehöre zwar zum Pflichtprogramm der
meisten Gruppen, doch werde die Zeit dort auf wenige Stunden
beschränkt. Übernachtungen würden praktisch nur an Weihnachten
gebucht - oder wenn die Unterkünfte in Jerusalem voll seien.
Die
fließend Deutsch sprechende Tourismusministerin versucht nun,
ausländische Pilgerunternehmen trotz allem davon zu überzeugen,
sich für Bethlehemer Hotels oder Pilgerhospize zu entscheiden.
Dann, ist sie überzeugt, werden die Besucher auch wieder hier in
ihrer Freizeit einkaufen oder ins Restaurant gehen. Daibes
appelliert dabei an das Verantwortungsgefühl der Pilger: Wenn
sie die Christen im Heiligen Land unterstützen wollten, sollten
sie ihnen lieber Arbeit geben als Almosen – „das ist
vernünftiger und gibt uns eine positive Atmosphäre.“ Nur so
lasse sich die grassierende Auswanderung unter den Christen
stoppen.
Faten
Mukarker hat nicht auf die Initiativen der Regierung warten
wollen: Die Familie der in Deutschland aufgewachsenen
christlichen Palästinenserin lebt im Bethlehemer Vorort Beit
Jala – dorthin lädt sie deutsche Pilger zum Essen ein. Die
Gruppen bekommen in ihrem Wohnzimmer typisch palästinensische
Speisen serviert und haben gleichzeitig Gelegenheit zum
Austausch mit „echten Christen im Heiligen Land“. Während Fatens
älteste Tochter Ursula die Gäste bedient, berichten sie selbst
oder ihre Schwester Khadra vom Alltag in Bethlehem: Wie sie ohne
ständigen Wasserzufluss und Krankenversicherung leben oder wie
sie sich als christliche Minderheit im muslimischen Umfeld
fühlen. Vor allem erzählen sie jedoch von ihrem Umgang mit dem
alles beherrschenden Konflikt: Von den Checkpoints, die den Weg
zur Arbeit um Stunden verlängern oder unmöglich machen, von den
Monaten unter Ausgangssperre und von ihrer Sehnsucht nach den
Zeiten, als Palästinenser und Israelis sich noch unkompliziert
begegnen konnten.
Die
Einladung zu den Mukarkers angenommen hat zum Beispiel eine
dreißigköpfige Gruppe evangelischer Religionslehrer aus dem
Großraum Ludwigsburg. Die Teilnehmer sind sich einig, dass nicht
nur das Essen köstlich geschmeckt hat, sondern auch die
Begegnung mit den einheimischen Christinnen bewegend war: „Für
mich ist es ein wichtiger Baustein nach all dem, was wir schon
von jüdischer Seite und einem palästinensischen Politiker gehört
haben“, sagt Gruppenleiter Jürgen Heuschele. „Hier sehen wir
Frauen mit der Zuversicht, dass es sich trotz allem lohnt, für
den Frieden zu arbeiten.“ Das ist genau das, was Faten Mukarker
mit ihren Einladungen bezweckt: Sie wolle den Besuchern zeigen,
dass im Heiligen Land nicht nur die „toten Steine“ sehenswert
seien, sagt die energische Frau, sondern auch die Menschen.