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PIEF POST 3.4.2016 –
Offener Brief an Präsident Obama (Gaza am
Boden) - 7.4. 2016 – Von Ranjan Solomon
Gaza
am Boden
Dieser
offene Brief des preisgekrönten Journalisten
Mohammed Omer, der über den Gazastreifen
berichtet, ist an Präsidenten Obama
gerichtet und stellt harte Fragen: Welches
Band verbindet die Politik und Macht der USA
mit Israels grausamer Unterdrückung? Wie
kann USA sich schützend vor die Gewalt
stellen, die Israel gegenüber unschuldigen
anderen ausübt? Welche Befriedigung und
welchen Lohn gewinnt Israel dafür, dass es
jede Lebensregung von fast 2 Millionen
palästinensischen Menschen in Gaza bestraft,
die nichts anderes wollen als ihre Freiheit
wieder zu erlangen?
Lieber Mr. Präsident!
Als Präsident des
mächtigsten Landes auf dem Planeten, als
liebender und schützender Vater von zwei
Kindern, als Mann, der sich voll bewusst ist
der Kämpfe so vieler unterprivilegierter
Gemeinschaften in vielen Ländern
(einschließlich Ihrem eigenen) müssen Ihnen
die Augen geöffnet worden sein während der
letzten drei – von vielen – israelischen
Angriffen auf das belagerte Gaza, wo ich mit
meiner Frau und meinem kleinen Sohn lebe.
Ich erinnere mich an Ihre
erste Wahl zum Präsidenten (Ich befand mich
gerade in Holland). Wie so viele Millionen
weltweit habe ich Sie lauthals begrüßt und
geglaubt, dass ein frischer Wind durch die
engen Hallen der US-Politik bläst. Ich wagte
zu hoffen, dass ein mutiger Mann – ein
Kämpfer für die Vernachlässigten und
Missbrauchten – angekommen sei, um sich
gegen den Schmerz und die Ungerechtigkeit zu
empören, wovon so viele, auch mein Volk der
Palästinenser, lang gequält und von ihrem
alten Land vertrieben, jeder menschlichen
Würde beraubt, betroffen sind.
Leider habe ich
vielleicht zu viel erwartet. Wenn ich mich
heute in Gaza umschaue und nur die
Nachwirkungen von noch mehr Grauen sehe,
verschwinden für mich die Worte „Yes, I can“
in einer Wolke, die vom Wind der
Verzweiflung getragen wird.
Diese Verzweiflung hängt
über unseren Köpfen seit mindestens den
letzten 10 Jahren, als Resultat von Israels
harter „kollektiver Bestrafung“ von 1,9
Millionen Menschen, die kämpfen, um in Gaza
zu überleben. Die Hälfte davon sind Kinder,
jünger als Ihre Sasha und Malia, viele sind
Babys wie mein kleiner Sohn.
Vielleicht können Sie aus
der Entfernung nicht nachvollziehen, was
kollektive Bestrafung heißt. Weil Sie aber
die Rechte studiert haben und eng mit
Gemeinschaftsprojekten arbeiteten, haben Sie
sicher ein intellektuelles und historisches
Verständnis. Ich glaube, Sie wissen, dass
Israels Intention über die Vertreibung der
Hamas hinausgeht – oder irgendeiner anderen
Gruppe, die sich gegen die Ausbreitung der
Besatzer und die Beseitigung ihres Zuhause
und ihrer Führer wehrt.
Die Konstitution der USA
schreit nicht nach der Bestrafung einer
ganzen Bevölkerung, nur, weil sie die
„falsche Partei“ gewählt hat. Diese und die
Bill of Rights garantiert den Amerikanern
die Freiheit, sich frei auszudrücken und das
Recht, für seine unveräußerlichen Rechte zu
kämpfen und sie zu verteidigen. Die
amerikanische Revolution war ein Akt der
Rebellion gegen Unterdrückung und die
Verweigerung selbstverständlicher Rechte und
Freiheiten.
In Gaza kämpfen wir gegen
eine ähnliche Unterdrückung. Israel sperrt
uns ein und bestraft uns immer stärker für
unseren Kampf, wenn wir die an sich mageren
Mittel benutzen, um die gleiche Freiheit und
Menschenwürde zu erlangen wie jene, um die
Ihre Vorfahren gekämpft haben..
„Tun die Amerikaner wie
wir? Tut Obama wie wir?
Was ist das Band, das die
Politik und die Macht der USA mit Israels
ständigem Wunsch zu unterdrücken verbindet?
Wie kann USA sich schützend vor die Gewalt
stellen, die Israel gegenüber anderen
ausübt? Welche Befriedigung und welchen Lohn
gewinnt Israel dafür, dass es jede
Lebensregung von fast 2 Millionen
palästinensischen Menschen in Gaza bestraft,
die nichts anderes wollen als ihre Freiheit
wieder zu erlangen?
Drei Kriege in der
letzten Zeit haben viele Familien geschlagen
und obdachlos gemacht, die immer noch auf
raschen und anhaltenden Schutz vor
Gräueltaten warten. Ich traf Ahmed Al
Kafarneh, einen älteren würdigen Herrn, der
mit Frau, Sohn, Schwiegertochter und drei
Enkeln lebt. Er hat vor dem 51-Tage-Krieg
2014 wie 100.000 andere Palästinenser nach
20 Jahren Arbeit in Israel ein schönes Haus
gebaut – keine einfache Aufgabe! Jetzt ist
alles kaputt und er lebt mit seiner großen
Familie in einem rostigen
Metall-Schiffcontainer.
Mr. Präsident, es ist
kalt und nass in diesem Winter hier – dem
kältesten seit Jahren. Versuchen Sie, sich
vorzustellen: Michelle, Sasha und Malia auf
dem kalten Metallboden hockend, während die
Regentropfen aus unzähligen Löchern im Dach
des Containers fallen.
Sind Sie nicht derselbe
Präsident, der, als er Israels Recht
proklamierte sich zu verteidigen, schwor, er
würde alles tun um seine Kinder zu schützen?
Gilt diese gleiche Entschlossenheit, die
Kinder zu schützen, nicht für die
palästinensischen Kinder?
Es scheint, als hätten
Sie unser Recht – nicht nur als
Palästinenser, sondern als Menschen – in
Freiheit und Sicherheit vor Unterdrückung
und über Gebühr schweren Angriffen durch das
israelische Militär vergessen. In Gaza kennt
unsere jüngste Generation nur Krieg,
Vertreibung, Verlust, Trauma und Schmerz.
Sie steht noch mehr Hindernissen auf dem
Weg „Yes, we can“ in Form von massiver
Arbeitslosigkeit, Repression und Isolation,
verursacht durch Israels von USA
sanktionierter Wirtschaftsblockade
gegenüber, die einem ganzen Volk freie
Bewegung und ein normales vielfältiges Leben
verweigert.
Klingt das nicht nach
Sklaverei, Mr. Präsident?
Wir sind eingesperrt
hinter Mauern, eingepfercht wie Rindvieh,
bespitzelt durch bewaffnete Drohnen
mit israelischen
Scharfschützen, die Stacheldrahtzäune
begehen, und auf eine Diät gesetzt durch
Besetzer und Diebe. Ist das nicht
Extremismus? Würden Sie nicht Widerstand
leisten?
Vor einigen Tagen habe
ich 13 mutige und bemühte US-Ärzte
getroffen, die hergekommen sind, um in
örtlichen Spitälern zu helfen – eine seltene
Gelegenheit, dass amerikanische Ärzte sich
von Angesicht zu Angesicht mit unseren
eigenen mutigen und dem hippokratischen Eid
verpflichteten Ärzten befanden. Ein
24jähriger palästinensischer Kunststudent
machte Pause, als er von der Delegation
hörte und fragte: „Mögen die Amerikaner uns?
Mag Obama uns?
Deshalb schreibe ich
Ihnen diesen Brief, Mr. Präsident.
Menschen aller
Generationen leben hier in Gaza und warten
auf Antwort auf diese Fragen. „Können wir an
Veränderungen glauben, Mr. Präsident – aber
es muss unsere Freiheit der Wahl drinnen
sein.
Gaza ist so groß wie
Manhattan Island. Wir sind Menschen wie Sie
und Ihre Amerikaner – aber wir sind in der
Falle hinter Mauern und Zäunen, wie wir sie
nie erlebt haben und möchten morgen auch
nicht so erwachen. Unsere Südgrenzen sind
jetzt gegen Ägypten ausgegrenzt, seit der
Rafah-Übergang geschlossen ist. Im Westen
sind unsere Strände – wo Kinder, Fischer und
Familien sich aufhalten, von israelischen,
mit Raketen und Wasserminen bestückten
Kriegsschiffen bedroht. Sie nehmen unsere
Fischerboote in 6 Seemeilen vom Ufer fest
statt erst hinter den 20 erlaubten
Seemeilen. Wissen Sie, dass 2015 73
palästinensische Fischer beschossen und
festgenommen wurden? Oder, dass 55 % der
Gazaer an klinischen Depressionen leiden,
dass 43 % arbeitslos sind, 40 % unter die
Armutsgrenze fallen, und 60 % hungern?
Wissen Sie, wie wenige Stunden elektrischen
Strom uns innerhalb von 24 Stunden
zugebilligt werden? Die gleichen Kürzungen
haben wir bei Wasser, Gas zum Kochen, und
vielen anderen Grundbedürfnissen. Wenn Sie
heute Abend Ihr Essen auf den Tisch
bekommen, denken Sie daran, dass bei uns
eine halbe Million Gasbehälter erst voll
sein müssen, damit wir kochen können oder
Wasser zum Waschen und zum Trinken (ein
Menschenrecht) haben!
Das ist umso tragischer,
weil Gaza als perfekter Nachbar für Israel
in Frieden und Harmonie leben und in
gegenseitig günstigen Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen sein könnte. Wir haben
viele begabte Handwerker und eine gut
gebildete junge Generation. Palästina war
immer fortschrittlich.
Alles, was wir brauchen
ist die Chance zu wachsen, uns zu entwickeln
und beizutragen in Würde und Gleichheit.
Wir wollen
Verständnisbrücken bauen und nicht
Trennungsmauern von Bigotterie und Hass. Wir
wollen nicht, dass Israelis mit ihren neuen
technischen Waffen gegen die Kinder von Gaza
experimentieren. Ihre in Amerika erzeugten
Raketen wurden benutzt, um UN0-Schulen und
Unterkünfte anzugreifen, die Schulen, die
qualitativ hohe Bildung anbieten und unsere
Kinder vom Extremismus abhalten.
Üblicherweise wird das gelobt – nicht als
Zielscheibe benutzt.
Sie haben Khuza’a und die
massiven Zerstörungen nicht gesehen, die
Israels Kriegsmaschinerie hinterlässt. Es
sind Kinderfüße, die in diesem eisigen
Winter kalt sind, weil das Wasser von
Minen-durchlöcherten Plafonds auf ihre
Betten tropft. Wir heißen Ihren Besuch
jederzeit willkommen, wenn Sie humanitäre
Überlegungen vor politische stellen.
Es ist Zeit für Sie, Mr.
Präsident, den Kindern und Jugendlichen in
Gaza eine glaubwürdige Hoffnung zu geben.
Das können Sie tun bevor Sie Ihr Amt und
alle Ihre Versprechen hinter sich lassen.
Sie können den Enthusiasmus wieder
entfachen, den wir gefühlt haben, als Sie
aufgestanden sind und der Welt Frieden
versprochen haben, nachdem Sie das Oval
Office verlassen haben würden.
Inzwischen sind Sie einer
der wenigen Leute in der Welt, die Israel
und Ägypten beeinflussen könnten, die
Grenzen zu öffnen und die kollektive
Blockade zu beenden. Ist nicht ein Jahrzehnt
genug? Besonders, wenn wir wissen, dass
diejenigen, die unter der Belagerung leiden,
ganz normale Menschen sind, keine
politischen Gruppierungen wie Hamas. Wenn es
darum geht, über die Hamas hinweg auf die
Menschen zu schauen, müssen ihnen Optionen
für die Zukunft gegeben werden.
Die Kinder und ihre
Eltern in Gaza warten auf eine Lösung, und
Sie können die positive Energie wieder
beleben, die mit Ihnen und ihren Reden zum
Anfang Ihrer Präsidentschaft gekommen ist.
Machen Sie alle Leute stolz – die Amerikaner
mit eingeschlossen – auf Ihre lang
fortdauernden Erfolge. Stehen Sie gerade für
Gaza. Wie Sie das immer für Israel tun,
egal, wie schlecht diese ihre Mitmenschen
(Sie selbst eingeschlossen!) behandeln. Wir
wollen und brauchen keinen Extremismus – in
keiner Form. Wir wollen Stabilität, Frieden
und die Möglichkeit, in unseren Häusern zu
leben, ohne von Drohnen und Tanks Tag und
Nacht bedroht zu werden. Die jungen Menschen
in Gaza suchen nach einer besseren Zukunft.
Können wir das? Yes, we
can! Stehen Sie auf, Mr. Präsident – bitte!
(Übers.
Gerhilde Merz)
Der Journalist Mohammed Omer berichtet
laufend vom Gazastreifen, wo er die
Webseite <www.rafatpday.org unterhält. Auf
Twitter ist er unter @MoGaza erreichbar.
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