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Was liegt dort unten…
Über Streubomben
Meron Rapaport, Haaretz, 8.9.06

 

S. ist Reservesoldat in einem Artilleriebataillon und er fühlt sich nicht wohl bei dem Gedanken, was er während des 2. Libanonkriegs getan hat. Er feuerte Granaten ab, manchmal eine pro Minute. Er und seine Kameraden feuerten 200 Granaten in einer Nacht ab und in andern Nächten „nur“ 50 oder 80. S. weiß nicht, welchen Schaden er mit diesen Granaten angerichtet hat. Er hat nicht gesehen, wo sie hingefallen sind. Er weiß nicht einmal genau, wohin sie gezielt worden waren. Die Soldaten der Artillerie erhalten nur die Koordinaten und Zahlen, nicht die Namen der Dörfer. Selbst die, die das Batterie-Team kommandieren wissen nicht genau, was sie beschießen sollen.

 

„Sag mir, wie sehen die Dörfer dort aus? Sind sie alle zerstört?“ fragte mich S., nachdem ich ihm erzählt habe, dass ich in Kontakt  mit dem UN-Personal bin, das durch diese Dörfer patrouilliert. Was ihn innerlich aufschrecken ließ, war der Befehl  für sein Bataillon, in einer Nacht ein ganzes Dorf unter Beschuss zu nehmen. Er denkt, es war Taibeh, aber er ist nicht sicher…Der Bataillonskommandeur rief die Männer zusammen und sagte ihnen, dass das ganze Dorf aufgeteilt worden sei und dass jedes Team seinen Raum ( mit Granaten) „überschütten“ solle – ohne spezifische Ziele. Das ganze Dorf soll bombardiert werden.

 

„Ich sagte zu mir, dass die dort gebliebenen Leute die schwachen und armen sind genau wie die in Haifa,“ sagte S. „Ich hatte das Gefühl, dass wir genau wie die Hisbollah handeln. Wir machen Wohnhäuser zu Zielen. Das ist Terror. Meine Seele ist mir wichtig. Als ich meine Freundin umarmte, wollte ich mich wohl fühlen. Aber ich fühle mich bei dem Gedanken, was ich im Krieg tat, nicht wohl. Ich hatte das Gefühl, ich hätte besser meine Waffe wegwerfen und davonrennen sollen.“

 

Nach den UN-Berichten hatte S. gute Gründe, sich nicht im Frieden mit sich selbst zu fühlen.

Einer der Reserveoffiziere schätzt, dass die IDF etwa 160 000 Granaten während des letzten Krieges abgeschossen hat. Zum Vergleich: während des Yom-Kippur-Krieges feuerte die IDF weniger als 100 000 Granaten ab. Außer den Zehntausenden regulärer Granaten schoss Israel mehrere Hundert Streuraketen und Streubomben ab. Diese Art von Munition  bricht in der Luft aus einander, bevor sie den Boden erreicht und verstreut Dutzende oder Hunderte von kleinen Sprengsätzen, die so groß wie Taschenlampenbatterien sind,  in einem Radius von 100 Metern. Die meisten dieser „Bömbchen“ explodieren, wenn sie den Boden berühren. Aber ein großer Teil nicht und werden  dann zu Landminen. Das UN-Personal, das in diesen Tagen im südlichen Libanon patrouilliert, sagt, dass ein großer Teil der Dörfer und Städte  zu großen Minenfeldern geworden sind.

 

Am letzten Mittwoch haben UN-Minenräumer im südlichen Libanon 450 Örtlichkeiten festgestellt, wo Streubomben gefallen sind und das war nur in bewohntem Gebiet. In  unbewohnten Landstrichen wie Feldern gibt es noch viel mehr, sagen die UN-Leute. In all diesen  Örtlichkeiten mögen hunderte oder gar Tausende dieser noch nicht explodierten Bomben liegen. Die UN schätzt, dass etwa 100 000 dieser kleinen noch nicht explodierten Minen in diesemm Teil des Libanon zerstreut liegen. Seit der Waffenpause sind schon 12 libanesische Zivilisten, darunter zwei Kinder durch die Explosion dieser „Duds“ getötet  und 78 Leute, davon 22 Kinder, verletzt worden, einige haben ein Glied verloren.

 

Überall Bomben

In Tibnin, einer Stadt in der Mitte des südlichen Libanon, landete eine Streubombe gegenüber des Haupteinganges des Krankenhauses. Ein Mitglied des UN-Minenräumteams sagte  zu Human Rights Watch, dass er in nur 10 Minuten 100 nicht explodierte Bömbchen fand. Danach hat er nicht weitergezählt.

David Shearer, der UN-Koordinator für Humanitäres  im Libanon fuhr am Mittwoch durch die Gegend um Tibnin: „Ich sah diese Art von Bomben auf, in und neben Häusern,  und ich sah sie 16 m entfernt von einem Schulsportplatz. Ich sah sie auf der Straße und in Obstgärten neben der Straße und in den Bäumen drin.“ Seit der Waffenpause gibt es  fast jeden Tag Berichte von Toten und von 3 oder 4 Verletzten, als Folge davon dass jemand auf Teile einer Streubombe tritt.

Der internationale Rechtsexperte Dr. Yuval Shani der Hebräischen Universität Jerusalem erklärt, dass es internationale Konventionen gibt, die die Anwendung von chemischer und biologischer Munition, Dum-dum-Geschosse und andere Arten von Waffen verbieten. Aber Streubomben wären nicht ausdrücklich verboten. Doch im Abschnitt 57 des 1. Protokolls der Genfer Konvention, die Israel mit unterschrieben hat, wird die willkürliche Anwendung von Waffen verboten, eine Definition, die auf die Anwendung der Streubomben ( im Libanon)  zutrifft.

„Streubomben dürfen nicht an Orten angewendet werden, wo sie gefährlich für Zivilisten werden, sagte Shani. Die einzige Rechtfertigung zur Anwendung  solcher Bomben in einem Gebiet, wo sich Zivilisten aufhalten, wäre in dem Falle, wenn nur mit diesen Mitteln das militärische Ziel erreicht werden kann. „Man kann kaum glauben“, fuhr er fort, „ dass bei den Hunderten von Fällen, die im Libanon entdeckt wurden, die Streubomben die einzig mögliche Waffe war.“

 

Die Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (ACRI), die in dieser Woche beim Staatsanwalt Menahem Mazuz  ein Ersuchen  einreichte, um diese Sache zu untersuchen, sagte es noch deutlicher: „Das Abwerfen/Abfeuern  von Streubomben auf Wohngebiete ohne Rücksicht auf das Leben von unschuldigen Zivilisten entspricht der mentalen Haltung, ein vorsätzliches Verbrechen zu begehen, um absichtlich Zivilisten zu töten oder zu verletzen,“. So steht in der Petition, die von der Rechtsanwältin  Sonia Boulos im Auftrag von ACRI  eingereicht wurde.

 

S. feuerte keine Streubomben, aber er hörte übers Radio Befehle, dass diese angewendet werden sollen. Er traf auch einen Freund von einem anderen Bataillon, der ihm aufgeregt erzählte, er habe solche Bomben abgefeuert. Die Aufregung des Freundes war verständlich, da diese Waffen üblicherweise nicht bei IDF-Operationen angewendet werden und sehr selten beim Training. Ein Reserveoffizier sagt: „Streubomben werden beim Training nur im Süden Israels auf  einem besonderen Platz angewendet und dieses Gebiet wird wie ein Minenfeld behandelt.“

 

Y. ein Reservist im selben Bataillon feuerte mindesten 15 Streubomben. „Es war in den letzen Tagen des Krieges,“ sagte er, „man gab uns Befehle, sie  abzufeuern. Man sagte uns nicht, wohin wir sie feuern  - ob es ein Dorf war oder offenes Feld. Wir feuerten solange bis diejenigen, die uns den Auftrag zum Abfeuern gaben, sagten, wir sollten aufhören.“

 

Mehr Blindgänger („Duds“)

Eine andere Besonderheit betrifft den Typ von Granaten, der angewandt wurde. Die 155-mm -Batterie verwendet zwei Typen: die in Amerika hergestellten, die bei der IDF mit dem Akronym  Matzrash bekannt ist, und die in Israel hergestellte Granate, die man Tze’if nennt. Y. erfuhr, dass bei den israelischen Streubomben der Prozentsatz von Blindgängern – die also  zu Landminen werden -  niedriger sei als bei den amerikanischen – und dass sie vor allem die letzteren abfeuerten. Aber der größte Teil des Schadens wurde offensichtlich nicht durch die 155-mm Kanonen verursacht, wie sie von S. und Y. gebraucht wurden, sondern von neuen MRLS-Granatenwerfern, die die IDF bei den Operationen im 2. Libanonkrieg das erste Mal anwandte.

 

In den späten 90ern kaufte die IDF 48 von diesen Raketenwerfern aus den USA. Jede von ihnen hält 12 Granaten, die im Wesentlichen wie große Streubomben reagieren. Entsprechend offiziellen  Beschreibungen enthält jede dieser Granaten nicht weniger als 644 kleine Bömbchen, die sich in einem Radius von 100 m über dem Ziel verteilen. „Wie ein Fußballfeld voller Bomben“  beschrieb es ein Reserveoffizier der Artillerie.

Y sagte, dass sein Bataillonkommandeur sagte, man habe befürchtet, dass ein abgeschossener Hubschrauber, bei dem die beiden Piloten getötet worden seien, durch solch eine Granate getroffen worden sei. Der Verdacht hat sich nicht bestätigt, obwohl solche Granaten  in dieser Zeit in den Südlibanon abgefeuert worden waren. Wie viele genau, ist nicht bekannt. Die UN-Leute haben noch keine genauen Zahlen über die heruntergekommen Blindgänger dieser Art von MRLS-Granaten oder amerikanischen  oder israelischen Streubomben.

Shearer sagt, es sei klar, dass die größte Anwendung  von Streubomben in den letzten 72 Stunden des Krieges gemacht wurde. „Zu Beginn des Krieges gab es auch schon Berichte über die Anwendung von Streubomben, aber nur ein paar. Doch in den letzten drei Tagen wurde eine ungeheure Menge von ihnen abgeschossen. Und man weiß nicht, wohin sie gezielt wurden. Die Verteilung der Bomben ist so weit, dass  auch wenn das  eigentliche Ziel außerhalb bewohnter Örtlichkeiten war, viele Bomben mitten in die Häuser fielen.“

 

Y. und S. bestätigen die Abschätzung  der Ereignisse. „In den letzten 72 Stunden feuerten wir alle Munition, die wir noch hatten, alle auf dieselbe Stelle,“ sagt Y. Wir veränderten nicht einmal die Richtung der Rohre. Freunde von mir im Bataillon sagten  auch, dass sie alles in den letzten drei Tagen abfeuerten: gewöhnliche Granaten, Streubomben und was sie sonst noch hatten.“

 

Mitglieder des UN-Minenräum-Teams schätzen, dass die Rate der nicht explodierten  Artilleriegeschosse, die von Israel in den Libanon abgeschossen worden waren, etwa bei 40 % liegt. D.h. wenn jede dieser in den Libanon abgefeuerten Bomben 250 kleine Bömbchen enthielt, dann würden Mengen von nicht explodierten  nun dort herumliegen, auch in der Nähe von Krankenhäusern, Schulen und Privathäusern. …

Die New York Times berichtet, dass in den letzten Tagen des 2. Libanonkrieges die US-Regierung sich weigerte, eine von Israel  dringend angeforderte weitere Schiffsladung voller Streubomben  zu schicken…

Das UN-Minenräumkommando, das gerade   im Libanon ankam,  kam aus dem Kosovo, wo die Nato-Streitkräfte auch Streubomben angewandt haben. Die Teammitglieder sagen, dass die Situation im Kosovo viel einfacher sei und dass die UN von der Nato genaue Landkarten erhalten habe, wo die Ziele eingezeichnet seien, wo diese Bomben abgefeuert worden waren. Die UN fordert solche Landkarten von Israel an. Aber die Karten. die sie erhalten hat, seien so allgemein, sagte ein ranghoher Mitarbeiter der UN. „Wir benötigen Karten mit den Koordinaten und Mengen, dass wir die Örtlichkeiten  lokalisieren können und wir in etwa wissen, mit wie vielen Bomben wir  rechnen müssen, Ich fürchte, von Israel erhalten wir  solche Karten nicht.

 

David Shearer sagt, dass die Streubomben  das Haupthindernis sein werden, damit das Leben im Libanon wieder normal läuft. „Wir werden die Wasser- und Stromleitungen innerhalb  von 2 Wochen wieder hergestellt haben“, erklärt er, „ aber es wird 12 oder 15 Monate dauern, bevor der südliche Libanon wieder ein sicheres Gebiet werden wird. Bis jetzt haben die Bewohner noch Angst, in ihre Häuser zurückzukehren. Die Bauern wagen sich auch nicht auf ihre Felder.“

 

(dt. und etwas gekürzt Ellen Rohlfs)

 

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