Texte von Ilan Pape
Whitewashing – eine Straftat
Ilan Pape (Außenpolitik, Washington:
März, April 2005)
Alternative
Geschichtsschreibung ist immer eine gewagte Sache - so oder ähnlich
sagen wir das unsern Studenten im Fach Geschichte. Doch ist es eine
lohnende intellektuelle Übung, da sie enthüllt, was jemand, der
sich ernsthaft mit etwas beschäftigt, über bestimmte Themen denkt .
In diesem speziellen Fall: was denkt Joseph Joppe über das
Existenzrecht Israels und die Irrelevanz der palästinensischen
Tragödie.
In diesem hier
begrenzten Rahmen kann ich nicht alle falschen historischen
Annahmen angehen, die Joffe in seinem Artikel macht. ( Ich denke,
dass seine Behauptung über die seit kurzem erfolgte Veränderung von
Israels Image ein Irrtum ist, da der Staat ständig vom größten Teil
der Länder in der Welt kritisiert wird). Ich kann auch nicht auf den
großen Unterschied verschiedener gegenüber Israel geäußerter
Kritiken eingehen. (Joffe * wirft islamische Militanz, liberale
Kritik und marxistische Analysen mit ziemlich paranoider
Behauptung in einen Topf, sie seien alle stärkste Äußerungen von
Antisemitismus; während sie in Wirklichkeit mehr auf der Sorge um
die Palästinenser beruhen als auf dem Negieren von Israel als
Staat.)
Die hauptsächliche
Schwachstelle von Joffes Art und Weise, sich mit dem Thema zu
befassen, ist jedoch, dass zwei sehr unterschiedliche Fragen durch
leidenschaftliche Verteidigung von Israels Existenzrecht mit
einander verwirrend in Konflikt geraten.. Man muss aber
unterscheiden zwischen dem, was geschehen wäre, wenn es Israel nicht
gäbe und der in Frage gestellten Legitimität des Staates im Licht
seiner problematischen Vergangenheit.
Die erste Frage
sollte hauptsächlich aus der Perspektive von Israels Opfern, den
Palästinensern, betrachtet werden. Würde Israel nicht existieren,
dann wären 750 000 Palästinenser keine Flüchtlinge geworden. 500
palästinensische Dörfer, 11 pal. Städte, 94% des kultivierten
Landes, Tausende von pal. Geschäften und unzählige Karieren wären
gerettet und bewahrt worden. Unter welchen politischen Strukturen
auch immer sich dies – anstelle von Israel im Mandat Palästina -
entwickelt hätte, die Katastrophe, die das palästinensische Volk
1948 heimgesucht hatte, als es ethnisch vom jüdischen Staat
„gesäubert“ wurde, hätte sich nicht ereignet.
Würde Israel nicht
existieren, wäre das Leben von 50 000 Palästinensern geschont
worden – es ist eine von mir nach 57 Jahren Existenz Israels
geschätzte Zahl getöteter Palästinenser. 2,5 Millionen Palästinenser
wären vor einem der grausamsten und abgebrühtesten
Militärbesatzungen der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts bewahrt worden.
Eine Million palästinensischer Bürger Israels müssten nicht in
einem Apartheidsystem leben, das sie seit der Schaffung des Staates
diskriminiert hat. Und vor allem: die Millionen palästinensischen
Flüchtlinge hätten nach Hause kommen können.
Außerdem könnten
sich arabische Regime nicht als Entschuldigung für die
Vernachlässigung ihrer eigenen sozialen und wirtschaftlichen
Probleme hinter der Palästina-Frage verstecken ; sie könnten auch
ihr autoritäres Regierungssystem und den Mangel an Demokratie nicht
entschuldigen, weil sie sich angeblich– nach pan-arabischem Diktat
– gemeinsam um das Palästina-Problem kümmern müssen.
Wäre Israel nicht
existent, hätten die USA neue Wege bei ihren Beziehungen zu der
arabischen und muslimischen Welt beschreiten können. Es stimmt, die
USA haben ihre eigene Agenda, die oft in direkter Konfrontation mit
diesen Gemeinschaften steht . Dringend nötig wäre aber ein Dialog,
der sich auf gegenseitiger Achtung gründet. Dieser Dialog kommt
nicht zustande, weil Israel solch eine Interessenverschiebung als
existentielle Bedrohung ansehen würde. Viele Menschen sind nur
deshalb gestorben, weil eine Verständigung nicht zustande kam, und
noch viel mehr werden sterben, wenn die augenblickliche US- und
Israel-Agenda im Nahen Osten fortfährt, in einer einseitigen
anti-arabischen und anti-islamischen Strategie zu fusionieren.
Viel von dem Leid,
das Israel verursacht hat, kann nicht behoben werden. Aber es
besteht Hoffnung für die Zukunft, die auf einer Logik der
Wiedererstattung beruht: Repatriierung der Flüchtlinge, das Ende der
israelischen Besatzung, die Schaffung eines einheitlichen,
säkularen, demokratischen Staates auf dem historischen Palästina.
Ein anderer Plan oder eine andere Entwicklung würde zu einer
weiteren Zerstörung der Palästinenser und zur weiteren Entartung
Israels in einen Pariastaat führen.
Ilan Pappe ist Dozent der
politischen Wissenschaften an der Universität in Haifa
-
Josef Joppe ist Redakteur der
deutschen Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Der Artikel in einer
US-Zeitschrift ( Carnegie Endowment for International Peace, März/
April 2005), auf den Ilan Pappe mit diesem Artikel antwortet,
liegt mir nicht vor – trotzdem finde ich Ilan Pappes Antwort
bemerkenswert.
-
(dt. Ellen Rohlfs)