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Fahre nicht auf  Straße 443 !

 Boaz Okon, Yedioth Aharonot,  10.6.08
( aus dem Hebr. Adam Keller)

 

Es gibt Taten, für die wir uns auch im Nachhinein  nicht vergeben können. Da gibt es dann Augenblicke, in denen wir uns fragen werden, wie konnten wir nur so dumm sein.

Der Oberste Gerichtshof nähert sich solch einem Augenblick. Auf seinem Schreibtisch liegt der Einspruch gegen die Entscheidung des Verteidigungsministers, den  palästinensischen Verkehr auf der Straße 443, die durch die Westbank geht, zu blockieren, und nur den Israelis die Durchfahrt zu erlauben. Der Verteidigungsminister gab eine Order, ein Netzwerk alternativer Straßen für die Palästinenser zu schaffen, die unter dem Namen „Fabric of Life“-Straßen  bekannt sind. Das heißt: in den 80er-Jahren wurde eine enge Dorfstraße zu einer richtiggehenden Schnell- und Städteverbindungsstraße, der jetzigen Straße 443, ausgebaut. Um dies zu erreichen, wurde das Land der palästinensischen Dorfbewohner enteignet; nun wird  den Dorfbewohnern verboten, diese Straße zu benützen; sie stehen nun vor weiteren Landenteignungen, damit  für sie neue Straßen mit verführerischen und zynischen Namen gebaut werden können.

 

Wenn Wörter die Fähigkeit hätten, vor Scham zu vergehen, dann wären die Wörter „Fabric of Life-Straßen“  längst vor Scham vergangen.

 

Es gibt Taten, für die wir auch im Nach-hinein uns nicht vergeben können. Es gibt Augenblicke, in denen wir uns fragen, wie konnten wir nur so dumm sein. Um unsere Scham und Verwirrung zu überwinden, versuchen wir, uns mit der Behauptung zu entschuldigen, „ dass die Dinge damals anders waren“ oder „ So dachte damals jeder“ oder mit Argumenten der nationalen Sicherheit.

 

Solche   Augenblicke kommen auch für gewählte Institutionen der Legislative und Regierungen, die in stürmischen Situationen aus Rechtschaffenheit oder Sicherheitshysterie Gesetze herausgeben oder Praktiken bestimmen, die  möglicherweise danach nicht erklärt werden können. Das passiert auch den Gerichten, wenn sie ihre grundsätzliche Pflicht aufgeben, jedes Anzeichen von Rassismus zu beseitigen.

 

Solch einen Augenblick  gab es z.B. in der Geschichte des US-Obersten Gerichtes  beim Dred  Scott Case. Das Gericht  bestimmte in diesem Fall, dass ein Schwarzer kein Bürger sein könne, weil er zu einer minderwertigen Rasse gehöre. Ein anderer solcher Augenblick war die berüchtigte Entscheidung  des Richters Holms (1927), als er ein Staatsgesetz von Virginia billigte, durch das Behinderte zwangssterilisiert werden konnten, da „drei Generationen Idioten schon mehr als genug seien.“

 

Nun nähert sich auch unser Oberster Gerichtshof einem solch schändlichen Augenblick. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Gesuch von ACRI (Association of Civil Rights) und  den palästinensischen Dorfbewohnern gegen die Entscheidung des Verteidigungsministers, den palästinensischen Verkehr  auf dem Teil der Straße 443 zu blockieren, der  durch die Westbank läuft (Modiin –Jerusalem), und dort nur Israelis die Fahrt zu genehmigen. Der Verteidigungsminister gab die Order, ein Netzwerk alternativer Straßen für die Palästinenser zu bauen, das als „Fabric of Life-Straßen“ bekannt ist. Die Gründe sind natürlich die Sicherheit.

Das Wort „Sicherheit“ ist mehr als jedes andere  dazu benützt worden, um verrufene Taten zu rechtfertigen. Dieses Wort ist wie ein Koffer mit falschem Boden, der einen legitimen Inhalt hat, tatsächlich aber mit Negativem und  Illegalem  gefüllt ist.

Vorläufig entschied der Oberste Gerichtshof am 3.3.08, sich nicht damit zu befassen und  verlangte vom Verteidigungsminister, ihn innerhalb von  sechs Monaten über den Fortschritt des Baus der „Fabric of Life-Straßen“ zu informieren. In dieser Woche wies das Gericht eine Forderung von ACRI zurück, eine Anhörung zu dem Problem abzuhalten. Das Gericht unterstützt auf diese Weise die Entscheidung des Verteidigungsministers. Es ist eine Entscheidung, die uns über die  Schwelle zur Apartheid führt.

 

Das Donnerrollen dieser Entscheidung ist laut, und keiner kann es überhören. Die juristische Unterstützung durch den Obersten Gerichtshof dient als mächtiger Verstärker.

 

Zuweilen wollen wir freiwillig blind werden und  verlassen uns auf verschiedene Institutionen, die uns die Entscheidungen abnehmen. „Es ist eine Tatsache!“ sagen wir zu unserm Gewissen, „dass die Richter zusammenkamen und eine Entscheidung trafen – also sind  nicht mehr wir  persönlich dafür verantwortlich“. Solch ein Zum-Schweigen-bringen des Gewissens hat eine Tendenz, zu einer chronischen Erkrankung zu  werden, die durch andauernde Erosion zur Gewohnheit wird, selbst die schändlichsten Taten zu verdunkeln .

 

Natürlich wird der Oberste Gerichtshof fortfahren, sein Entsetzen über einen individuellen Akt von Diskriminierung ausdrücken („Einem Araber war es nicht erlaubt, den Wasserpark zu betreten“ , „Äthiopier durften ihre Kinder nicht in der Petach-Tikva-Schule  anmelden“), wird aber bei einer umfassenden offiziellen Politik, die systematisch kriminell ist, mit den Schultern zucken .

 

Was können wir dann noch tun? Es ist nicht immer möglich, sich auf Massenentscheidungen, auf Institutionen, auf Gerichte zu verlassen. Es ist aber möglich, nur auf der Straße 1 nach Jerusalem zu fahren. ACRI sollte Stickers verteilen, auf denen steht: „Ich fahre nicht auf Straße 443!“ Und alle von uns sollten diese Straße meiden, bis diese Verfügung rückgängig gemacht wird.

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

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