Sumud* gegen Apartheid
Jeff Halper, The New Internationalist, April 2006
Dies ist – allgemein gesagt – eine wirklich schlimme
Situation. Es ist der politische Augenblick, auf den alle
israelischen Regierungen – alle: Labour, Likud und nationale
Einheit - seit vier Jahrzehnten der Besatzung hingearbeitet haben:
der letzte Vorstoß zu einem erweiterten Israel, der Todesstoß für
jeglichen lebensfähigen palästinensischen Staat und eine
einseitige Erklärung, der Konflikt mit den Palästinensern sei
vorüber. Tatsächlich ist es die endgültige Eroberung von ganz Eretz
Israel zwischen Mittelmeer und Jordanfluss, wovon Zionisten das
ganze letzte Jahrhundert geträumt haben.
Oberflächlich
betrachtet, war Israels Wahl langweilig: keine der 31 Parteien
brachten besonders aufregende Anliegen, die das Publikum fesselten.
Keine Partei tauchte als Sieger auf oder war in der Position der
Vorherrschaft. Die größte Partei im Parlament Kadima, Sharons
Partei, die nun von Olmert angeführt wird, errang von 120 Sitzen im
Parlament nur 29. Insgesamt wurde bei der Wahl die Rechte, sogar
die extreme Rechte gestärkt. ( Ich bin nicht damit einverstanden,
dass Sharon und Olmerts Kadima-Partei als „Partei der Mitte“
bezeichnet wird. sie ist extrem rechts ...) d.h. all jene Parteien,
die allein die Idee eines lebensfähigen palästinensischen Staates
ablehnen, gewannen 73 Stimmen. Die Anzahl der linken und liberalen
Sitze ist nur bei 30.
Die
Langweiligkeit der Wahlen machte deutlich, was das israelische
Publikum über sie dachte. Das einzig wichtige Thema, das
angesprochen wurde, war der Kampf der Armen und der Arbeitsklasse –
und dies riss die Leute nicht vom Stuhl. Aber es ist genau diese
Langweiligkeit, die die große Nachricht ist. Ehud Olmert sagte seine
Absichten der Öffentlichkeit geradewegs ins Gesicht: die eiligste
und unmittelbarste Aufgabe der neuen Regierung wird die Festlegung
der endgültigen Grenzen Israels sein, was heißt, dass die massiven
Siedlungsblöcke, Groß-Jerusalem und das Jordantal von Israel
annektiert werden und die Palästinenser auf etwa fünf isolierte,
verarmte, nicht lebensfähige „Kantone“ ( wie Sharon sagte)
beschränkt werden, die sie dann wohl als ihren „Staat“ akzeptieren
müssen.
Natürlich wurde
Olmerts Plan in positiver Weise dargestellt und mit einer
Terminologie, auf die Orwell hätte stolz sein können: das
hebräische Wort „Hitkansut“ (oder auf Deutsch etwa) „ein
Zusammenziehen “ wäre die praktisch ausführende Phase der
„Trennung“ von den Palästinensern. Es schien genau das zu sein, was
die Leute wollten (85% der israelischen Juden unterstützen die
Mauer oder den Trennungszaun). Vielleicht ist das der Grund, dass es
keine öffentliche Diskussion gab, keine Meinungsverschiedenheiten
und in einem No-Problem endete. Das heißt jedoch nicht Rückzug
Israels zu seinen Grenzen von 1967, sondern eher ein
„Zusammenziehen“ von israelischen Siedlern, die über die Westbank (
in kleinen Siedlungen) zerstreut sind, in die größeren
Siedlungsblöcke. Der Gedanke, die von Palästinensern dicht
bevölkerten Gebiete außen vor zu lassen, klingt für
israelisch-jüdische Ohren gut: es ist wirklich Apartheid. Und es
wird einseitig durchgeführt, weil Israel den Palästinensern nichts
anzubieten hat. Nun, sie bekommen etwa 70 % der besetzten
Gebieten, aber nur in sehr zurecht geschnittenen Enklaven. Israel
behält die Kontrolle über alle Grenzen, die Bewegung der
Palästinenser zwischen den Kantonen, über das Wasser und das beste
landwirtschaftlich zu nutzende Land, die großen Siedlungsblöcke,
einschließlich Groß-Jerusalem ( mit dem 40% der palästinensischen
Wirtschaft verbunden ist/ war), über den palästinensischen
Luftraum und sogar über jede Form der Kommunikation. Tatsächlich
hält Israel jedes Entwicklungspotential des Landes fest und
überlässt den Palästinensern nur unfruchtbare, nicht
zusammenhängende Enklaven. Israel breitet sich auf 85% des ganzen
Landes aus und lässt die Palästinenser – bald die Mehrheit – mit nur
15% und dieses sehr beschnitten, nicht lebensfähig und nur
teilweise unter seiner Souveränität. Ein Bantustan nach Südafrikas
Apartheid.
Was für die
Außenwelt als wichtig betrachtet wird – der Konflikt mit den
Palästinensern, die Besatzung, die Mauer, die Siedlungen,
Möglichkeiten für den Frieden - sind in Israel keine Themen. Die
meisten Israelis stimmen darin überein, dass die Palästinenser
keinen Frieden wollen und deshalb gebe es für den Konflikt keine
Lösung; die Trennung sei der beste Weg und deshalb müsse Israel das
ganze Jerusalem behalten und seine größeren Siedlungen. Da gibt es
einfach nichts zu diskutieren. Der ganze israelisch-palästinensische
Konflikt ist für israelische Juden auf ein technisches Problem
reduziert worden: wie können wir den Terrorismus bekämpfen und
unsere persönliche Sicherheit erhalten?
Und wo bleiben
nun die Palästinenser nach ihrer Wahl der Hamas-Regierung?
Nirgendwo, so weit es Israel betrifft. Die Wahl von Hamas
legitimiert nach Ansicht israelischer Juden und der internationalen
Gemeinschaft die Absicht Israels, einseitig vorzugehen, was die
Maßnahme eines Apartheidregimes erleichtert. Ohne die Möglichkeit,
eine eigene Agenda zu verfolgen, auch nicht die einer
Zweistaatenlösung wie in der Road Map vorgezeichnet, bleibt den
Palästinensern nichts anderes als die Taktik der Ohnmächtigen zu
übernehmen, die Verweigerung der Zusammenarbeit. Ihre Wahl war wie
der Schrei: „Zur Hölle mit euch allen!“ – die USA und Europa, die
nichts getan haben, um die Besatzung zu beenden; und Israel, das
alle Möglichkeiten für einen lebensfähigen palästinensischen Staat
ausgeschlossen hat, in dem es sich in die palästinensischen Gebiete
hinein ausgedehnt hat und dann den Palästinensern noch die Schuld
zuweist, den Frieden zu verhindern; und die Fatah, die - zusätzlich
zur Korruption - es versäumt hat, effektiv die palästinensische
Nationalagenda der Selbstbestimmung zu verfolgen.
Während die
Palästinenser wissen, dass der Konflikt auch das globale System
destabilisiert, sagen sie sich: Wir werden an der SUMUD festhalten,
wir werden standhaft bleiben. Setzt über uns ein Apartheidsystem,
gebt uns die Schuld für die Gewalt, während man den Staatsterror
ignoriert, verfolgt nur euer Programm mit der amerikanischen
Großmacht oder eure selbstgerechte Vorstellung vom „Zusammenstoß der
Kulturen“ – wir Palästinenser werden uns nicht unterwerfen. Wir
werden nicht mit euch zusammenarbeiten. Wir werden uns nicht an
eurem falschen Spiel beteiligen. Und eines Tages wird eure Macht
gebrochen sein. Wir werden den Konflikt für Israel, die USA und die
internationale Gemeinschaft so kostspielig wie möglich machen, dass
ihr eines Tages zu uns kommen und uns um Frieden bitten werdet. Wir
werden dann für einen gerechten Frieden bereit sein, der die Rechte
aller Völker dieser Region achtet – einschließlich der Israelis.
Aber ihr werdet uns nicht unterkriegen.
Bei diesen
Wahlen standen sich APARTHEID und SUMUD gegenüber. Da ich annehme,
dass Ungerechtigkeit letztlich – genau wie Apartheid - auf Dauer
nicht zu halten sein wird , setze ich auf SUMUD – sie wird siegen.
* das arabische Wort für Standhaftigkeit,
Durchhaltevermögen
Jeff Halper
ist der Koordinator des Israelischen Komitees gegen
Hauszerstörungen (ICAHD) und mit dem palästinensischen
Friedensaktivisten Ghassan Andoni ein Kandidat für den 2006-
Friedensnobelpreis.
Jeff@icahd.org
(dt. Ellen
Rohlfs) |