Von Jerusalem
nach Safed – Rassismus ist auf dem Vormarsch
Gush Shalom , 11.11.10
Ein zweites Mal in einem Monat
versammelten sich Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler heute
am 7.11 2010, um gegen die Welle von Rassismus zu protestieren, die
das Land überflutet. Auch dieses Mal fand sie gegenüber dem Gebäude
statt, in dem David Ben Gurion die Gründung des Staates Israel
verkündete und die Unabhängigkeitserklärung vorlas, die Freiheit und
Gleichheit für alle Bürger versprach, „unabhängig von Religion,
Rasse und Geschlecht.“
In der nicht-Parteien-Demo überwiegten
die Blauhemden der Jugendbewegung. Sefi Rachlevsky, einer der
Organisatoren, drückte die Unterstützung der Demonstranten für die
Schauspieler und Schauspielerinnen aus, die sich weigerten, am
nächsten Tag an der Gala-Vorstellung in der Siedlung Ariel
teilzunehmen.
Die Exministerin Shulamit Aloni sagte,
dass das Wort „jüdisch“ in keinem Gebet mehr erscheint – in allen
Gebeten würde nur das Volk Israel erwähnt werden. „Dies ist ein
israelischer und kein jüdischer Staat mehr“, erklärte sie.
Professor Mordechai Kremnitzer,
Vizepräsident des israelischen Instituts für Demokratie, sagte, dass
immer mehr Gerichtsurteile des Obersten Gerichts von der Regierung
ignoriert werden – eine Tatsache, die das demokratische System des
Landes untergräbt.
Der Schriftsteller Yoram Kaniuk
verkündete, dass er nächste Woche zum Innenministerium gehen wolle,
um sich als „religionslos“ registrieren zu lassen, nachdem kürzlich
ein Gesetz angenommen wurde, nach dem nur noch religionslose Bürger
zivil heiraten dürften.
Die Sprecher der Jugendbewegung
versprachen, dass ihre 100 000 Mitglieder gemeinsam für einen
demokratischen Zionismus kämpfen würden – gegen die rassistische
Welle, die das Land zu überrollen droht.
Das Exmitglied der Knesset Uri Avnery
erzählte, dass er als Kind in Deutschland Zeuge war, wie der
Rassismus zur Macht gekommen war: „Ich will dies nicht noch mal
erleben und dieses Mal in dem Staat, den ich mit aufbauen half.“
„Als 9Jähriger war ich Zeuge, wie die
Nazis hochkamen …. Es war nichts Dramatisches dabei. Es änderte sich
fast nichts übernacht. Nur langsam, mit kleinen Schritten kam der
Rassismus in das Leben des normalen Bürgers. „Kauf nicht beim
Juden!“ „Vermietet keine Wohnungen an sie!“ „Gebt ihnen keine
Arbeit!“
Am Eingang von Dörfern und Städten
erschienen Schilder, auf denen stand: „Dieser Ort ist judenrein!“
Dann kamen die Nürnberger Gesetze, die
Deutschen erließen ein Verbot, Juden zu heiraten.
Was danach kam, ist wohl allen bekannt.
Als ich 1948 als einfacher Soldat am
Krieg teilnahm, um den Staat zu schaffen, habe ich mir nicht im
Traume vorstellen können, dass ich noch mal Zeuge eines solchen
Prozesses werde und diesmal im eigenen Staat.
Schritt um Schritt taucht Rassismus in
unserm Leben auf. Der Oberrabbineer von Safed verbietet, Wohnungen
an arabische Studenten zu vermieten. Wir zahlen das Gehalt dieses
Rabbiners und deshalb sind wir mit verantwortlich für das, was er
sagt.
Rabbi Ovadia Josef, der Führer von
Hundert Tausenden, wiederholt diese religiöse Botschaft.
Der stellvertretende Bürgermeister von
Carmiel rief auch die Bewohner auf, keine Wohnungen an Araber zu
vermieten, und forderte dazu auf, ihm solche Fälle zu melden. Er
stellte auch eine Gemeinde-Militia auf, die am Abend an den
Eingängen des Ortes darauf achtet, dass kein Araber den Ort betritt.
Nachdem wir dies veröffentlichten, wurde er aus dem Gemeinderat
geschmissen, und ein Mitglied aus Liebermans Partei wurde statt
seiner eingestellt. In Carmiel ist Lieberman ein gemäßigter.
Ein neues Gesetz ermöglicht einem
„Zulassungskomitee“, dass in 700 israelischen Orten keine Araber
leben. Schilder sind nicht nötig: dieser Ort ist araberrein.. Man
muss nicht deutsch können, um dies zu verstehen und was in diesem
Land geschieht.
Jede Woche kommen Gesetze heraus, die
uns an die Nürnberger Gesetze erinnern.
Unser Wagen rast den Hang hinunter. Wie
ein Wagen ohne Bremsen. In der Knesset gibt es kaum eine Opposition
dagegen. Die Arbeiterpartei, die schon vor langem aufgehört hat, zum
Friedenslager zu gehören, fällt zur Seite. Die Kadima Partei
versucht Netanyahu rechts zu überholen. Tatsächlich haben ihre
Mitglieder die haarsträubendsten rassistischen Gesetzesentwürfe
unterzeichnet.
Aber wem geben wir dafür die Schuld?
Wir können nur uns selbst anklagen.
Wo ist das Friedenslager? Wo sind die
Massen vom Rabin-Platz? Wo ist die Linke?.
Worte sind wichtig – aber wir können
den Faschismus nicht mit Worten allein stoppen. Aktionen sind
nötig.
Die mutigen Schauspieler, die ihren
Lebensunterhalt riskieren und sich weigern, in Ariel zu spielen,
sind ein Vorbild.
Jeder von uns müsste handeln, jeder an
seinem Platz und alle von uns zusammen.
Wir müssten jetzt eine politische Kraft
schaffen, um gegen den Rassismus und den Faschismus zu kämpfen, eine
Kraft, die Frauen und Männer vereinigt, Juden und Araber, Ashkenazim
und Orientalen. Wenn wir dies nicht tun, wird uns die Geschichte
hart verurteilen, als Helfershelfer des Verbrechens.
„Vater, wo warst du?“ „Mutter, wo bist
du gewesen?“
Hier in diesem Gebäude wurde der Staat
Israel gegründet. Nun sind wir aufgerufen, ihn zu retten.!“
(dt. Ellen Rohlfs)
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