Bericht der Demo in A-Ram gegen die
Mauer (26.6.04)
Adam Keller,
Gusch Shalom
Es war äußerst gewissenhaft
vorbereitet worden. Die Initiative kam vom Bürgermeisteramt in A-Ram:
eine große Demonstration, einschließlich möglichst vieler Israelis
und zwar am Wochenende vor der Entscheidung des Obersten Gerichtes
über das Schicksal von A-Ram. Aber so wie es lief, scheint jemand
entschieden zu haben, dass man nicht daran interessiert ist, dass
die Demo zusammen mit Palästinensern und Israelis ordentlich
verläuft. So kurz vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes
war es wohl besser, diese in etwas umzuwandeln, bei dem „ alles
passieren kann“.
„Fahren sie nach A-Ram?“
fragte de Grenzpolizist an der Straßensperre. „Ja , genau, dorthin
wollen wir.“ Wir waren alle bereit, hinauszuspringen und zu Fuß
weiterzugehen, wenn der Bus wieder einmal nicht hätte weiterfahren
dürfen. Aber der Polizist lächelte und sagte: „Habt einen schönen
Tag!“
So fuhren die fünf Busse,
voll mit israelischen Aktivisten von Gush Shalom und Ta’ayush
weiter bis zu dem Punkt, wo die Hauptstraße Jerusalem-Ramallah
demoliert worden war, um den Bau der Mauer vorzubereiten. Riesige
vorfabrizierte Betonplatten lagen schon in einer Reihe bereit, um
aufgerichtet zu werden, sobald der Gerichtshof am Montag grünes
Licht dafür gibt.
Fünf junge Leute holten
Hammer hervor und versuchten die Betonteile zu bearbeiten; aber die
grauen Ungetüme bekamen nicht einmal einen Kratzer ab. Wir übrigen
nahmen Posters, auf denen stand : Die Mauer muss fallen; Mauer =
Krieg; Israelis und Palästinenser zusammen gegen die Mauer; es ist
unmöglich mit der Mauer zu leben. Die Mauer blockiert
den Weg zur Schule und zum Krankenhaus.
Ein bisschen weiter trafen
wir mit den Bewohnern von A-Ram zusammen. Eine Reihe nach der
anderen, Tausende von Palästinensern, junge und alte, Männer und
Frauen, einige in der traditionellen Kleidung, andere in Jeans.
An der Spitze des
gemeinsamen Zuges der Bürgermeister Sirhan Salahme, dessen Kontakte
zu israelischen Friedensgruppen bis in die Oslojahre zurückgehen.
Neben ihm KM Ahmed Tibi und das frühere KM Tamar Gozanski und Uri
Avnery, zusammen mit Mitgliedern des palästinensischen Parlaments
und muslimischen und christlichen Geistlichen. Nach ihnen kam die
Kapelle der palästinensischen Pfadfinder, einige mit Trommeln,
Trompeten und einige sogar mit Dudelsackpfeifen, einem Überbleibsel
aus der englischen Mandatszeit.
Wir gingen in ordentlichen
Reihen – aber nicht lang. Plötzlich rannten junge Leute zurück und
überall explodierten Tränengaskanister. Oben auf dem Hügel standen
Grenzpolizisten in einer Reihe und schossen immer wieder. Die jungen
Dudelsackpfeifer versuchten tapfer ein paar Minuten weiterzugehen –
doch war es unmöglich unter solch einem Sperrfeuer.
„Das war ein vorbereiteter
Angriff aus dem Hinterhalt. Ich sah genau, wie es anfing. Sie fingen
an, ohne jede Provokation von unserer Seite. Sie warteten nur so
lange, bis der Wind von ihnen zu uns blies – damit das Gas die
größte Wirkung auf uns hat“, sagte ein junger Ta’ayush-Aktivist, der
gerade seinen Militärdienst hinter sich hatte. Etwa fünfzehn von uns
duckten sich hinter einer Ecke und hielten Zwiebelstücke vor die
Nase, die von Palästinensern als Gegenmittel zum Gas verteilt worden
waren. Die Flucht half nicht lange. Ein Jeep der Grenzpolizei kam um
die Ecke und schoss weitere Tränengaskanister. „Schnell, schnell
hier rein!“ rief ein Palästinenser aus einer Seitenstraße auf
Hebräisch und führte uns durch ein Labyrinth von Passagen. Hinter
uns zogen Jugendliche Marktgestelle als Barrikaden über die Straße.
Ein ordentlicher und
friedlicher Protestmarsch von Tausenden zerbrach nun in viele Teile,
die nur noch mit Handys locker in Kontakt standen. Einige fanden
Zuflucht in Privathäusern und Büros. Manche wurden tiefer nach A-Ram
hinein verfolgt. Uri Avnery schaffte es, in einen Laden in der Nähe
der Kreuzung zu schlüpfen, wo der Angriff begann. Von dort öffnete
der erfahrene Journalist eine direkte Leitung zu den Medien: „ Das
sieht hier wie ein richtiges Schlachtfeld aus. Alle zehn Minuten
tauchen junge Leute aus den Gassen auf. Sie werfen Steine, auch wenn
sie viel zu weit von der Grenzpolizei entfernt sind, um sie zu
treffen. Die Polizei schoss um so stärker zurück. Ich selbst habe
genug Zwiebeln gegen die Gasschwaden, die ich hier abkriege. Gerade
jetzt schießen sie einen Gaskanister direkt gegen eine
Ambulanzmannschaft, die einen der Verwundeten holen wollen.
Vom Tränengas ging die
Grenzpolizei auf Gummigeschosse über, dann intensiver Gebrauch ihrer
Knüppel und - nicht zu vergessen – die Wasserwerfer ( die teilweise
sogar ein Segen waren, weil sie die Luft vom Gas reinigte.) Etwa 50
Leute wurden verwundet, auch KM Ahmed Tibi, Sheich Taysir Tamini,
der den muslimischen Gerichtshof in Palästina leitet, und ein
Pressefotograph von Yediot Aharonot.
Etwas weiter hinten
errichteten die Organisatoren eine Art Hauptquartier mitten auf der
Straße: Der Bürgermeister Salameh war dort, auch Neve Gordon von
Ta’ayush und der palästinensische Pfadfinderführer. „Auch wenn die
Leute aus einander gerissen wurden – so hör ich über Telefon, dass
überall Israelis mit Palästinensern in kleinen Gruppen zusammen
sind“, sagt Gordon. „Wir versuchen, mit dem Kommandeur der
Grenzpolizei ins Gespräch zu kommen; ich sagte ihm per Telefon, dass
wenn er seine Leute ein paar hundert Meter zurückzieht, wird die
Gewalttätigkeit (das Steine werfen!) sofort aufhören. Bis jetzt ist
er sehr unversöhnlich.“
Erst nach drei Stunden und
nachdem ein besonders schwerer Angriff gestartet war, während dem
auch scharf geschossen wurde, zog sich die Grenzpolizei zurück. Wir
konnten im Gänsemarsch unsere Busse erreichen. Aber es gab noch 10
Verhaftete: fünf Israelis und fünf Palästinenser. Also gingen wir
alle zur Polizeistation in Neve Yacob ( Jüdischer Nachbarort von
A-Ram). Die letzten Nachrichten: den israelischen Verhafteten sagte
man, dass sie gehen könnten, aber sie weigerten sich, die Station
ohne die Palästinenser zu verlassen. Etwa 100 Aktivisten halten
jetzt immer noch davor Wache. (20 Uhr 30)
Am Montag morgen wird der
Oberste Gerichtshof für Zehntausende von A-Ram Einwohnern eine
schicksalsschwere Entscheidung treffen. Einige der heutigen
Demonstranten wollen im Gerichtshof sein. Die Frauen von Bat Shalom
werden vor dem Gericht eine Mahnwache halten.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)
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