Eine binationale
Realität
Akiva Eldar
Wie gut, dass auch diesmal der
Terrorist nur ein Einzelgänger war, ein Drogenabhängiger oder
nur ein Spinner. So lange wie Jerusalemer Mörder nicht im
Auftrag einer Terrorgruppe handeln. „Unkraut“ kann in jedem
Garten wachsen. Auch wir hatten einmal einen seltsamen Arzt, der
ein Massaker in einer Moschee ausführte; seine Familie
errichtete ihm ein Ehrenmal, um den „Heiligen“ zu ehren. Keiner
kam auf die Idee, das Haus seiner Familie zu zerstören, aus
Gründen der „Abschreckung“ – und dies war gerechtfertigt. Wenn
wir annehmen, dass dies der Fall eines Außenseiters war, dann
wird das Zerstören des Hauses seiner Familie den nächsten
Außenseiter genau so wenig abschrecken wie die Todesstrafe
diejenigen abschreckt, die sich entscheiden, sich in einem Bus
in die Luft zu sprengen, in der Hoffnung, bald Spaß mit 70
Jungfrauen im Paradies zu haben. Abschreckung ist relevant, wenn
es sich um Einstellungen der Allgemeinheit handelt und nicht um
Außenseiter der Gesellschaft.
Der Mörder in der Mercaz Harav
Yeshiva und der Terrorist mit dem Bulldozer vertreten keine
Organisation. Es ist noch schlimmer: sie spiegeln die Stimmung
von Tausenden Bewohnern in Israels Hauptstadt wieder. Eine
Terrororganisation könnte ausfindig gemacht und für illegal
erklärt und ihre Führung verhaftet werden. Unzufriedenheit, die
von ganz unten kommt, benötigt keine Anleitung und wird nicht
von irgendjemand kontrolliert und ist deshalb viel schwieriger
in Schach zu halten. So war es während der 1. Intifada und bis
zu einem gewissen Grad auch während der 2. Intifada. Die
Organisationen schafften nicht die Welle – sie ritten auf ihr.
Ein junger Palästinenser, der in
einem der Stadtteile lebt, die außerhalb der Mauer gelassen
wurde, sagte mir, dass jeden Morgen, wenn er zur Arbeit geht und
er am Kontrollpunkt die vielen Menschen dort warten sieht, er
sich wundert, dass es nur so wenig Terrorakte gibt. Und dies
sagt ein Mann, der seine Kinder in ein Sommerlager mit
israelischer Jugend schickt.
Zufällig oder vielleicht auch nicht
zufällig kommen beide Täter, die in die Angriffe in Jerusalem
verwickelt waren aus Stadtteilen an der Trennungslinie, wo das
Leben der Bewohner vollkommen durch den Zaun verändert wurde,
dessen Verlauf kurzsichtig und ohne Sensibilität bestimmt
wurde. Die Mauer, die Jerusalem umgibt, und deren totale Länge
170 km ist ( länger als die Entfernung nach Haifa), hat die
meisten Jerusalemer Araber, vor allem die, die westlich davon
leben, von ihren Verwandten in der Westbank getrennt. Etwa 60
000 Leute, die außerhalb der Mauer leben, wurden von ihrem
Lebensunterhalt, den Schulen und den Krankenhäusern in Jerusalem
getrennt.
Die ständige, schleichende
Annektierung von Land durch jüdische Stadtteile Ost-Jerusalems,
einschließlich der Heiligen Stätten und der Altstadt – mit
vollständiger Nichtbeachtung amerikanischer Forderungen –
verwischt den Unterschied zwischen der Realität im „vereinigten“
Jerusalem und der Besatzung in der Westbank. Von einem
politischen Standpunkt aus ist die Situation der Bewohner von
Ost-Jerusalem besser als die ihrer Nachbarn in der Westbank.
Während man sich in Ramallah der
Illusion einer palästinensischen Regierung hingibt, hat die
palästinensische Behörde schon ( wenige km weiter) in Shufat
keinen Stand mehr. Israel erfüllt seine Abmachungen nach Teil A
der Road Map nicht, nach der die palästinensischen Institute in
Ost-Jerusalem geöffnet werden sollten, und verhindert die
Bildung einer lokalen politischen Führung.
Die öffentliche Debatte um die
Zerstörung der Häuser der Familien der Mörder macht noch auf ein
ernsteres Problem aufmerksam. Es geht nicht um die Frage, warum
die Familien der Jerusalemer Terroristen anders behandelt werden
als die von Familien von Terroristen in der Westbank. Die Frage
sollte sein, ob es eine echte Rechtfertigung gibt, sie anders zu
behandeln. Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen
jenen, die eine blaue (israelische) Identitätskarte haben und
den Bewohnern auf der Westbank? Veränderten die Zahlungen der
Nationalen Versicherung auf der einen Seite und die Überwachung
der palästinensischen Einwanderung andrerseits tatsächlich die
Hoffnungen der Jerusalemer Araber oder ist die Politik der
Vereinigung Jerusalems fehlgeschlagen?
Nach 40 Jahren ist für die
Politiker die Zeit gekommen, endlich zu begreifen, dass das
Zerstören von mehr arabischen Häusern und das Bauen von mehr
Häusern für Juden Jerusalem nicht in eine besser vereinigte
Stadt wandelt . In Jerusalem wie an jedem anderen Ort zwischen
Meer und Jordan existiert eine bi-nationale Realität, in der
eine ethnische Gruppe mit Gewalt über eine andere ethnische
Gruppe herrscht. Historisch gesehen hatten die israelischen
Regierungen die arabischen Jerusalemer als feindlichen
Überschuss behandelt. Die Politik der „fortschrittlichen/
aufgeklärten Besatzung“ wurde in ihrem Falle angenommen, obwohl
sie sich im Rest der (besetzten) Gebiete als bankrott erwiesen
hat. Von den Leuten erwartet man nun, dass sie dies zu schätzen
wissen und deshalb zu loyalen Bewohnern des zionistischen
Staates werden.
Vor vielen Jahren, sagte ein
US-Diplomat, der in Jerusalem seinen Dienst tat, folgendes über
die Araber in der Stadt: „Ihr werdet sie weder brechen noch
kaufen können.“
Das Zerstören von zwei weiteren
Häusern in Jerusalem wird auch eine andere oberflächliche
Trennung zwischen den Palästinensern zunichte machen. Vielleicht
wird uns dies zum Verständnis helfen, dass ein Abkommen in der
Westbank ohne eine Lösung für Jerusalem eine gefährliche
Illusion ist.
(dt. Ellen Rohlfs)
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