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Täglich neu - Nachrichten, Texte aus dem und über das besetzen Palästina. Texte die in den deutschen Medien meist fehlen.

 KurznachrichtenArchiv - ThemenLinksFacebook   -   28. Mai 2022   -   Sponsern SieAktuelle TermineSuchen

 


 

Die ewig Heimatlosen

Mohamed und Alaa sind in Jordanien geboren und aufgewachsen, fühlen sich aber als Palästinenser. Der eine kann nicht zurück, der andere will nicht.

Serena Bilanceri - 31.5.2022

Wenn Mohamed Salhi über sein Leben nachdenkt, schaut er sich manchmal eine Bleistiftzeichnung an, die er angefertigt hat. Sie zeigt einen nackten Mann in einer Glasflasche, seine Hand ragt aus der Enge des Flaschenhalses. „Das ist mein Leben“, sagt er. „Der stetige Versuch, aus einem sehr engen Ort hinauszudrängen“.

Ein Leben, das vor 30 Jahren begann: in einem Krankenhaus in Westamman, Jordanien, „mit einem blauen Pass in der Hand“, wie er erzählt. Salhi hält vor die Kamera seines Laptops ein Büchlein mit blauem Umschlag, darauf steht auf Arabisch und Englisch: Syrische Arabische Republik; Reiseausweis für palästinensische Geflüchtete. Das Dokument weist ihn als Nachkommen eines palästinensischen Geflüchteten aus Syrien aus. Es verleiht ihm eine Identität, macht ihn aber nicht zum Staatsbürger.

Salhis Mutter ist eine palästinensische Geflüchtete aus Gaza, sein Vater ein palästinensischer Geflüchteter aus Syrien. Wie auch in anderen arabischen Ländern dürfen Mütter in Jordanien ihre Staatsangehörigkeit nicht vererben. Nicht, dass es ihm viel geholfen hätte: So wie die meisten Geflüchteten aus Gaza, besitzt Salhis Mutter ebenfalls keine jordanische Staatsangehörigkeit, sondern lediglich einen Ausweis, den sie regelmäßig erneuern muss. Die Verlängerung kostet bis zu 200 Dinar, umgerechnet etwa 267 Euro.

Salhi ist in Jordanien geboren, die Staatsbürgerschaft des Königreichs bleibt ihm jedoch bis heute verwehrt. 2017 hat er ein zweites Dokument bekommen: den schwarzen Pass der Palästinensischen Autonomiebehörde. Nun hat Salhi zwei Ausweise – und doch keine richtige Staatsangehörigkeit, keinen Staat, den er seinen eigenen nennen kann.

Das Leben als Pa­läs­ti­nen­se­r*in ist in Jordanien teurer
„Wenn ich ins Krankenhaus gehe, muss ich in Jordanien so viel bezahlen wie Ausländer*innen. Das ist für uns sehr teuer“, sagt der 30-Jährige. Dasselbe gelte etwa für Studien­gebühren. Zudem seien manche ­Berufe Jor­da­nie­r*in­nen vorbehalten, eine Arbeitserlaubnis ist teuer – je nach Bereich könnten bis zu 2.200 Dinar, etwa 3.000 Euro, fällig werden. Viele Arbeitgeber wollten sich die Extrakosten nicht leisten, einen legalen Job zu finden sei schwer.

Auch die Reisefreiheit sei eingeschränkt. Als Kind, als Salhi noch keine   mehr >>>

 

Israelische Siedler haben südlich von Nablus, im nördlichen besetzten Westjordanland, mehr als 100 Obstbäume verbrannt.

Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser und deren Eigentum ist im Westjordanland an der Tagesordnung und wird von den israelischen Behörden nur selten strafrechtlich verfolgt.  Quelle



Ausstellungsraum des palästinensischen Kunst-Kollektivs „The Question of Funding“ nach dem Vandalismus-Fall vom Wochenende. „187“ wird im US-Kontext als eine Morddrohung verstanden.
 

Vandalismus und Morddrohungen gegen Kunst-Kollektiv: Documenta-Debatte eskaliert

Jüngst wurden Antisemitismus-Vorwürfe an die Documenta laut. Eine Gesprächsreihe wurde abgesagt.
Jetzt gab es einen Anschlag auf einen Ausstellungsraum.

Hanno Hauenstein -  31.5.2022


Die unsachliche Debatte um vermeintlichen Antisemitismus in den Reihen der Documenta ist eskaliert. In den frühen Morgenstunden des 28. Mai wurde der Ausstellungsraum des palästinensischen Kollektivs „The Question of Funding“ auf der Documenta in Kassel von einer oder mehreren Personen mit Graffiti beschmiert. Der bedrohliche Akt des Vandalismus richtet sich offenbar gezielt gegen das palästinensische Kollektiv, zumal keine anderen Ausstellungsräume betroffen waren. Die Zahl „187“ und der Name „Peralta“ wurden dabei auf mehrere Wände gesprüht. Wandoberflächen wurden zudem mit einem Feuerlöscher beschädigt.

Bei „187“ handelt es sich um einen Code, der im US-Kontext als Morddrohung verstanden wird. Er bezieht sich auf ein „Kapitalverbrechen“ und geht auf das kalifornische Gesetzbuch zurück. Der Begriff „Peralta“, vermutet man, könnte sich auf den Namen der spanischen Neonazi-Aktivistin Isabelle Peralta beziehen, die immer wieder antisemitische Propaganda weiterverbreitet hatte und etwa auch in Kreisen der deutschen Neonazi-Partei Der III. Weg in Düsseldorf verkehrte. Ihren Namen auf die Wände des Kollektivs zu sprühen, könnte den Versuch darstellen, eine Assoziation zwischen dem Schaffen des Kollektivs und der antisemitischen Ideologie Peraltas herzustellen. Eine Assoziation, die jeder faktischen Grundlage entbehrt.

Ausstellungsraum des palästinensischen Kollektivs „The Question of Funding“ nach dem Vandalismus-Fall vom Wochenende. „Paralta“ steht vermutlich für den Nachnamen einer spanischen Neonazi-Aktivistin.
Wie jetzt klar wurde, handelt es sich nicht um den ersten Einbruchs- und Vandalismus-Fall gegen die Documenta 15. In ein anderes Gebäude in Kassel, das als Wohn- und Arbeitsraum für Beteiligte genutzt wird, soll in den letzten zehn Tagen bereits fünfmal eingebrochen worden sein. Zahlreiche Künstler:innen in Kassel sind jetzt ernsthaft um ihre Sicherheit besorgt.  mehr >>>

 



Die Jewish Defense League (JDL; auf Deutsch Jüdische Verteidigungsliga) ist eine kahanistische Organisation, deren erklärtes Ziel es ist, Juden in der Diaspora mit allen Mitteln vor Antisemitismus zu beschützen, die von ihr dafür als notwendig betrachtet werden. Ursprüngliches Ziel des Gründers Rabbi Meir Kahane war es, chassidische Juden im Brooklyn der 1960er Jahre vor Übergriffen und wachsendem Antisemitismus zu schützen. Seit der Gründung der Organisation waren Mitglieder der JDL immer wieder in zahlreiche gewalttätige Übergriffe auf afroamerikanische Gangs, Neonazis, Repräsentanten der ehemaligen Sowjetunion und Moslems verwickelt. Eine Reihe von versuchten terroristischen Anschlägen werden der JDL zwar zugerechnet, dies wird von dieser aber stets zurückgewiesen.[1] Das von Baruch Goldstein 1994 in Hebron verübte Massaker wird von der JDL als „Präventivschlag“ gerechtfertigt. Laut der JDL habe der Täter mit der Ermordung von 29 betenden Arabern lediglich vorbeugend gehandelt, da sonst angeblich ein Angriff der einheimischen Araber auf die israelischen Siedler in Hebron bevorgestanden hätte.  Quelle


Gibt es da Zusammenhänge?

Zwei Jahre lang wurde ich (oft mehrmals in der Woche oder am Tag und immer anonym) mit telefonischen Morddrohungen bedacht. Der Staatsschutz stellte fest, die  Anrufe kamen aus Telefonzellen in Kassel.

Jahrelang wurde ich anonym mit Schmäh- und Hassmails bedacht. Der Schreiber, so stellte der Staatsschutz fest kam wohl aus Kassel, bei den wechselnden Anmeldungen und Wechsel der Maildienste wurden Straßennahmen aus Kassel angegeben.

In den Hassmails gab sich der Autor als Verteidiger von
Claudio Casula (Rolf Behrens) - Gerd Buurmann - Henryk M. Broder und Honestly Concerned

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Mi., 25.5.2022 - 29:58 Min.

VIDEO - Palästina - Leben unter Besatzung

Das WELTjournal zeigt die aktuellen Ereignisse um den Tod und das Begräbnis der im Nahen Osten bekannten Fernsehjournalistin Shireen Abu Akleh und beleuchtet das schwierige Leben der Palästinenser in Ost-Jerusalem. Eine Baugenehmigung zu bekommen ist für Palästinenser dort nahezu unmöglich.  Quelle

 

Am 21. Juli 2014, während der israelischen Militäroperation, wurden bei einem Luftangriff der israelischen Verteidigungskräfte auf den Al-Salam-Turm in Gaza-Stadt elf Mitglieder der Familien Kilani und Derbas getötet. Unter den Toten waren Ibrahim und Taghreed Kilani und ihre fünf Kinder.pp

Stellungnahme zur Entscheidung der deutschen Bundesanwaltschaft, keine Ermittlungen im Fall Kilani (Luftangriff auf Gaza 2014) einzuleiten

Berlin - 30. 5. 2022

Im August 2021 kündigte der deutsche Bundesanwalt an, dass er im Fall Kilani keine Ermittlungen zu dem Luftangriff der israelischen Streitkräfte am 21. Juli 2014 einleiten wird. Nach Ansicht des Bundesanwalts waren die für die endgültige Feststellung eines Kriegsverbrechens erforderlichen Beweise nicht zu beschaffen. Die Entscheidung kam nach sieben Jahren juristischer und beweiskräftiger Eingaben von PCHR und ECCHR im Namen der Familie Kilani, um auf unabhängige und unparteiische Ermittlungen zu drängen. Nachdem PCHR und ECCHR im April 2022 Zugang zu Teilen der Fallakte erhalten haben, geben sie diese Erklärung ab.

Im Dezember 2014 reichten PCHR und ECCHR gemeinsam mit dem Sohn der Familie Kilani, Ramsis, der seinen Vater und fünf Stiefbrüder und -schwestern bei dem Luftangriff verloren hat, Strafanzeige ein. Beide Organisationen reichten in den folgenden Jahren bei neun verschiedenen Gelegenheiten zusätzliche Informationen, Beweise und Analysen bei der Bundesanwaltschaft ein. Der Fall wurde 2018 auf einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin diskutiert und ist auch durch den Dokumentarfilm Not just your picture der Filmemacher Anne Paq und Dror Dayan einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Am 21. Juli 2014, während der israelischen Militäroperation, wurden bei einem Luftangriff der israelischen Verteidigungskräfte auf den Al-Salam-Turm in Gaza-Stadt elf Mitglieder der Familien Kilani und Derbas getötet. Unter den Toten waren Ibrahim und Taghreed Kilani und ihre fünf Kinder. Ibrahim Kilani und die fünf Kinder waren deutsche Staatsangehörige. Ziel des Luftangriffs war nach Angaben der israelischen Armee ein Mitglied des palästinensischen Islamischen Dschihad, das ebenfalls tot in dem Gebäude aufgefunden wurde. Weitere Informationen finden Sie auf der Fall-Seite des ECCHR.

Mit zweierlei Maß messen

Die Entscheidung der deutschen Bundesanwaltschaft steht beispielhaft für die Doppelmoral, die in Fällen gegen mächtige Akteure angewandt wird. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft entsprach nicht den üblichen Verfahren und Argumentationslinien, insbesondere im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit einiger der Opfer.

a. Starke Verbindung zu Deutschland

In Fällen, die deutsche Staatsbürger als Opfer einer Straftat im Ausland betreffen, ist es nach deutschem Recht und deutscher Praxis üblich und gesetzlich vorgeschrieben, förmliche Ermittlungen einzuleiten und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit nicht nur auf diplomatischem, sondern auch auf juristischem Wege zu suchen. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Staatsangehörigkeit eine starke Verbindung zu Deutschland voraussetzt, im Gegensatz zu Fällen, die auf der Grundlage des Prinzips der universellen Zuständigkeit untersucht werden, in denen eine Straftat im Ausland begangen wurde und weder der mutmaßliche Täter noch das Opfer Deutsche sind. Im vorliegenden Fall hat es die Staatsanwaltschaft versäumt, rasch ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, obwohl es sich um ein schweres Verbrechen handelte, bei dem elf Zivilpersonen (darunter sechs deutsche Staatsangehörige) ums Leben kamen, durch die Staatsangehörigkeit der Opfer eine starke Verbindung zu Deutschland bestand und enge Beziehungen zu in Nordrhein-Westfalen lebenden deutschen Familienangehörigen bestanden. Darüber hinaus beschloss der Staatsanwalt, den Fall abzuschließen, ohne irgendwelche Ermittlungen einzuleiten, und erklärte, dass dies tatsächlich eine Ausnahme sei, da er normalerweise ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte. 153f § 2 der deutschen Strafprozessordnung (StPO) sieht in der Tat die Möglichkeit vor, dass die Staatsanwaltschaft Verfahren im Rahmen der universellen Zuständigkeit einstellt, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass kein deutscher Staatsbürger Opfer des mutmaßlichen internationalen Verbrechens ist. Hier ist genau das Gegenteil der Fall: Deutsche Staatsangehörige wurden Opfer eines internationalen Verbrechens im Ausland, was zur Folge hat, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

b. Inanspruchnahme innerstaatlicher Verfahren und Rechtsbehelfe

Entgegen der gesetzlichen Verpflichtung zur Strafverfolgung, die sich aus dem Legalitätsprinzip ergibt, wenn deutsche Staatsangehörige in eine Straftat verwickelt sind, hat sich die Staatsanwaltschaft auf eine Ausnahme berufen und somit gegenüber deutschen Opfern in Gaza und ihren Angehörigen in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen, im Gegensatz zu anderen Situationen. Die Gründe, die der Staatsanwalt für diese Ausnahme anführt, rechtfertigen nicht die Entscheidung, nicht einmal formelle Ermittlungen einzuleiten. Er argumentierte, dass es eine israelische Untersuchung des Vorfalls durch den Militärgeneralanwalt gegeben habe, die zu dem Schluss gekommen sei, dass keine weiteren Ermittlungsschritte unternommen werden müssten, da es keinen "begründeten Verdacht auf kriminelles Fehlverhalten" gebe. Die PCHR focht diese Entscheidung vor dem israelischen Generalstaatsanwalt an, jedoch ohne Erfolg. In dem Verfahren vor dem deutschen Generalbundesanwalt vertraten PCHR und ECCHR die Auffassung, dass der Militärgeneralanwalt nicht unabhängig ist, u.a. gemäß dem Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte mit dem Titel "Ensuring accountability and justice for all violations of international law in the Occupied Palestinian Territory including East Jerusalem", UN Doc. A/HRC/37/41, 19. März 2018, §§ 11-14. Der Generalbundesanwalt ignorierte die von PCHR und ECCHR in dieser Angelegenheit vorgebrachten Argumente und Materialien und erklärte stattdessen, dass er sich nicht in innerstaatliche Angelegenheiten einmischen könne, insbesondere nachdem eine innerstaatliche Entscheidung getroffen worden war und in einem Fall, in dem noch nicht alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft worden waren. Tatsächlich hat die PCHR nach der Entscheidung im Überprüfungsverfahren des Generalstaatsanwalts den innerstaatlichen Rechtsweg nicht vollständig ausgeschöpft, indem sie den Obersten Gerichtshof mit der Angelegenheit befasst hat. Der israelische Oberste Gerichtshof wendet einen sehr hohen und strengen Prüfungsmaßstab an, und selbst wenn er Fälle an den (nicht unabhängigen) Generalstaatsanwalt zurückverweist, hätte dieser bei der Erteilung einer neuen Entscheidung einen großen Ermessensspielraum. Die Versäumnisse, die mangelnde Unabhängigkeit und die vorhersehbaren Ergebnisse wurden in einem ECCHR-Gutachten dargelegt, das der Bundesanwaltschaft 2018 vorgelegt wurde.

In vielen anderen Fällen verlangte die Bundesanwaltschaft zu Recht nicht, dass die Opfer oder ihre Angehörigen in ihren jeweiligen Rechtsordnungen, z.B. in Syrien, Irak, Gambia oder Sri Lanka, irgendwelche rechtlichen Schritte im Inland unternehmen, geschweige denn alle lokalen Rechtsmittel ausschöpfen, bevor sie eine Untersuchung einleitet. Die internationale Strafgerichtsbarkeit verlangt nicht, dass der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft wird, bevor der Fall vor ausländischen Gerichten weiterverfolgt wird, zumal es für die Opfer und ihre Familien oft sehr unrealistisch ist, inländische Gerichte mit Fällen gegen die einheimischen Streitkräfte oder Geheimdienste zu befassen.

c. Berufung auf die funktionelle Immunität für Straftaten nach dem regulären Strafgesetzbuch, obwohl sie mit einem mutmaßlichen internationalen Verbrechen verbunden sind

Die Staatsanwaltschaft steht im Einklang mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2021 (BGH, 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19), die funktionale Immunität für Kriegsverbrechen nicht anzuwenden. Rechtlich unhaltbar ist jedoch die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass die funktionale Immunität per se die Verfolgung des Verbrechens des Mordes (§ 211 StGB) hindere, unabhängig davon, ob dieser potentielle Mord in derselben Tat wie ein potentielles Kriegsverbrechen begangen wurde oder nicht. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In mehreren Fällen hat der Bundesgerichtshof anerkannt, dass deutsche Gerichte die universelle Zuständigkeit auch für in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommene Verbrechen ausüben können, die in ein und derselben Tat wie das internationale Verbrechen begangen wurden. Hinsichtlich der funktionalen Immunität hat der Bundesgerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung vom Januar 2021 in § 11 entschieden, dass es keine funktionale Immunität geben kann, wenn eine Straftat nach dem regulären Strafgesetzbuch mit der Begehung eines internationalen Verbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch zusammenfällt. Daher war es nicht zu rechtfertigen, dass der Ankläger die Verfolgung eines Mordes abstrakt ausschloss, als er noch nicht bestätigt hatte, dass es keine ausreichenden Beweise für ein Kriegsverbrechen gab.

Verpasste Gelegenheit

Die Bundesanwaltschaft hat eine wichtige Gelegenheit verpasst, die internationale Strafgerichtsbarkeit in gleicher Weise auf die Opfer von Verbrechen eines mächtigen Akteurs auszuweiten. Die Anwendung doppelter Standards in Bezug auf die Verbindung zu Deutschland durch die Staatsangehörigkeit von Opfern und Angehörigen sowie in Bezug auf innerstaatliche Verfahren untergräbt die ansonsten sehr positiven Entwicklungen und Maßnahmen der Bundesanwaltschaft bei der Verfolgung internationaler Verbrechen in Deutschland. Unabhängig vom möglichen Ergebnis einer strafrechtlichen Untersuchung muss das Verfahren umfassend und diskriminierungsfrei sein und die Rechte der Opfer und ihrer Angehörigen gewährleisten. Leider war dies in diesem Fall nicht der Fall und stellte somit eine verpasste Gelegenheit dar, die internationale Strafgerichtsbarkeit in allen Fällen und Situationen gleichermaßen auf alle anzuwenden, was die Legitimität der Arbeit der Bundesanwaltschaft bei internationalen Verbrechen im Allgemeinen gestärkt hätte.

Kontakt:
PCHR - Raji Sourani, pchr@pchrgaza.org
ECCHR - Maria Bause, presse@ecchr.eu           
Quelle

 

Sehr geehrter Herr Jungkunz,

im Gegensatz zu Ihnen habe ich an der BIP-Konferenz-  Israelis und Palästinenser – Leben unter Diskriminierung und Rechtlosigkeit? – teilgenommen und im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht nur Deutscher, sondern auch Jude und Israeli.

Ich bin von Ihrem Artikel in den Nürnberger Nachrichten mit dem Titel: Was nicht nur Juden umtreibt – Antisemitismus und Israel-Schmähungen, nicht enttäuscht und nicht überrascht. Solche und ähnliche Artikel kenne ich schon seit Jahren. Sie schreiben, ohne dabei gewesen zu sein, sie schreiben, ohne zu wissen, wovon sie schreiben, und sie stellen faktische Behauptungen auf, die nicht nur nicht wahr, sondern regelrecht gelogen sind. Von Israel-Schmähungen war während der ganzen Konferenz keine Rede. Aber bei Ihnen und ihresgleichen ist berechtigte, sachliche und notwendige Kritik an der Politik Israels schon eine Schmähung, wenn nicht gar Antisemitismus. Berechtigte und vom Grundgesetz erlaubte Demonstrationen bezeichnen sie als „antisemitische Demonstrationen“ und sind nicht in der Lage zu sagen was an diesen Demonstrationen antisemitisch sei. Schauen Sie sich doch mal die Fahnendemonstrationen fanatischer israelischer Rassisten am Jerusalem Tag in Jerusalem an, dann werden Sie vielleicht feststellen können, wenn Sie bereit wäre die Scheuklappen, die Sie umgeben wegzuwerfen, was eine antisemitische Demonstration ist. Wobei es hier gegen andere Semiten geht, nämlich gegen die Palästinenser.

Sie schreiben, dass die Zahl antisemitischer Delikte steigt und sie werden häufig verübt „von radikalen Muslimen.“ Das ist auch so eine lächerliche Standartbehauptung, die von Journalisten aufgestellt wird, die zu faul sind zu recherchieren und wo einer vom anderen abschreibt. Abgesehen davon, dass es höchst umstritten ist was an diesen sogenannten „antisemitischen Delikten“ antisemitisch sei, hat doch unlängst der oberste Antisemitismusbeauftragte der Republik, Felix Klein, höchstpersönlich gesagt, dass mehr als 90% der Delikte „Israel bezogener Antisemitismus“ seien. Was ist denn Israel bezogener Antisemitismus? Ist es Judenhass, was der Antisemitismus eigentlich sein sollte, oder ist es „nur“ Kritik an der Politik des Staates Israel? Und selbst die Statistik des Innenministeriums sagt doch, dass der Anteil von Muslime und Emigranten gering ist im Vergleich zum rechten Antisemitismus.

Mich als Jude beunruhigt das ganz und gar nicht. Es gibt Menschen, die die Juden nicht lieben. Es gibt auch Menschen, die wir Juden nicht lieben. Solange es im Privaten bleibt, solange es nur eine Meinung und ein Gedanke ist, solange ist es frei. Gefährlich wird Antisemitismus erst wenn er zur Staatsdoktrin wird und der Staat den Hass und die Verfolgung organisiert.

Ihre Bemerkungen zur „documenta“ zeigen mir, dass Sie auch in diesem Fall nicht genau wissen, worum es geht und leichtfertig und verantwortungslos behaupten, dass das Team, das die Ausstellung diesmal betreut „steht der anti-israelischen Bewegung BDS nahe“. BDS ist eine palästinensische Bewegung, die inzwischen weltweit Anhänger gefunden hat, auch unter sehr vielen Juden in Israel, in den USA und in Europa und wenn diese Bewegung Israel kritisiert und für einen gerechten Frieden und für die Rechte der Palästinenser kämpft, dann gibt es keinen Grund sie als antisemitisch zu diffamieren. Sie und viele Kollegen von Ihnen gehen zu leichtfertig und unverantwortlich mit dem Begriff „Antisemitismus“ um und deshalb hat die Bezeichnung „Antisemit“ kaum noch eine Bedeutung. Wer und was soll noch antisemitisch sein, wenn eine fanatische Zionistin wie Charlotte Knobloch mich, einen Juden und Israeli, der in Israel aufgewachsen ist und dort sogar seinen Armeedienst geleistet hat, einen „berüchtigten Antisemiten“ nennt, weil ich mir die Freiheit und das Recht genommen habe, das Land, für das ich mein Leben riskiert habe, zu kritisieren. Ich hoffe Sie merken selbst wie absurd das alles ist. Und wenn nicht, dann bin ich bereit es Ihnen bei einem Gespräch zu erklären.

Sie schreiben, dass es bei BDS Stimmen gibt, die den Staat Israel in Frage stellen. Das mag sein, aber hauptsächlich stellt BDS die Politik des Staates Israel in Frage und das tun auch viele Israelis und Juden. Sie schreiben, dass „die BDS-nahe Gruppierung BIP“ an diesem Wochenende in Nürnberg tagt.“ Ich war von Freitag bis Sonntag auf der Konferenz und habe alle Redner und Reden verfolgt und habe nicht ein einziges Mal die drei Buchstaben BDS gehört. Keiner der Rednerinnen und Redner hat den palästinensischen Terror verharmlost, allerdings wurde auch der israelische Terror nicht verharmlost. Keiner hat die alleinige Schuld für Gewalt im Nahost bei der israelischen Regierung gesehen, aber es war uns allen klar, dass die israelische Regierung, als die alleinige, die über das Machtmonopol verfügt, einen größeren Anteil an der desolaten und aussichtslosen Lage hat. Nicht die Palästinenser halten israelisches Gebiet besetzt und unterdrücken die Israelis, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus, die Israelis halten palästinensisches Gebiet besetzt und unterdrücken die dort lebende zivile Bevölkerung, rauben ihr Land, ihr Wasser und zerstören ihre Häuser und Plantagen.d

Sie stellen den Bericht von Amnesty International in Frage, der festgestellt hat, dass in Israel und in den besetzten Gebieten Apartheid herrscht. Sie geben selbst zu, dass es „ohne Zweifel Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und Gewalt, die von Israel an Palästinensern verübt wird“ gibt, aber es ist für Sie noch keine Apartheid. Straßen nur für Juden, Gesetze nur für Palästinenser und vieles mehr ist für Sie keine Apartheid. Für Sie bedeutet Apartheid „staatlichen Vorsatz zur Willkür.“ Wenn Sie aber nicht sehen oder sehen wollen, dass es diesen staatlichen Vorsatz gibt und von Anfang an gegeben hat, dann werde ich Sie auch nicht überzeugen können. Aber viele Menschen auf der ganzen Welt, auch Juden und Israelis, glauben das bzw. wissen das.

Und kommen Sie mir nicht mit dem Terror von Organisationen wie der Hamas. Die Hamas ist nicht weniger und nicht mehr terroristisch wie die israelische Regierung, die auch 1000 Kg Bomben über Wohngebiete abwerfen lässt und den Piloten danach Orden erteilt. Es herrscht zwischen der Hamas und Israel ein brutaler Krieg und Sie können nicht sagen, dass die eine Seite Terror betreibt, weil sie sich wehrt und weil sie keine Kampfflugzeuge und Panzer hat, und die andere Seite eine humane Armee ist, wie Israel seine Streitkräfte nennt. Wenn Sie von israelischen Kriegsverbrechen lesen wollen, dann lesen Sie u.a. den UNO-Bericht über den Gaza Krieg von 2018 vom Juden Richard Goldstone.

Und Sie kommen zum banalsten und lächerlichsten Teil ihres Beitrags. Israel-Kritik ist selbstverständlich erlaubt. Wo leben Sie und welche Zeitungen lesen Sie. Nach unserem Grundgesetz ist jede Kritik selbstverständlich erlaubt, aber alle diese Klugscheißer, die immer wieder sagen Israel-Kritik ist erlaubt, gehen doch auf die Barrikaden, wenn irgendwer es sich erlaubt Israel zu kritisieren. Man wird sofort und fast schon automatisch als Antisemit bezeichnet. Ich wurde ja von Charlotte Knobloch deswegen als „berüchtigter Antisemit“ diffamiert und ich musste in Frankfurt drei Mal gegen die Stadt per Einstweiliger Verfügung vorgehen, um einen Vortrag halten zu können. Erst in letzter Zeit hat das Oberste Bayerische Verwaltungsgericht entschieden, dass Städte und Gemeinde nicht das Recht haben Israelkritische Veranstaltungen zu verbieten. Es war aber ein langer Kampf, der viele Jahre gedauert hat und viele Veranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen etc. sind verboten worden. Wenn Sie wollen kann ich Ihnen eine vollständige Liste schicken.

Und noch etwas, lieber Herr Jungkunz: Israel ist nicht die einzige Demokratie in der Nahost-Region. Der Libanon ist auch eine Demokratie, sogar älter als die israelische. Aber der Libanon wird immer ignoriert oder vergessen. Sie schreiben von der Delegitimierung Israels und der Absicht Israel abzuschaffen. Kein Israeli hat Angst davon und ich habe in den Kreisen, die Israels Politik kritisieren auch nichts davon gehört, dass man Israel abschaffen will. Und wenn es einer will, dann können wir alle gut damit leben. In Wirklichkeit ist es doch genau umgekehrt. Nicht die Palästinenser attackieren die Souveränität Israels, sondern Israel erkennt nicht die Existenz eines palästinensischen Staates an. Warum erheben Sie nicht Ihre Stimme gegen eine heuchlerische Politik Ihrer Regierung, die permanent von einer Zwei-Staaten-Lösung spricht, aber nicht bereit ist den „zweiten“ Staat anzuerkennen.

Sie schreiben, dass Israel der Rückzugsort von Juden aus aller Welt sei. Ist das nicht vielleicht eine antisemitische Behauptung? Israel schützt nicht die Juden, sondern umgekehrt, die Juden schützen Israel. Und die Juden selbst werden von den Verfassungen der Staaten, in denen sie leben, geschützt, nicht von Israel. Mich schützt hier das deutsche Grundgesetz und nicht die israelische Armee.

Natürlich braucht es volle Härte gegen antisemitische Hetze und Gewalt. Ich aber sehe nur eine Antisemitismus-Hysterie und keine antisemitische Gewalt. Und wenn auf einer Klotür in einer Uni ein Hakenkreuz geschmiert wurde, dann ist es mit Sicherheit kein Antisemitismus, wie die BILD behauptet hat, sondern eher Vandalismus oder dummer Jungenstreich.

Sie fordern Solidarität mit den in Deutschland lebenden Juden. Ich verzichte auf ihre Solidarität. Wenn Sie wieder Sonderrechte für Juden fordern, dann ist es für mich Antisemitismus. Und wenn Sie Solidarität mit Israel fordern, dann bitte auch Solidarität mit den Juden der Juden, mit den Palästinensern, die nicht zuletzt wegen der deutschen Politik zu Opfern wurden. Wir schulden ihnen auch Hilfe und Unterstützung. Sie dürfen nicht vergessen, dass die von den Nazis vertriebenen Juden ihrerseits die Palästinenser vertrieben haben. Und ich weiß, wovon ich rede, im Gegensatz zu Ihnen. Als meine Eltern mit mir und meinem Bruder 1948 nach Israel eingewandert sind, haben wir eine verlassene arabische Wohnung zugewiesen bekommen, die vollkommen eingerichtet und in der Küche noch die Suppe auf dem Tisch war. Das sind übrigens meine ersten Erinnerungen. Ich war damals dreieinhalb Jahre alt.  Mit freundlichen Grüßen Abraham Melzer

PS: Es ist journalistisch keine Glanzleistung über eine Tagung zu schreiben und zu kritisieren bevor sie begonnen hat.


 

Die imperialen Wurzeln der "Schrumpfung des Konflikts

Lange bevor Israel getrennte Straßennetze errichtete, um die Trennung von Juden und Palästinensern aufrechtzuerhalten, hatten die Briten bereits die Grundlagen dafür geschaffen.

Shira Pinhas 17. Mai 2022

Britische Soldaten räumen eine improvisierte Straßensperre während der arabischen Revolte. (Archiv von Yad Izhak Ben-Zvi)
Britische Soldaten räumen eine improvisierte Straßensperre während der arabischen Revolte. (Archiv Yad Izhak Ben-Zvi)


Im vergangenen Jahr gab es in Israel und im Ausland zahllose Schlagzeilen, die sich auf die Doktrin der "Schrumpfung des Konflikts" bezogen - insbesondere seit der Wahl eines ihrer stärksten Befürworter, Naftali Bennett. Die Idee, die auf den Schriften von Micah Goodman (selbst Bewohner der Siedlung Kfar Adumim im Westjordanland) beruht, besagt, dass der israelisch-palästinensische Konflikt nicht gelöst werden kann und daher effektiver verwaltet werden sollte. Unter dem erklärten Ziel, die Lebensqualität der Palästinenser zu verbessern und die wirtschaftliche Effizienz der Besatzung zu maximieren, schlägt diese Strategie vor, getrennte Freizügigkeitsregelungen für Israelis und Palästinenser einzuführen, um den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung zu minimieren.

Aus verschiedenen wissenschaftlichen Studien geht hervor, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil des täglichen Managements der israelischen Besatzung geworden ist. Die Siedler selbst sind sich dessen sehr wohl bewusst: Die Immobiliengesellschaft "Lev Hahar Yazamut", die Häuser in israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland vermarktet, hat beispielsweise kürzlich eine Kampagne mit dem Titel "Die neuen Pioniere" gestartet, die sich an "Familien richtet, für die Gemeinschaft und Siedlung einen hohen Stellenwert haben, die aber gerne in einem geräumigen Haus mit 197 Quadratmetern und fünf Schlafzimmern leben würden". Die Kampagne enthielt den Imperativ: "Du sollst nicht in einer Siedlung leben, zu der keine Umgehungsstraße führt."

Goodman scheint mit dem Thema gut vertraut zu sein. Der Bau getrennter Straßennetze für Israelis und Palästinenser ist das Herzstück seines Acht-Stufen-Plans zur "Schrumpfung des Konflikts", den er 2019 in The Atlantic veröffentlichte; die erste Stufe trägt den Titel "Keep It Flowing". Indem er sich einen hypothetischen Palästinenser vorstellt, der in Ramallah lebt und seinen Cousin in Nablus besuchen möchte, beschreibt Goodman die ständige Unsicherheit und das Gefühl der Demütigung, das durch Israels Kontrolle über die palästinensischen Verkehrswege entsteht, die nach dem Willen des israelischen Militärs für Palästinenser geöffnet und geschlossen werden.

Die Lösung dieses Problems besteht laut Goodman darin, ein Straßennetz zu errichten, das die verschiedenen Teile des Westjordanlandes unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (d. h. die größeren palästinensischen Städte) miteinander verbindet und die israelischen Siedlungen vollständig umgeht. Laut Goodmans Manifest werden diese neuen Straßen mit separaten Shuttlebussen für Palästinenser aus dem Westjordanland zum Ben-Gurion-Flughafen, einem separaten palästinensischen Terminal in der Bucht von Haifa (unter israelischer Kontrolle) und vielem mehr verbunden.

Goodmans Idee, den Konflikt durch den Bau von Straßen einzudämmen, mag neuartig klingen, doch ihre Ursprünge gehen auf die Art und Weise zurück, wie das britische Empire den Bau ziviler Infrastrukturen nutzte, um den Widerstand in den Kolonien einzudämmen. Der israelische Historiker Reviel Netz hat gezeigt, dass die Briten während des Burenkrieges in Südafrika erstmals Verkehrsinfrastrukturen als Waffe einsetzten. Dreieinhalb Jahrzehnte später setzten die britischen Mandatsbehörden eine ähnliche Initiative in Palästina um, indem sie Umgehungsstraßen bauten, um die von palästinensischen Kämpfern kontrollierten Hauptrouten zu umgehen. Anstatt den zionistisch-palästinensischen Konflikt zu entschärfen, legte diese Initiative jedoch den Grundstein für seine Eskalation.

Eine klare Logik
- Während des arabischen Aufstands (1939-1936), der sich gegen den britischen Kolonialismus und die Fortsetzung der jüdischen Besiedlung Palästinas richtete, verfolgte das britische Empire die Strategie, in ganz Palästina ein Netz neuer Straßen anzulegen, um die von den arabischen Kämpfern kontrollierten Verkehrswege zu umgehen. Der Aufstand, der in der Zeit zwischen den Weltkriegen der größte antikoloniale Aufstand im gesamten britischen Empire war, beinhaltete häufige Angriffe auf britische und zionistische Fahrzeuge sowie die Blockade wichtiger Verkehrswege. Der zentrale Knotenpunkt der Aufständischen befand sich in dem Gebiet zwischen Tulkarem, Nablus und Qalqilya, das die Briten als "Terror-Dreieck" bezeichneten.

Die Lähmung des Verkehrs in diesem Gebiet hatte weitreichende Folgen, denn bis Ende der 1930er Jahre gab es in Palästina nur eine einzige Nord-Süd-Hauptstraße - die heutige Route 60 -, die in Nazareth beginnt, durch Jenin, Nablus und Jerusalem führt und in Be'er Sheva/Bir as-Saba' endet. Die Lahmlegung des Verkehrs auf dieser Straße ermöglichte es den Aufständischen, den Verkehr im ganzen Land zum Erliegen zu bringen.

Die Notwendigkeit für das britische Militär, die Hochburgen der Rebellen zu umgehen, wurde in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zum zentralen Anstoß für eine groß angelegte Straßenbauinitiative in ganz Palästina - die größte Kampagne dieser Art in der Geschichte des Landes. Im Rahmen des Militärstraßenprogramms wurden 840 Straßenkilometer asphaltiert - etwa ein Drittel aller Straßen, die in den Jahren der britischen Herrschaft, die 1920 begann und 1948 mit der Gründung des Staates Israel endete, asphaltiert wurden.

Die wichtigste Straße, die zur Umgehung von Jenin und Tulkarm asphaltiert wurde, war die Straße Jaffa-Haifa, die heute als Route 4 bekannt ist. Ihr Bau begann bereits 1927 und ging ein ganzes Jahrzehnt lang langsam voran - manchmal nur wenige Kilometer oder sogar nur einige hundert Meter pro Jahr - trotz des erheblichen Drucks jüdischer Siedlungen und zionistischer Organisationen, die auf die Fertigstellung der Straße drängten. Der Grund dafür war, dass Großbritannien bereits eine parallele Eisenbahnlinie gebaut hatte und nicht daran interessiert war, eine Straße zu bauen, die mit der eigenen Eisenbahn konkurrieren und die Einnahmen schmälern würde. Mit dem Ausbruch des Aufstands wurde der Bedarf an einer alternativen Straße jedoch immer dringender, und die Briten beschleunigten das Tempo: Die restlichen 79 Kilometer der Straße wurden bis September 1937 fertiggestellt, wobei die letzten 25 Kilometer in einer Rekordzeit von 45 Tagen asphaltiert wurden.

Die Jaffa-Haifa-Straße als "Umgehungsstraße" zu bezeichnen, klingt rückblickend etwas seltsam, zumal eine Autobahn, die zwei der größten Städte des Landes verbindet, sowohl natürlich als auch wünschenswert erscheint. Aber bis Ende der 1930er Jahre gab es nur wenige jüdische Siedlungen unter den palästinensischen Dörfern entlang der Küste Palästinas, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass die britischen Behörden das Gebiet als nichts weiter als trostlose Sümpfe betrachteten. In den Augen der Briten bestand die Bedeutung des Baus einer solchen Straße darin, Zitrusfrüchte von den Obstplantagen in der Küstenebene zum Export in den Hafen von Haifa zu transportieren; die Behörden gingen sogar so weit, den Bau weiterer Straßen von der Ausweitung des Zitrusanbaus abhängig zu machen.

Neben der Straße von Jaffa nach Haifa legten die Briten eine Reihe weiterer wichtiger Umgehungsstraßen von West nach Ost an, darunter die Straße von Hadera nach Afula, die heute als "Wadi 'Ara Road" bekannt ist, und die Straße von Zichron Ya'akov nach Yokneam, die als "Wadi Milk Road" bekannt ist. Die Logik, die diesen Umgehungsstraßen zugrunde lag, war den Menschen der damaligen Zeit vollkommen klar. So schrieb Davar, die mit der zionistischen Arbeiterorganisation Histadrut verbundene Zeitung, anlässlich des Baus der Wadi-Ara-Straße: "Die neue Straße Hadera-Afula wird es ermöglichen, die Straße zwischen Samaria und dem Jesreel-Tal zu überqueren, ohne die Straßen von Tulkarm und Dschenin benutzen zu müssen. Diese zentralen Straßen können einen normalen Verkehr ohne die Störungen versprechen, die wir in den Tagen der Gewalt erlebt haben".

Gescheiterte imperiale Taktik
- Das Straßennetz, das in den 1930er Jahren in ganz Palästina asphaltiert wurde, war nicht nur eine Ansammlung kleinerer Straßen. Zusammen schufen sie eine kritische Masse, die zum ersten Mal bestimmte Gebiete des Landes als "arabisch" oder "jüdisch" kennzeichnete und zur Benennung von "jüdischen Straßen" und "arabischen Straßen" führte, wie sie in dieser Zeit genannt wurden. Das Netz schuf auch zum ersten Mal eine jüdische Enklave entlang der Küstenebene, in der man sich bewegen konnte, ohne einen einzigen arabischen Ort zu passieren, und legte damit den Grundstein für ein eigenes jüdisches Gebiet im Land.

Es ist kein Zufall, dass der Bau dieser Straßen im Jahr 1937 abgeschlossen wurde. In diesem Jahr veröffentlichte die Peel-Kommission, die die Gründe für den Ausbruch des arabischen Aufstands untersuchen sollte, ihre Empfehlungen, die unter anderem die Abschaffung des britischen Mandats und dessen Ersetzung durch zwei souveräne Staaten - einen arabischen und einen jüdischen - vorsahen. Es war das erste Mal, dass ein britischer Beamter die Teilung Palästinas empfahl. Warum genau war 1937 das Jahr, in dem eine Teilung möglich wurde?

Mit dem Bau der Straße Jaffa-Haifa, die in jenem Jahr fertig gestellt wurde und als zentrale Verkehrsader des geplanten jüdischen Staates dienen sollte, sowie mit Straßen, die die jüdischen Siedlungen im Jesreel-Tal mit der Küstenebene verbanden, wurde zum ersten Mal eine praktikable Trennung zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil des Landes geschaffen. Diese räumliche Trennung ermöglichte die Fortsetzung der zionistischen Besiedlung trotz des palästinensischen Widerstands.

Der Vorschlag der Peel-Kommission zur Teilung des Landes, der der Position der arabisch-palästinensischen politischen Führung zuwiderlief, führte nicht zu einer Lösung oder zur Niederschlagung des Aufstandes. Etwa zwei Monate nach der Veröffentlichung des Peel-Plans flammte der Aufstand mit voller Wucht wieder auf, bis er 1939 von der britischen Armee in Zusammenarbeit mit den militärischen und geheimdienstlichen Kräften der Haganah, der paramilitärischen Organisation der Zionisten, niedergeschlagen wurde.

Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen dem Straßenbauplan des britischen Militärs und dem von Goodman. Während Großbritannien die Infrastruktur als reine Kampfstrategie einsetzt, wollen Goodman und seine Unterstützer die Lebensqualität der Palästinenser in den besetzten Gebieten verbessern, indem sie ihre Wirtschaft ankurbeln und die Demütigung, die sie durch die Besatzung erfahren, verringern. In einem kürzlichen Interview erklärte Premierminister Naftali Bennett, er unterstütze die Idee der "Schrumpfung des Konflikts" und sagte, dies werde "mehr Bewegung, mehr Lebensqualität, mehr Geschäfte, mehr Industrie" ermöglichen.

Die Annahmen, die den Ideen von Goodman und Bennett zugrunde liegen, sind jedoch ihrem historischen Ursprung sehr ähnlich. Erstens betrachten sowohl der Plan von Goodman/Bennett als auch der britische Plan die Palästinenser als ein Objekt, das verwaltet werden muss, und nicht als Subjekte, die man direkt ansprechen kann. Zweitens versuchen beide, den Kampf um dieses Land auszuschalten, indem sie ihn als unpolitisches Infrastrukturthema darstellen, dessen tatsächliches Ergebnis die räumliche Trennung zwischen Arabern und Juden ist. Während diese Trennung ein unbeabsichtigtes Ergebnis des von der britischen Regierung errichteten Straßennetzes war, wurde die "Schrumpfung des Konflikts" zur erklärten Agenda der gegenwärtigen israelischen Regierung, mit dem Ziel, Israels Kontrolle über das gesamte Land zwischen dem Fluss und dem Meer aufrechtzuerhalten.

Goodmans Idee, wonach "die Lösung [der Besatzung und des Widerstands gegen diese Besatzung] weder strategisch noch politisch, sondern infrastrukturell ist", ist in Wirklichkeit eine gescheiterte imperiale Taktik, die über 100 Jahre alt ist. Der palästinensische Widerstand gegen die zionistische Besiedlung ist damals nicht verschwunden, und er wird auch heute nicht verschwinden. In einer Zeit, in der Menschenrechtsorganisationen zunehmend die palästinensische Behauptung anerkennen, dass Israel ein Apartheidregime zwischen dem Fluss und dem Meer aufrechterhält, ist es wichtig, die imperialen Ursprünge des räumlichen Trennungsregimes anzuerkennen und klarzustellen, wer die Leute sind, die es heute weiter vorantreiben.         Quelle

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