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Israelische Überwachung und das Ende der Politik, wie wir sie kennen

Der Pegasus-Skandal zeigte, dass Israels Kritiker und ihre Verbündeten kein Recht weiterhin auf Privatsphäre haben.

 Haythem Guesmi - 6. Okt 2021

Im Juni 2020 fand sich die langjährige arabische Journalistin von Al Jazeera, Ghada Oueiss, inmitten eines Sturms der sozialen Medien wieder, nachdem ihr Telefon gehackt wurde und ein privates Foto von ihr im Badeanzug online veröffentlicht worden war.

Ein Netzwerk von Twitter-Accounts brachte schnell das Foto in Umlauf. Man behauptete, es sei im Haus ihres Chefs aufgenommen worden – ein unverhohlener Versuch, ihre journalistische Arbeit zu unterminieren und sie einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen. “Ich hatte noch nie so etwas gesehen bis dahin“, schrieb sie über ihre Tortur in einem Kommentar für die Washington Post im Juli 2020. “Was ich las, machte mich wütend, ich war schockiert und besorgt.”

Oueiss ist nur eine von vielen Journalisten, die diesen Hackerangriffen in der MENA-Region in den letzten Jahren ausgeliefert waren.

Neue Überwachungstechnologien machten diese Angriffe so allgegenwärtig, dass nicht nur prominente Journalisten sondern viele weitere Persönlichkeiten und Privatpersonen nun mit der Furcht leben, dass ihre Daten gestohlen wurden und online geteilt werden, um ihrer Reputation und Karriere zu schaden.

Im Juli dieses Jahr enthüllte zum Beispiel eine Untersuchung eines Konsortiums der Medienorganisationen, dass diese Software, die die israelische NSO-Gruppe, bekannt als Pegasus, produziert hat, von autoritären Regimen eingesetzt wurde, um Handys von Politikern, Journalisten, Adeligen, Aktivisten, Geschäftsleuten und Dissidenten weltweit zu hacken. Oueiss Handy wurde, wie sich herausstellte, auch mit dieser Software infiziert.

Die Pegasus-Software ist so anspruchsvoll, dass es ein iPhone oder ein Android-Gerät infizieren kann, sogar ohne dass der Eigentümer des Geräts auf einen manipulierten Link klickt. Die Software kann dann Nachrichten, Passwörter, Fotos, Internetsuche und weitere Daten sammeln. Sie kann auch die Kontrolle über die Kamera und das Mikrophon des Handys ergreifen und es in ein Überwachungsgerät verwandeln.

Ebenfalls im Juli enthüllte das in Kanada ansässige Citizen Lab, eine Organisation, die illegale Überwachung und Hacker aufspürt, die Teil des Konsortiums war, dass den Pegasus-Skandal aufdeckte, dass die von einer anderen israelischen Firma entwickelte Software, Candiru, ebenfalls eingesetzt wurde, um Handys und Komputer von Journalisten und Dissidenten in 10 Ländern auszuspionieren.

Sowohl die NSO- Gruppe als auch Candiru bestehen darauf, dass ihre Spionagesoftware für den Einsatz gegen Kriminelle und „Terroristen“ bestimmt ist. Sie sagen, sie verkauften die Technologie nur an Regierungen. Sie behaupten auch, dass sie ihre Produkte an ausländische Regierungen nur mit der Billigung und Unterstützung der israelischen Behörden verkaufen.

Es ist kein Zufall, dass Israel die Heimat von zwei der führenden Technologiefirmen ist, die höchst invasive Spionagesoftware heutzutage produzieren. Vor allem hat der israelische Staat jahrzehntelang Palästinenser als Versuchskaninchen missbraucht, um seine Überwachungstechnologien zu perfektionieren. Es hat zum Beispiel lange die modernste Gesichterkennungs-Software an den Kontrollpunkten eingesetzt, um die Palästinenser in der Westbank zu erfassen. Gemäß dem Citizen Lab rekrutieren die NSO-Gruppe und Candiru ihre Mitarbeiter aus den Reihen von Israels Geheimdiensten.

Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb Israel ein Weltführer bei der Überwachungstechnologie-Produktion ist: Der israelische Staat ist nicht daran interessiert, dass seine Überwachungsindustrie zur Rechenschaft für seine Exzesse gezogen wird.  Sogar nach dem Pegasus-Skandal, der dazu führte, dass mehrere NGOs die Kontrolle der israelischen Überwachungsindustrie fordern, weist nichts daraufhin, dass Firmen wie die NSO-Gruppe und Candiru mit irgendwelchen Sanktionen oder einer ernsthaften Untersuchung konfrontiert sind, weil sie ihre Produkte an autoritäre, korrupte und sogar gewalttätige Regierungen verkaufen und weil sie das Leben, die Lebensgrundlage und die Reputationen von Zehntausenden von Journalisten, Politikern, Aktivisten und Dissidenten gefährden.

Internationale Institutionen und globale Mächte sind auch nicht daran interessiert, Druck auf Israel auszuüben, um seine mächtige Überwachungsindustrie in Schach zu halten oder rechtliche Schritte gegen diese israelischen Technologiefirmen einzuleiten. In der Tat drückten unmittelbar nach dem Pegasus-Skandal die Vereinten Nationen und die Europäische Union ihre Besorgnis über die Pegasus-Spionagesoftware aus, aber versäumten es, ein Gerichtsverfahren gegen die Firma, die sie entwickelt und verkauft hatte, einzuleiten.

Die fehlende Rechenschaftspflicht, die im Zusammenhang mit Israels Überwachungsindustrie steht, ist eine Bedrohung für den unabhängigen Journalismus, politische Partizipation undu Aktivismus weltweit, vor allem in der MENA-Region.

Da Pegasus und andere militärische Spionage-Software, die von Israels Überwachungsindustrie produziert wird, Smartphones und Komputer in Überwachungsgeräte verwandeln, werden sich Aktivisten, Politiker und Journalisten in der gesamten arabischen Welt bewusst, dass jedes private Foto, das sie aufnehmen, jedes Telefongespräch, das sie führen und jede Nachricht, die sie senden, eines Tages gegen sie verwendet werden kann. Das gilt besonders für diejenigen, die Kritik an Israels genozider Politik gegenüber den Palästinensern äußern oder für diejenigen, die Stellung gegen die vielen Verstöße Israels gegen Menschenrechte und das Völkerrecht und dessen mächtigen Verbündeten beziehen.

Das ist keineswegs eine Paranoia oder Übertreibung. Israel hat jahrzehntelang Palästinenser ausspioniert und erpresst, die sich gegen Besatzung und Unterdrückung aufgelehnt haben. Es hat sogar versucht, seine engsten Verbündeten, darunter, wie das Nachrichtenmagazin Politico 2019 enthüllte, die Trump-Regierung in Washington, auszuspionieren. Israel verschaffte Regierungen, die seine außenpolitischen Ambitionen unterstützen, Technologien, die ihnen ermöglicht, Dissidenten, Rechtsaktivisten und politische Gegner auszuspionieren.

Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Apartheidstaat sämtliche Spionage-Software einsetzt und auch weiterhin einsetzen wird, die ihm zur Verfügung steht, um Daten zu sammeln und weiterhin Aktivisten, Politiker und sogar Bürger zu erpressen, die gegen seine Interessen handeln und sprechen. Was mit Oueiss und vielen anderen pro-palästinensischen Arabern geschah, wird zu einer Standard-Taktik werden, die gegen zukünftige Generationen von MENA-Politikern und Aktivisten, die Israels Politik kritisch gegenüberstehen, eingesetzt wird.

Einige mögen behaupten, für diejenigen, die „nichts zu verbergen haben“ oder jene, die nichts Unrechtest tun“, wäre nichts zu befürchten. Aber etwas muss nicht „falsch“ sein, um politischen und sozialen Schaden anzurichten. Wie wir im Fall von Oueiss sehen konnten, kann so etwas Harmloses wie ein Foto im Badeanzug durch diejenigen, die jemandem Schaden zufügen wollen, leicht zu etwas bedeutend Schlimmeres werden. Wie es bei vielen anderen Maßnahmen in der Region der Fall ist, so geht es auch hier darum, Furcht zu verbreiten.

Israels wachsendes Überwachungsempire, das nicht nur Israel dient, sondern auch seinen Verbündeten, bedeutet, dass Politiker, Aktivisten und Journalisten in der MENA-Region nicht länger ihren Job und ihre öffentliche Rolle von ihrem Privatleben trennen können.

Es bedeutet, dass junge arabische Politiker und Aktivisten mit einer beunruhigenden Wahl konfrontiert sind: sie werden sich entweder selbst zensieren und zu Israels zahlreichen Verbrechen schweigen, um sich selbst und ihre Lieben vor furchtbaren Hackerangriffen und Lecks zu schützen, oder sie werden ihr Recht auf eine online-Privatsphäre und die Nutzung von Diensten und Produkten aufgeben, die für das moderne Leben sowie den politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivismus von zentraler Bedeutung sind, und das nur, um ihre Arbeit ohne Furcht vor israelischer Erpressung fortzusetzen. Pegasus und zweifellos weitere israelische Spionage-Software, von der wir noch nichts gehört haben, haben unsere Handys und Komputer in Überwachungsgeräte im Dienste des israelischen Staates und dessen Verbündeten verwandelt.

Es gibt wenig Hoffnung, dass die internationale Gemeinschaft agieren wird, um die israelische Überwachungsindustrie in naher Zukunft zu regulieren. Als Ergebnis werden Politiker, Aktivisten und Journalisten in dem MENA-Gebiet gezwungen, zu akzeptieren, dass sie nicht länger ein Recht auf Privatsphäre haben. Das wir nicht nur den Beginn eines noch düsteren Kapitels für unsere Region kennzeichnen, sondern auch das Ende der Politik, wie wir sie bisher kannten.   Quelle     (übersetzt von Inga Gelsdorf)

Souk Al-Harajah ist eine jährliche Tradition, die von der Stadtverwaltung Ramallah organisiert wird und auf der traditionelle palästinensische Handwerker und Kunsthandwerker aus dem palästinensischen Erbe vertreten sind.

Quelle Facebook - um die Bilder zu vergrößern auf das Bild klicken


 

Helga Baumgarten: Kein Frieden für Palästina
Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstand.

Der Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech ist BIP-Gründungsmitglied. In dieser Woche veröffentlichen wir seine Rezension des neuen Buches von Prof. Dr. Helga Baumgarten, „Kein Frieden für Palästina – Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstand“, das im Herbst dieses Jahres im ProMedia Verlag erschienen ist.

Helga Baumgarten:
Kein Frieden für Palästina
Krieg in Gaza, Besatzung und Widerstand

Promedia Verlagsges.
 ISBN 978-3-85371-496-6


Das Buch kann in jeder Buchhandlung oder beim Promedia Verlag bestellt werden, gerne auch in der Buchhandlung unseres BIP-Mitgliedes Eberhard Hirschler: buchhandlung.hirschler@singstiftung.de Online–Buchhandlung Otterstadt
06232-2890098 mobil 0171 - 4148713
Verlag Stiftung Hirschler Frankenstr. 2, 67166 Otterstadt
Der Gewinn durch Ihren Buchkauf geht zu 100% an die Stiftung und damit auch an die ev. Schulen und Kitas in Palästina.

Was wir gemeinhin als „Nahostkonflikt“ bezeichnen, ist schlicht ein großes Verbrechen. Es wird treffender mit Siedlerkolonialismus, ethnischer Säuberung, Apartheid und permanentem Krieg umschrieben. Wem aber bei diesen Begriffen eher der Vorwurf der Einseitigkeit und des Antisemitismus als das Eingeständnis der verweigerten Mitverantwortung in den Sinn kommt, der lese dieses Buch von Helga Baumgarten. Die Autorin war von 1993 bis 2020 Dozentin an der Birzeit Universität in Palästina und kennt die historische Entwicklung und aktuelle Zuspitzung dieses langen Krieges aus ihrer langjährigen Arbeit vor Ort. Es gibt immer nur eine Wahrheit, aber immer mehrere Perspektiven und Interpretationen, die je für sich den Anspruch auf Wahrheit erheben. Die Perspektive dieses Buches ist die der Palästinenser, die die Autorin authentisch vertreten kann. Sie ist daher unbeschwert von den Lasten der deutschen Erinnerungskultur, die erst jede Aussage in den Untiefen unserer Geschichte prüfen muss, bevor sie sie in die Öffentlichkeit entlässt.

Die Darstellung geht in fünf Kapiteln den Weg der Auseinandersetzung zwischen Juden und Palästinensern von der Gründung des israelischen Staates 1948 über die Okkupation des Westjordanlandes und des Gazastreifens 1967, die erste Intifada 1987 und den Oslo-Prozess seit 1993, die zweite Intifada, die Wahlen zwischen 2004 und 2006 mit dem Aufstieg der Hamas bis zum anschließenden langen Krieg gegen Gaza bis heute. Die Autorin hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen für die Palästinenserinnen und Palästinenser so bitteren Weg, die unstreitigen Fakten der Besatzung, von dem Filter des „Existenzrechts Israels“ und der „besonderen Verantwortung Deutschlands“ zu befreien und als das zu zeigen, was sie sind: permanente Gewalt und Krieg. Die Gewalt der Palästinenser, die Selbstmordattentate und Raketen, sind immer nur die Antwort auf diese allgegenwärtige, ständig provozierende Gewalt der Besatzung.

So im Mai 2021, mit dem das Buch beginnt. Die willkürliche Schließung des Damaskus-Tores, die konstanten Provokationen auf dem Haram-Ash-Scharif während des Ramadan und die drohende Vertreibung palästinensischer Familien im Stadtteil Scheikh Jarrah waren der Anfang. Sie führten zu einer Eskalation der Spannungen und veranlassten schließlich die Hamas, Israel ein Ultimatum zu stellen, die Gewalt zu stoppen, den Haram zu verlassen und die Vertreibung der Familien zu unterlassen. Erst als die Regierung das Ultimatum zurückwies, wurde am 10. Mai aus Gaza geschossen. Die Reaktion war furchtbar und absolut unverhältnismäßig. Ohne Rücksicht auf Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen und Moscheen wurde Gaza wieder in ein Trümmerfeld verwandelt: über 250 Tote, fast 200 Verletzte. Der maßlose Angriff basierte auf der sog. Dahiya-Doktrin, die General Eisenkot im Libanon-Krieg entwickelt hatte und seitdem die Exzesse aller Kriege seit 2008/2009 bestimmte. Sie fordert die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, um ihre Nutzung durch zivile Militante zu verhindern. In Verbindung mit der seit 1986 gültigen sog. Hannibal-Direktive, die es den israelischen Soldaten erlaubt, bei einem Verdacht auf Entführung oder Tötung eines Soldaten alles rigoros zu zerstören, was im Wege steht und jeden zu erschießen, der sich ihnen entgegenstellt, ist dies ein System, welches nicht nur die Autorin zurecht als Staatsterror bezeichnet.

Bereits Jeff Halper hat in Counterpunch 2014 darauf hingewiesen, dass in all diesen Kriegen das Völkerrecht nicht nur keine Rolle spielt, sondern bewusst verletzt wird, und Helga Baumgarten betont: Die Palästinenser werden gleichsam als Versuchskaninchen der „Anpassung“ des Völkerrechts an die israelische Kriegspraxis und der Befreiung von allen Restriktionen des humanitären Völkerrechts benutzt, um gleichzeitig jeglichen Widerstand zu delegitimieren. Diese Art des „lawfare“ umschreibt David Reisner in der Rechtsabteilung   mehr >>>

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Richard Falks Weg zur "positiven öffentlichen Bekanntheit"

Das Leben eines Bürgerpilgers

7. 10.  2021

Richard Falk gilt allgemein als einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet des Völkerrechts. Dennoch sind seine Ansichten1 nicht nur in den Kreisen des Establishments, sondern sogar bei den meisten Linksliberalen nicht willkommen. Einst war er der Liebling der Liberalen, jemand, dessen Ansichten links der Mitte als wichtig angesehen wurden, um in Debatten, Seminaren und Fernsehsendungen ein "Gleichgewicht" zwischen konservativen und zentristischen Ansichten herzustellen. Er war, kurz gesagt, einer der beliebtesten Kritiker des Establishments an der amerikanischen Außenpolitik. Das heißt, bis er mehrere rote Linien überschritt. Die folgenreichste dieser roten Linien war der Wechsel von einer abstrakten juristischen Kritik an Israels Politik im Nahen Osten zu einer aktiven Sympathie für den Kampf des palästinensischen Volkes, insbesondere als er die Frechheit besaß, Israels grundlegende Strategie der Staatsführung beim Namen zu nennen: "Apartheid".

Die Bête Noire der zionistischen Lobby -
Dann ging die zionistische Lobby mit aller Härte gegen ihn vor und versuchte, seinen Ruf systematisch zu zerstören, indem sie ihn als "selbsthassenden Juden" und als ideologischen, wenn nicht gar klinischen Ausreißer darstellte, indem sie seine Standpunkte zu Ereignissen wie der iranischen Revolution verdrehte, die sie böswillig als Unterstützung für eine islamische Theokratie darzustellen versuchte. Als das nicht funktionierte, führten sie eine stille, aber wirksame Kampagne unter den politischen und ideologischen Machthabern, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, seine Ansichten in den liberalen Medien zu verbreiten. Die bissige Flüsterkampagne gegen Falk war ein Lehrstück dafür, wie die Macht Herausforderungen an ihre Hegemonie durch Vernunft im Dienste einer gerechten Sache zum Entgleisen bringen kann.

Und doch hat gerade der Einsatz politischer und ideologischer Macht, um den Zugang zur Öffentlichkeit zu beschränken, die Attraktivität von Falks Ansichten gezeigt. Wie die meisten Zensurbemühungen hat die zionistische Kampagne letztlich die Ideen popularisiert, die sie zu diskreditieren versuchte. Heute ist die Charakterisierung Israels als Apartheidstaat verbreiteter denn je, was Israels Legitimität in der Völkergemeinschaft weiter untergräbt und es mehr denn je von der militärischen Unterstützung seines Schutzherrn, der Vereinigten Staaten, abhängig macht, vom Einsatz wahlloser brutaler Gewalt, auch gegen Kinder, und vom Rückgriff auf die Ermordung islamischer Führer und Wissenschaftler als wichtigstes Mittel der Außenpolitik. Der Versuch, Falk und andere pro-palästinensische Stimmen, wie Phyllis Bennis, die brillante Kollegin, mit der er eng zusammengearbeitet hat, zum Schweigen zu bringen, hat seiner Charakterisierung Israels als Schurkenstaat nur noch mehr Glaubwürdigkeit verliehen.

Das Gleichgewicht des Kampfes zwischen brutaler Macht und Vernunft im Dienste der Gerechtigkeit bewertet Falk in seinem Resümee über seine Tätigkeit als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete:

Während dieser sechs Jahre habe ich mich oft gefragt: "War es das wert?", und meine Antwort lautete: "Ja, aber..." Ich interessierte mich weniger für die persönlichen Kosten, die mit der Karriere und einigen Freundschaften verbunden waren, als für die Frage, ob ich tatsächlich irgendeinen Beitrag zum Kampf der Palästinenser für ihre völkerrechtlichen Rechte und, was noch existenzieller ist, zur Ermächtigung und Emanzipation Palästinas von einer langen Periode kollektiver Viktimisierung geleistet habe. In dieser Frage fiel mein Fazit gemischt aus. Ich hatte den Eindruck, dass sich die palästinensische Realität vor Ort im Laufe meiner Amtszeit verschlechtert hatte und die Chancen auf einen gerechten und dauerhaften Frieden auf dem Verhandlungswege fast verschwunden waren. In dieser Hinsicht scheinen meine Bemühungen als Sonderberichterstatter nichts dazu beigetragen zu haben, diese israelischen Verhaltenstendenzen zum Nachteil der palästinensischen Perspektiven umzukehren.

Doch auf der Ebene des öffentlichen Diskurses, der zur Meinungsbildung in der Welt beiträgt, hatten meine Bemühungen meines Erachtens eine gewisse Wirkung, indem sie die wahre Natur dessen, was in diesen äußerst umstrittenen Umständen auf dem Spiel stand, wo die Geopolitik die elementare Gerechtigkeit auf grausame Weise vereitelte, deutlich machten. Der öffentliche Diskurs ist in einer solchen Situation ein entscheidender Ort des Kampfes, an dem Ideen, Bilder und Sprache Einfluss ausüben und schließlich das Kräftegleichgewicht in einer Weise verändern, die schwer zu messen und zu erkennen ist, aber oft entscheidend für die politischen Ergebnisse zu sein scheint... Ich hatte das Gefühl, dass ich gute Arbeit geleistet hatte, als das Weizmann-Institut in Los Angeles mich 2013 auf seiner Liste der zehn gefährlichsten Antisemiten der Welt an dritter Stelle aufführte. Ich lag nur hinter dem Obersten Führer des Iran und dem türkischen Premierminister Erdogan.
 

Die Listen des "Simon Wiesenthal Center" mit den angeblichen jeweils zehn gefährlichsten "Antisemiten"


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Falks Kampf mit der zionistischen Lobby steht im Mittelpunkt dieser bemerkenswerten Memoiren eines der renommiertesten zivilgesellschaftlichen Aktivisten unserer Zeit, dessen Karriere den Vietnamkrieg, den Aufstieg der Umweltbewegung, den Kampf gegen Diktatoren wie Marcos, die islamische Revolution im Iran, die massive US-Intervention im Nahen Osten unter G.W. Bush, den Aufstieg der Rechtsextremen sowohl im globalen Norden als auch im globalen Süden und die Klimakrise umfasste. Wie eine Motte, die vom Licht angezogen wird, war Falk an den meisten brennenden Fragen der letzten sechzig Jahre beteiligt, als gefragter engagierter Wissenschaftler und engagierter Aktivist, der der Macht die Wahrheit sagt. Man kann fast sagen, dass Falk immer dann, wenn es Ungerechtigkeit gab, nur schwer widerstehen konnte, sie zu bekämpfen. Oder wie er es ausdrückt: Die Kontroverse suchte ihn und er konnte ihre Einladung nicht ausschlagen: "In gewissem Maße habe ich darauf gewartet, gefragt zu werden, bevor ich mich in diese kontroversen Themen der Zeit, insbesondere Israel/Palästina, vertieft habe. Ich war nicht auf der Suche nach Kontroversen und mochte es generell nicht, in der Öffentlichkeit zu stehen. Gleichzeitig hatte ich Angst, Angst zu haben, und wenn ich gefragt oder eingeladen wurde, habe ich fast immer zugestimmt.


Aufwachsen in der oberen Mittelschicht
- Wie kam es, dass ein Akademiker aus Princeton, der innerhalb des liberalen Establishments erfolgreich sein sollte, zum Außenseiter wurde? Falk geht zurück in seine Kindheit, um nach psychologischen und soziologischen Gründen zu suchen, die ihn für die Situation der Unterdrückten und Verdrängten empfänglich gemacht haben könnten. Das Fehlen einer fürsorglichen Mutter, so spekuliert er, könnte ein Faktor gewesen sein, zusammen mit einer pubertären Unzufriedenheit mit den konventionellen antikommunistischen Vorurteilen, die mit der Zuneigung einhergingen, die ihm von einem fürsorglichen Vater entgegengebracht wurde. Ein weiterer wichtiger Faktor war seine Freundschaft mit einem talentierten schwulen schwarzen Diener in einem Haushalt der oberen Mittelschicht in der Upper West Side von Manhattan, in dem er aufwuchs, die es ihm ermöglichte, die Einstellungen der Weißen der oberen und oberen Mittelschicht als die Vorurteile zu erkennen, die sie waren. Die geisteswissenschaftliche Ausbildung an der University of Pennsylvania vermittelte ihm eine liberale Sensibilität, die durch ein werteorientiertes Rechtsverständnis verstärkt wurde, das er als Student an der Yale Law School in den frühen 1950er Jahren unter dem berühmten Myres McDougall verinnerlichte. Als er Yale verließ, schien es, als sei er dazu bestimmt, in das angenehme Gefängnis eines milden Linksliberalismus eingesperrt zu werden, der zwar die private Äußerung eher linker Ansichten zuließ, aber öffentliche Abweichungen von der herrschenden Ideologie ablehnte, als er zunächst an der Ohio State University und dann in Princeton lehrte.

Vietnam
- In Princeton brach Mitte der sechziger Jahre der Vietnamkrieg in sein Leben ein, wie bei vielen anderen auch, und machte ihn zunächst zu einem akademischen Kritiker des Krieges, der sich auf die völkerrechtliche Kritik an der US-Aggression spezialisierte, und dann zu einem Aktivisten, der über die liberale Position hinausging, den Krieg aus der Perspektive der "wahren" geopolitischen Interessen Washingtons als grundsätzlich falschen Krieg zu betrachten, und zu einem aktiven Sympathisanten der Sache der nationalen Befreiung wurde, für die die Vietnamesen kämpften. Kriegsbesuche in Hanoi, wo er sowohl das Leid als auch die Entschlossenheit der Vietnamesen aus erster Hand miterlebte, ließen ihn die Vietnamesen als Menschen sehen und den Krieg aufgrund dessen, was er diesen Menschen antat, als falsch ansehen und nicht nur als einen "Fehler", von dem die USA unter Inkaufnahme weiterer amerikanischer Todesopfer befreit werden mussten.

Geist, Herz, Seele, Freunde und Rivalen - Falk schildert seinen Weg von einem linksliberalen Kritiker der US-Politik zu einem progressiven Menschen, der sich mit den Anliegen der Opfer identifiziert, als eine Wandlung, die nicht nur durch den Verstand, sondern auch durch Herz und Seele erfolgte, als er sich einer Sache nach der anderen annahm, zu der er eingeladen wurde. Hinzu kam natürlich der Einfluss von Persönlichkeiten, mit denen er zusammenarbeitete oder denen er auf seinem Weg begegnete. In seinen Memoiren findet sich ein wahres "Who is Who" von Aktivisten der Zivilgesellschaft, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen haben, darunter Edward Said, Eqbal Ahmad, William Sloan Coffin, Yoshikazu Sakamoto, Daniel Ellsberg, Cora Weiss, Saul Mendlovitz, Noam Chomsky und Ramsey Clark. Bezeichnend ist der Mangel an politischen Führungspersönlichkeiten, zu denen er gute Beziehungen aufgebaut hat. Eine der Ausnahmen ist Ahmet Davutoglu, ein umstrittener ehemaliger Premierminister der Türkei. Berühmte Persönlichkeiten, die er wirklich bewundert, gibt es ebenso wenige, eine davon ist Nelson Mandela, der bei Falks kurzer Begegnung mit ihm eine "moralische Ausstrahlung" ausstrahlte.

Als Verfechter von Ansichten, die als ultra-progressiv galten, geriet Falk in Talkshows mit Leuten aneinander, die er abschätzig als die "Trapezkünstler" der Rechten bezeichnet, wie Megyn Kelly, Alan Dershowitz und Bill O'Reilly, Erfahrungen, die er als nahezu nutzlose Fechtkämpfe mit Neandertalern ansieht. Falks Seiten sind auch von Persönlichkeiten bevölkert, mit denen er heftige Meinungsverschiedenheiten hatte, wie z. B. dem ehemaligen JFK- und LBJ-Berater William Bundy, der versuchte, seinen Widerstand gegen seine Ernennung zum Herausgeber von Foreign Affairs, dem außenpolitischen Organ des Establishments, mit der Aussage zu erkaufen, Falks Artikel würden auf den Seiten dieser Zeitschrift weiterhin willkommen sein.

Falk ist instinktiv ein fairer und großzügiger Mensch, der darauf achtet, seine Gegner nicht in Schwarz-Weiß-Malerei darzustellen. Sogar Donald Trump, den er sonst verteufelt, wird zugestanden, dass er zu einer leichten Verringerung der Spannungen im Kalten Krieg beigetragen hat, indem er beispielsweise Nordkoreas Kim Jong Un die Hand reichte, obwohl Falk sich in diesen Ausnahmefällen fragt, ob Trump wirklich wusste, was er tat. Es gibt eine Ausnahme von seiner Großzügigkeit: eine "reaktionäre" Princeton-Akademikerin, die in soziologischen Kreisen bekannt war, namens Marion Levy. Falk konnte politische und persönliche Angriffe auf seine Person mit einem gewissen Gleichmut ertragen, nicht aber, wenn seine Feinde ihren Groll gegen ihn an Menschen ausließen, die ihm nahe standen. Levy, die Falks bête noire in Princeton war, machte sich ein besonderes Vergnügen daraus, eine brillante Arbeit einer herausragenden studentischen Beraterin mit "F" zu bewerten, nur um Falk zu ärgern und damit wahrscheinlich das Vertrauen dieser jungen Person in ihre Fähigkeiten zu beschädigen. (Falks Erfahrung hat mich nachdenklich gemacht, da dieselbe Marion Levy ihr Bestes tat, um in meinen Dissertationsausschuss zu gelangen, um mich akademisch zu vernichten, weil ich an der Spitze der Anti-Kriegs-Bewegung in Princeton stand und die damalige Woodrow Wilson School of Public and International Affairs besetzte, eine Elite-Institution, auf die Levy als Professor dort großen Einfluss hatte. Zu meinem Glück verhinderten andere in meinem Ausschuss Levys Vorhaben, Rache zu üben).

Liebe und Politik
- Eines der reizvollsten Merkmale von Falks Erzählung ist sein Bemühen, seine persönliche Reise mit seiner politischen Reise zu verbinden. Er versucht es, aber dies ist eine der weniger befriedigenden Dimensionen des Buches. Er ist zwar großzügig in der rückblickenden Bewertung einiger seiner Partnerinnen - er war viermal verheiratet und mit einer Reihe von Frauen liiert -, aber das Bild ist, vielleicht nicht überraschend, eher verschwommen, wenn es darum geht, wie seine früheren emotionalen Bindungen zu seiner persönlichen und politischen Transformation beigetragen oder sie blockiert haben. Doch in seiner letzten Beziehung zu Hilal Elver, einer prominenten türkischen Akademikerin und Aktivistin, mit der er seit 25 Jahren verheiratet ist, kamen das Politische und das Persönliche schließlich auf kreative Weise zusammen. Elver, die auch als UN-Sonderberichterstatterin (für Ernährungssicherheit) tätig war, hat sich eindeutig als die stabilisierende Kraft in Falks Leben erwiesen, als sein Anker, trotz ihrer gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten in politischen Fragen und ihrer Zeiten der persönlichen Belastung aufgrund Falks selbst eingestandener Tendenz, auf Frauen, mit denen er sich persönlich und politisch im Einklang befindet, kokett zu wirken. Man hat das Gefühl, dass die Teile über seine Beziehungen zu den Frauen in seinem Leben für Falk viel schwieriger zu schreiben waren als die meisten Abschnitte über sein politisches Engagement. Aber man muss ihm ein B+ für seine Bemühungen geben, im Gegensatz zu anderen, die die persönlichen Teile ihrer Memoiren entweder auf ein paar Absätze beschränken oder sie einem steinernen Schweigen unterwerfen und es den Biographen überlassen, wie Archäologen die Edelsteine von Skandalen und Verbitterung auszugraben, die Biographien funkeln lassen und verkaufen.

Einige Lektionen - Jetzt, da er auf die Neunzig zugeht, zieht Falk einige wichtige Lehren aus seinem Leben.
- Eine davon ist, dass er das Glück hatte, zu einer Schicht zu gehören, der es materiell relativ gut ging (obwohl sein Vater relativ arm war, wenn es um Geld ging, und seine Mutter zwar reich, aber nicht der großzügige Typ war), und dass er sozial privilegiert war, so dass er tun konnte, was er wollte, und den Weg einschlagen konnte, den er unter Missachtung orthodoxer liberaler Überzeugungen einschlug, ohne dass er für die Positionen, die er während seiner langen politischen Reise vertrat, materiell bezahlen musste. Falk ist ehrlich genug, um anzuerkennen, was vielen intellektuellen Radikalen aus der oberen Mittelschicht und der Elite oft gar nicht bewusst ist: dass Zivilcourage und politische Integrität oft durch den relativen materiellen Komfort ermöglicht werden, der mit der Zugehörigkeit zu einer komfortablen Klasse einhergeht.

Eine weitere wichtige Lehre ist, dass eine bessere Welt nicht aufgrund von Entwürfen für eine rationalere Weltordnung entstehen wird. Falks Theorie des Wandels besagt, dass dieser hauptsächlich durch Eruptionen von unten, von den Besitzlosen und den Ausgegrenzten, vorangetrieben wird, mit all der Unvorhersehbarkeit, die solche Ereignisse mit sich bringen. Man muss seinen Beruf - in seinem Fall als Experte für internationales Recht - einsetzen, um diese Ereignisse in die Mitte zu rücken und, sobald sie eingetreten sind, dazu beizutragen, die freigesetzten Energien in die richtige Richtung zu lenken, in seinem Fall, indem man dabei hilft, rechtliche Regelungen zu schmieden, die einen Schritt vorwärts in der Entwicklung des nationalen und internationalen Rechts im Hinblick auf die Förderung von sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und transnationaler Zusammenarbeit darstellen.

Eine dritte Lektion ist, dass man politische Regime nicht nur nach ihrer Fähigkeit beurteilen sollte, die klassischen politischen Rechte zu schützen, sondern auch nach ihrer Leistung bei der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ihrer Bevölkerung, insbesondere bei der Bereitstellung der materiellen Bedingungen, die es den Menschen ermöglichen, sich als menschliche Wesen zu verwirklichen. Hier reiht sich Falk in die lange Liste westlicher Liberaler ein, die in Isaiah Berlins doktrinärem Eintreten für "negative Freiheiten" gefangen sind, während sie die Rolle des Staates bei der Förderung "positiver Freiheiten" mit Argwohn betrachten. Falk nimmt in Kauf, dass er sich dabei in scheinbare Widersprüche verstrickt, die von traditionellen Liberalen nicht toleriert werden können. So preist er beispielsweise die Erfolge der Volksrepublik China bei der spektakulären Armutsbekämpfung als Leuchtturm für den globalen Süden, während er die chinesische Regierung für ihre Politik gegenüber der uigurischen Minderheit kritisiert.

Das türkische Rätsel
- Der Fall China verblasst jedoch gegenüber den Widersprüchen, in die Falk sich verstrickt, wenn es um die Türkei geht. Man vermutet, dass der Abschnitt über die Politik des Heimatlandes seiner Frau und seiner zweiten Heimat, der treffend mit "Das türkische Rätsel" betitelt ist, neben der Bewertung seiner persönlichen Beziehungen derjenige ist, den Falk wahrscheinlich am schwersten zu schreiben fand. In seiner Wahlheimat befindet sich Falk in einer einsamen Mittelposition zwischen dem militanten, an Frankreich angelehnten Laizismus der türkischen städtischen Mittelschichten und seiner Wertschätzung für die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile und die kulturelle Aufwertung, die das islamistische Regime von Recep Tayyip Erdogan den religiös orientierten ländlichen Massen in seinem ersten Regierungsjahrzehnt gebracht hat.

Falks anfängliche Offenheit gegenüber Erdogan und seinen Verbündeten, wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davetoglu, war seinen demokratischen Instinkten geschuldet. Er scheint den Schock nicht überwunden zu haben, als er offensichtlich politisch unkorrekte Äußerungen aus der städtischen Mittelschicht, den Erben der militant säkularen Revolution Kemal Atatürks, hörte, wie die eines Nachbarn, der ihm "ziemlich stolz erklärte, dass die Stimme seines Sohnes siebenmal mehr zählen sollte als die der rückständigen und ungebildeten Menschen in Anatolien. Nur so, so argumentierte er, könne man die Verdummung des türkischen Regierungsstils vermeiden, die seiner Meinung nach daraus resultiert, dass die Stimme jedes Türken gleich gezählt wird."

Gleichzeitig ist sich Falk bewusst, dass die Demokratie in der Türkei, wie in vielen anderen Teilen der Welt, zu einem zweischneidigen Schwert wird, da demokratische Wahlen zu einem Mittel geworden sind, mit dem charismatische autoritäre Persönlichkeiten an die Macht gekommen und an ihr geblieben sind:

Obwohl ich den türkischen Widerstand gegen die Wahlmehrheiten der AKP [Erdogans Partei] kritisiert habe, weil er Zweifel an den Tugenden der Demokratie aufkommen lässt, stelle ich mir nun dieselbe Frage, wenn ich in den Vereinigten Staaten sehe, wie Trump mehr als 40 % der amerikanischen Wählerschaft in den Schwitzkasten nimmt. Für mich wirft dies Fragen über die Entmündigung der Gesellschaft als Ganzes unter den gegenwärtigen historischen Umständen auf. Und wenn ich mich in der Welt umschaue, stelle ich fest, dass freie Wahlen zu autokratischen und gefährlichen Führern wie Modi, Bolsonaro, Duterte und anderen geführt haben. Kein Wunder, dass die am meisten bewunderten Denker im alten Athen den Glauben an die Demokratie verloren haben.

Falk räumt ein, dass Erdogan in den letzten zehn Jahren immer willkürlicher und autoritärer geworden ist, und ist besorgt über diesen Trend. Dennoch fällt es ihm schwer, offen mit der AKP-Regierung zu brechen, offenbar vor allem deshalb, weil er immer noch das Gefühl hat, dass die Vorteile, die sie der Türkei gebracht hat, ihre Nachteile überwiegen. Ein weiterer Grund ist, dass er sich "nicht wirklich mit der Feindseligkeit gegenüber Erdogan und der AKP identifizieren konnte, die einen gemeinsamen Konsens zwischen den seltsamen Paaren von vertriebenen Kemalisten, der alten (marxistischen) und der neuen (pro-kurdischen; antiautoritären) türkischen Linken sowie den Anhängern und Sympathisanten von Hizmet/FETO darzustellen schien." Was er nicht erwähnt, ist ein dritter, banalerer Grund: Viele seiner geschätzten Freunde, wie Davutoglu, bleiben im islamistischen Spektrum, auch wenn einige von ihnen Erdogan gegenüber kritisch geworden sind. Mit 90 Jahren ist man verständlicherweise weniger wagemutig, wenn es darum geht, den Abbruch von Freundschaften zu riskieren, als wenn man 40 ist.

Zu solchen Bedenken kann man nur drei Dinge sagen. Erstens: In der Liebe und in der Politik ist es schwer, sich zu trennen, wie es in einem alten Lied von Neil Sedaka heißt. Zweitens hat man selten den Luxus, sich seine Verbündeten aussuchen zu können, und man muss oft alte Widersacher oder seltsame Bettgenossen ertragen (wie ich in meinem politischen Leben auf den Philippinen). Und drittens: Wahre Freundschaften können selbst die schlimmsten Unebenheiten auf dem politischen Weg überstehen. Falk ist für seine Offenheit in Bezug auf sein Dilemma zu loben. Man kann nur hoffen, dass sein Markenzeichen, die Zivilcourage, sich entschieden auf die richtige Seite der Gleichung zu stellen, ihn dieses Mal nicht im Stich lässt, da Erdogans Herrschaft immer autoritärer, intoleranter und repressiver wird.

 


Einem Leben voller Engagement einen Sinn geben - In einem Versuch, die Perspektive oder Philosophie zu benennen, die sein lebenslanges Engagement, sein "In-der-Welt-Sein", wie er es in existenzialistischen Begriffen ausdrückt, geprägt hat, beruft sich Falk auf das Konzept eines "Bürgerpilgers", d. h. eines Bürgers sowohl einer bestimmten Gesellschaft als auch des Planeten, einer Person mit lokalen, nationalen Wurzeln, die gleichzeitig kosmopolitisch ausgerichtet ist, die sich auf einer Pilgerreise befindet, auf der sie immer wieder auf Herausforderungen stößt, die ihr Projekt der Ausweitung des Bereichs der Gerechtigkeit, der sozialen Ermächtigung und des Friedens betreffen, und die sie zu überwinden sucht. Es handelt sich um ein attraktives Konzept, das meines Erachtens leider einen Namen trägt, der falsche Assoziationen hervorruft. Meine Bedenken mögen unangemessen semantisch sein, aber "Pilger" ist ein Wort, das für säkulare Menschen wie mich viel zu religiös ist; es suggeriert jemanden, der auf ein festes Ziel zusteuert, während das, was Falk wirklich vermitteln will, ein ungewisses, ja offenes Ende ist; und es ist ein Wort, das untrennbar mit der Mayflower verbunden ist, mit all den tragischen Konsequenzen, die aus dieser religiösen Expedition resultierten.

Der Durchbruch zur Berühmtheit
- Zu Beginn des Buches gibt Falk eine ehrliche Einschätzung seines Platzes in der Gruppe der Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts, die versucht haben, die Welt zu verändern. Jahrhunderts, die versucht haben, die Welt zu verändern. Auf die Frage, was einen intellektuellen oder sozialen "Durchbruch" ermöglicht, schreibt er: "Ich denke an Durchbrüche der Art, wie sie von Freunden wie Noam Chomsky, Edward Said, Dan Ellsberg, Graciela Chichilnisky, Mary Kaldor, Robert Jay Lifton und Howard Zinn erzielt wurden, die alle eine besondere Variante eines widersprüchlichen Temperaments in Verbindung mit einem Gefühl der Gewissheit über die Richtigkeit des von ihnen gewählten Weges besaßen. Dieser Unterschied zwischen akademischer Exzellenz und einem Durchbruch, der auf innovativem Denken und Handeln beruht, hat mich schon lange fasziniert." Falk fährt fort: "Ich befand mich in der DMZ [demilitarisierte Zone], die intellektuelle Exzellenz von gesellschaftlicher Bedeutung trennte. Ich erntete weder die Belohnungen akademischer Errungenschaften, die in meiner Reichweite lagen, noch erlangte ich den Beifall einer positiven öffentlichen Bekanntheit, aber ich schaffte es, eine respektable akademische, ethische und aktivistische Präsenz unter denen zu haben, die meine progressive politische und ethische Agenda teilten."

Er könnte nicht falscher liegen, wenn er behauptet, er sei kein Durchbruchstyp gewesen, denn er hat einen atemberaubenden moralischen Durchbruch erzielt, indem er einen Bereich betreten hat, den die meisten seiner Kollegen zu betreten fürchteten, nämlich das am stärksten mit Fallen behaftete Feld der westlichen Politik, die "Israel-Frage", und etwas getan hat, was nur ein oder zwei andere westliche Intellektuelle seines Formats gewagt haben: das zionistische Projekt öffentlich beim Namen zu nennen, ein Apartheid-Regime, und als öffentlicher Intellektueller hartnäckig Zeugnis von dieser Wahrheit abzulegen
. Für diesen Akt der Zivilcourage haben ihn die Wächter des westlichen akademischen, politischen und kulturellen Establishments an den Pranger gestellt, ihn hinausgeworfen, die Tore geschlossen und ihre Kampfhunde auf ihn gehetzt, jahrelang und überall auf der Welt.

Wenn das nicht ein Fall von Durchbruch zu "positiver öffentlicher Bekanntheit" ist, der für diese und spätere Generationen im Westen eine enorme Inspiration darstellt, dann weiß ich nicht, was es ist.  Quelle


 

Klage von Israel-Boykott-Unterstützern abgewiesen

 Annelie Kaufmann - 8.10.2021

Der Bundestag stellte sich in einem Beschluss klar gegen die BDS-Bewegung, die zum Boykott gegen Israel aufruft. Dagegen wehrten sich drei Palästina-Aktivist:innen. Ihre Klage scheiterte vor dem VG Berlin.

Eigentlich war ziemlich klar, was die Klägerin und die beiden Kläger – Judith Bernstein, Amir Ali und Christoph Glanz – und ihre Unterstützer wollen, die sich, ausgerüstet mit Palästina-Flaggen, am Donnerstagmittag vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin trafen: Sie wollen sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, gewaltfrei, aber mit einem scharfen Mittel, nämlich dem Aufruf zum Boykott gegen Israel, israelische Waren, Sport- und Kulturveranstaltungen. Sie wollen nicht als antisemitisch gelten. Und sie wollen gegen den Beschluss des Bundestages vorgehen, der 2019 die "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS)-Bewegung scharf verurteilt, die Förderung ihrer Projekte ablehnt und Länder, Städte und Gemeinden auffordert, sich dieser Haltung anzuschließen.

Bernstein, Ali und Glanz nennen sich "Bundestag 3 für Palästina", ihr Ziel ist es, diesen Bundestagsbeschluss aus der Welt zu schaffen. Nur was bedeutet das in einem Verwaltungsgerichtsprozess? Das war eine der entscheidenden Fragen in der Verhandlung, die am Donnerstag vor dem VG Berlin stattfand. Deshalb kündigte die Vorsitzende der 2. Kammer, VG-Präsidentin Erna Viktoria Xalter, an: "Wir reden jetzt erstmal eine halbe Stunde über die Zulässigkeit. Es wird also juristisch – das kann ich leider nicht ändern."

Bernstein, Ali und Glanz, vertreten durch den Berliner Rechtsanwalt Ahmed Abed, sehen in dem Beschluss eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dagegen müsse es Rechtsschutz geben, sagte Abed, der Beschluss sei nichtig, jedenfalls aber rechtswidrig, der Bundestag dürfe ihn "nicht weiter verbreiten".

Kann diese Fragen nur Karlsruhe beantworten? -
"Aber welche statthafte Klageart der Verwaltungsgerichtsordnung schwebt Ihnen da vor?", fragte Xalter – und das war nicht bloß rhetorisch gemeint. Die Verwaltungsgerichte entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art. Ginge es um das Schreiben eines Bürgermeisters oder die Aussage der Bundeskanzlerin, würde das VG vor keinem größeren Problem stehen, dazu gibt es Rechtsprechung. Doch ein Beschluss des höchsten deutschen Parlaments, das ist etwas Anderes. Dabei stellen sich jede Menge ungeklärte Fragen: Können drei Menschen, die in dem Beschluss gar nicht namentlich genannt sind, dagegen vorgehen? Hat der Bundestag quasi rechtssetzend gehandelt, ohne aber das Gesetzgebungsverfahren einzuhalten? Oder hat er lediglich seine Meinung kundgetan, was unbestritten seine Aufgabe ist? Gibt es aber vielleicht auch dafür verfassungsrechtliche Grenzen?

"Mit allem Respekt vor dem Verwaltungsgericht, wir meinen, das sind Fragen, die vor ein Verfassungsgericht gehören", sagten die Rechtsanwälte der Bundestagsverwaltung, Dr. Christian Mensching und Dr. Christian Johann von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Und eigentlich wollte da keiner widersprechen, auch Abed nicht. Das VG hätte also sagen können: Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, dafür sind wir nicht zuständig.

Tat es aber nicht. "Irgendwer muss ja mal entscheiden", sagte Xalter in der Verhandlung. Zumal der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (VGH NRW) in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem es um einen Anti-BDS-Beschluss des nordrhein-westfälischen Landtags ging, die Verfassungsbeschwerde abgewiesen und auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen hatte. Dementsprechend sagte Abed, er wolle sich in Karlsruhe nicht die nächste Abfuhr holen.  mehr >>>
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Historiker zu Merkel-Besuch
"Deutsche sind empfindlicher als Israelis"

Moshe Zimmermann - 9. 10. 2021


Wie schon 2018 soll Merkel nun wieder eine Ehrendoktorwürde verliehen werden. Diesmal bekommt sie diese vom Technion-Israel Institute of Technology in Haifa.

Zum achten Mal besucht Kanzlerin Merkel nun Israel. Im Interview erklärt der israelische Historiker Moshe Zimmermann, wie sie im Land gesehen wird, welchen Stellenwert Deutschland in der israelischen Politik hat und wieso viele Israelis gerade eher ein Problem mit Polen als mit Deutschland haben.

ntv.de: Was erwarten Sie, was erwartet die israelische Öffentlichkeit von Merkels letztem Besuch in Israel als Kanzlerin?
-
Moshe Zimmermann: Man kann nicht von großen Erwartungen sprechen. Man verknüpft keine großen Hoffnungen an dieses Gespräch zwischen Merkel und dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett. Es wird in der israelischen Öffentlichkeit bemerkt, dass Frau Merkel zum Abschiedsbesuch kommt. Sie ist für die israelische Politik, wie auch für die israelische Öffentlichkeit immer ein willkommener Gast. Es interessiert die Menschen aber weit stärker, wie sich beispielsweise die USA zu Israel positionieren.

Es ist schon ihr achter Besuch, Helmut Kohl war nur zweimal da. Wie wird Merkel in Israel gesehen?
- Sie ist sicher viel beliebter als Kohl, der genauso lange im Amt war wie sie. Das hängt damit zusammen, dass sie eine Ruhe ausstrahlt. Sie hat etwas Staatsfrauisches, was in Israel sehr geschätzt wird. Aber das Allerwichtigste ist: Sie ist diejenige, die sich gegenüber Israel verpflichtet hat, sich für die Sicherheit des Landes einzusetzen. Ihre Maxime, Israel sei Teil der deutschen Staatsraison, ist etwas, wofür sie jeder Israeli, der davon weiß, hochschätzt.

Was bedeutet dieser Satz für Israel?
- Nichts Praktisches, sondern etwas Theoretisches und Moralisches. Er bedeutet, Deutschland wird immer hinter Israel stehen, wie auch immer dessen Politik aussehen wird. Das hat seine Vorteile aus der Sicht der israelischen Politik, während es aus der Sicht der palästinensischen Politik seine Nachteile hat. Das ist etwas, das man sich hier gemerkt hat. Das ist eine Verpflichtung gegenüber Israel, die man nicht wieder zurücknehmen kann.

Aber ist das wirklich als bedingungsloser Beistand gemeint gewesen? - Was genau die Absicht hinter dieser Formulierung war, weiß man ja nicht. Das wissen nur Merkel und ihre Berater. Entscheidend ist aber die Rezeption. Es ist sowohl in der deutschen als auch in der israelischen Öffentlichkeit so angekommen. Auf diese Weise wurde nie zuvor Verantwortung für die Sicherheit und Existenz Israels übernommen. So wurde das rezipiert. Und da kann man auch verstehen, weshalb man Angela Merkel in Israel so hoch schätzt. Und auch, warum in Deutschland manche Skeptiker Fragen stellen.

War es klug, so einen Satz zu sagen, auch mit Blick auf den Konflikt mit den Palästinensern?
- Es war deswegen klug, beziehungsweise wenig riskant, weil die Palästinenser im Endeffekt nichts zählen. Das ist die bittere Wahrheit, wie sie sich in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Da sprach man von den Palästinensern von einer politischen Herausforderung auch für Europa, für Deutschland. Die Palästinenser wurden dann aber über die Zeit marginalisiert. Und deswegen ist es auch kein Fehler, praktisch    mehr >>>

 

Eine kleine Auswahl weiterer Nachrichten und  Texte,  in meist englischer Sprache

Foreign Ministry ‘concerned’ over anti-Palestinian campaign by previous US administration

Israeli settlers destroy glass of Palestinian-owned cars northwest of Jerusalem

Soldiers Attack Many Palestinians, Abduct Four, In Jerusalem

Israeli Colonizers injure One Palestinian, Soldiers Abduct Six, In Jerusalem

Israeli Colonizers Cause Damage To Many Palestinian Cars Near Jerusalem

Soldiers Injure Many Palestinians Near Jenin

Israeli Colonizers injure One Palestinian, Soldiers Abduct Six, In Jerusalem

WAFA: “Work of Palestinian land surveyors in Masafer Yatta interrupted by Israeli settlers”s”

WAFA: “Israeli settlers prevent Palestinian farmers from harvesting their olive crops in northern West Bank village”

HRW: “Israel/Palestine: Facebook Censors Discussion of Rights Issues”

Army Injures Dozens Of Palestinians Near Nablus

Israeli Army Injures Three Palestinians In Kufur Qaddoum

Soldiers Injure Many Palestinians Near Jenin

Occupation forces assault Palestinian civilians at Damascus Gate

Work of Palestinian land surveyors in Masafer Yatta interrupted by Israeli settlers

Another Israeli settler attack documented against Palestinian farmers in northern West Bank

Health Minister: 11 die of coronavirus in Palestine, 467 new cases confirmed in last 24 hours

Israeli settlers prevent Palestinian farmers from harvesting their olive crops in northern West Bank village

 

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