Israel erklärt Tötungen bei Gazaprotesten als 'operationelle
Unglücksfälle' - 27.07.2018 - Eine interne
Untersuchung der Tötung von mindestens 140 Palästinensern in
Gaza während dem Großen Rückkehrmarsch durch das israelische
Militär kommt zu dem Ergebnis, dass alle Toten das Ergebnis
eines "operationellen Unglücksfalles" sind, und dass "der
Beschuss mit Waffen entsprechend den Feuerbefehlen
durchgeführt" wurde.
Haaretz berichtete, die Untersuchung werde auch empfehlen,
dass keine Notwendigkeit bestehe, die Vorfälle an die
israelische Militärpolizei zur weiteren Untersuchung
weiterzuleiten.
Haaretz fügte hinzu, dass "das Team fand, dass bei allen
Vorfällen – keiner der israelischen Scharfschützen
absichtlich auf unbeteiligte palästinensische Zuschauer
gezielt hätte".
Der Bericht wird auch nahelegen, dass "Demonstranten, die in
die Schusslinie eingedrungen sind, nachdem die Truppen das
Feuer eröffnet hatten, und [es gab) Vorfälle, bei denen
Kugeln abprallten und in der Folge Palästinenser trafen".
Das Untersuchungsteam wird jetzt seine Empfehlungen an den
israelischen Militärgeneralanwalt, Generalmajor Sharon Afek,
weiterleiten, der das letzte Wort (bei der Entscheidung)
hat, ob die Angelegenheit weiter untersucht werden soll.
Die Untersuchung konzentrierte sich auf den Zeitraum
zwischen dem 30. März (Beginn des Großen Rückkehrmarschs)
und dem 17. Juli, während dem mindestens 140 Palästinenser
getötet und 15.000 verletzt wurden.
Die Untersuchung war ursprünglich nach der Tötung des
palästinensischen Journalisten Yaser Murtaja im April
angeordnet worden, die zu einem internationalen Aufschrei
und zu Forderungen führte, die Berichterstatter über die
Proteste zu schützen.
Neben dem Tod von Murtaja befasst sich die Untersuchung auch
mit dem individuellen Fall von Razan Al-Najjar, der
21-jährigen freiwilligen Sanitäterin, die erschossen wurde,
als sie durch israelischen Beschuss Verletzten half. Im Juli
fand die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem,
dass israelische Soldaten sie "mit wohl überlegten Schüssen"
getötet haben, und folgerte, dass "eine Routine des
Schönredens [durch die israelischen Behörden] für sehr
geringe Chancen sorgt, dass irgendjemand zur Rechenschaft
gezogen wird".
Andere Untersuchungen der Tötung von Demonstranten in Gaza
wurden initiiert; im Mai wurde im UN-Menschenrechtsrat für
eine Untersuchung gestimmt. Der UN-Sonderberichterstatter
über die Menschenrechte in den besetzten palästinensischen
Gebieten, Professor Michael Lynk, sagte damals:
"Diese unverhohlene Anwendung exzessiver Gewalt durch Israel
– ein Auge für eine Wimper – muss enden, und es muss eine
wirkliche Rechenschafts-pflicht für die Personen im
militärischen und polizeilichen Führungsstab geben, die
angeordnet oder erlaubt haben, dass diese Gewalt am
Gaza-Grenzzaun wieder angewendet wird."
Anfang dieser Woche benannte die UN den früheren
US-Rechtswissenschaftler David Crane als Leiter der
Untersuchung. Es wird nicht erwartet, dass die Beauftragten
vor März 2019 einen abschließenden schriftlichen Bericht
präsentieren.
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer
|
Jeff Halper: Über Israels
neues Nationalitätengesetz - 27. 7. 2018 - Jeff
Halper schreibt: Das neue Jüdische Nationalitätsgesetz, das
gerade erlassen worden ist, macht die Realität israelischer
Apartheidspolitik deutlich und offiziell. Wir müssen nun
nicht länger darüber diskutieren, ob es ein Apartheidsregime
zwischen dem Mittelmeer und dem Jordantal gibt. Es gibt es!
Doch ist das jüdische Nationalitätsgesetz nur eine
offizielle Erklärung, sozusagen die Kirsche auf dem
Eisbecher der Apartheid. Es schreibt lediglich formell
Israels Apartheid fest. Jedoch hat es seine Basis auf einer
ganzen Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die ihm Substanz
verleihen; Gesetze, die bereits in den letzten Jahren
verabschiedet worden sind und solche, die es demnächst
werden. Ich führe sie im Folgenden noch einmal auf:
– Das Regulierungsgesetz (Hok Hahasdara) erlaubt Israel im
Nachhinein Siedlungen zu legalisieren, die auf privatem
palästinensischem Land errichtet worden sind.
– Die Militärverordnung 1797 hebt das jordanische
Planungsrecht in der West Bank auf und legalisiert die
Zerstörung tausender palästinensischer Häuser.
– Das Gesetz, dass die israelische Souveränität über die
West Bank erklärt (bzw. zumindest über die C-Zone und die
Siedlungen)
– Das Groß-Jerusalem Gesetz, durch welches Ma’aleh Adumin
und die Siedlungen des Ezion Blocks nach Jerusalem
eingemeindet werden. Dadurch gelangen 150000 jüdische Wähler
in die Wahllisten, während gleichzeitig 150000
palästinesische Jerusalemer ihr Stimmrecht verlieren. So
soll ein ‘jüdisches Jerusalem’ sichergestellt werden.
– Das Volksabstimmungsgesetz besagt, das kein Teil des
Landes Israel ohne eine Volksabstimmung aufgegeben werden
darf (gemeint ist die West Bank, Jerusalem und der Golan).
Damit verlieren zukünftige Regierungen die
Verhandlungsvollmachten hierüber.
– Das Breaking the Silence Gesetz verbietet Gruppen und
kritischen Israelis, die gegen die Besatzung sind, in
israelischen Schulen zu sprechen.
– Das V-15 Gesetz hindert Graswurzelbewegungen, die sich am
politischen Prozess oder am Wahlkampf beteiligen wollen,
daran, Geld zu sammeln oder sich effektiv zu organisieren..
– Die Einführung der Todesstrafe für Menschen, die wegen
Terrorismus verurteilt worden sind.
Das Gerüst für den Apartheidsstaat ist errichtet, das
Jüdische Nationalitätsgesetz gibt ihm seine legale und
offizielle Form.
Da die Zwei-Staaten-Lösung von Israel eliminiert worden ist,
und, wie ich hoffe, Apartheid inakzeptabel ist, bleibt
eigentlich nur ein Ausweg aus dieser Tragödie: der
Apartheidsstaat muss in einen demokratischen Staat mit
gleichen Rechten für alle seine Bewohner umgewandelt werden.
Diese politische Logik erscheint mir zwingend.
Quelle
|
Die unvollständige Freiheit von Ahed Tamimi -
29.07.2018 - Jonathan Ofir - Die 17-j. Ahed Tamimi und
ihre Mutter aus dem palästinensischen Dorf Nabi Saleh wurden
heute aus dem israelischen Gefängnis entlassen, nachdem sie
ihre 8-monatige Haftstraße verbüßt hatten. Der Grund für die
Strafe war, dass Ahed einem israelischen Soldaten, der ihren
Hinterhof eingenommen hatte, kurz nachdem ihrem Cousin
Mohammed Tamimi von israelischen Soldaten ins Gesicht
geschossen worden war, eine Ohrfeige gegeben hat. Die
Ohrfeige wurde gefilmt und verbreitete sich rasch. Nariman
war inhaftiert worden, weil sie ein Video über den Vorfall
auf Facebook verbreitet hatte.
Die israelische Reaktion war hysterisch. Bildungsminister
Naftali Bennet empfahl, Ahed sollte den Rest ihres Lebens im
Gefängnis verbringen, und der 'liberale' Journalist 'der
Mitte' Ben Caspit schlug vor, dass "wir bei einer anderen
Gelegenheit einen Preis einfordern sollten, im Dunkeln, ohne
Zeugen und Kameras". Der Abgeordnete Oren Hazan (Likud)
sagte, wenn er es gewesen wäre, würde er Ahed mit einem
Fußtritt ins Gesicht "ins Krankenhaus bringen", und der
Autor des 'Ethik-Codes' der IDF, Asa Kasher, war für ihre
fortdauernde Inhaftierung, denn sie könnte, Gott behüte,
noch einmal ohrfeigen.
Jetzt ist Ahed also wieder zu Hause. Es ist fraglich, ob
irgendein anderer palästinensischer Kinderhäftling so viel
internationale Aufmerksamkeit bekommen hätte wie Ahed. Sie
ist ganz eindeutig eine Ikone und eine Heldin für den jungen
Geist des palästinensischen Widerstands geworden, jemand,
der sich dem Herrn nicht beugt und ihn tatsächlich ins
Gesicht schlägt.
Aber die positive Aufmerksamkeit für Ahed hat auch eine
diametral entgegengesetzte Seite, indem sie eine Zielscheibe
für die Hetzte israelischer Ultranationalisten
einschließlich der Siedler in der Nachbarschaft geworden
ist. Anfang dieses Jahres wachten die Einwohner von Nabi
Saleh auf, und hebräische Wandschmierereien waren im ganzen
Dorf gesprayt. Manche besagten: "Tod für Ahed Tamimi" und
"In dieser Welt ist kein Platz für Ahed Tamimi". Ein anderes
Mal demonstrierten Siedler von der benachbarten jüdischen
Siedlung Halamish (die Land von Nabi Saleh besetzen) auf
einer Straße zwischen dem Dorf und der Siedlung, trugen
gebastelte Särge und sangen: "Tod für Ahed Tamimi".
Nach ihrer Freilassung sagte Aheds Vater Bassem, er mache
sich Sorgen um die Sicherheit seiner Tochter, sie sei von
rechtsgerichteten israelischen Politikern und Siedlern
bedroht worden.
Die Unterdrückung von Nabi Saleh geht schon seit Jahren,
besonders seit sie beschlossen haben, gegen die
Konfiszierung von ihrem Land und der Quelle des Dorfes
zugunsten der illegalen Siedlung Halamish zu protestieren.
Das Dorf hält regelmäßige Freitagsdemonstrationen, die in
mehreren Toten und hunderten Verletzten resultierten. Mit
der Inhaftierung von Ahed und Nariman schien sich die
Unterdrückung noch zu verschärfen, was letzten Monat zum Tod
von Aheds Cousin, dem 21-j. Izz al-Din Tamimi, und zur
Verhaftung vieler anderer führte. Zur Zeit sind noch immer
15 Einwohner von Nabi Saleh in israelischer Haft, vier von
ihnen sind Minderjährige.
Hetze und Behauptungen von 'fake news' von höchsten
Stellen - Aheds Cousin Mohamed, dem kurz vor ihrer
berühmten Ohrfeige ins Gesicht geschossen wurde, wurde in
dieser Zeit auch zwei Mal verhaftet. Das erste Mal war kurz
nach seiner Operation, bei der ein großer Teil seines
Schädel(knochen)s entfernt worden und er in einem sehr
sensiblen Zustand war. In einem Verhör wurde Mohamed
gezwungen zu "gestehen", dass er bloß "von einem Fahrrad
gestürzt" sei, und dass das und nicht die Kugel, die in
seinem Gehirn steckte (was groß dokumentiert wurde) die
Ursache seiner Verletzung war. Nach diesem "Geständnis"
behauptete Generalmajor Yoav Mordechai, der Koordinator für
Regierungsaktivitäten in den (besetzten) Gebieten (COGAT) in
einem Post auf Facebook, die ganze Geschichte mit der Kugel
sei eine "fake news", und dass "eine Kultur der Lügen und
Hetze für junge Leute und Erwachsene in der Familie Tamimi
weitergehe".
Mordechai ist die höchste direkte Autorität der israelischen
Besatzung, und er schrieb dies auf der offiziellen
arabischen Facebookseite von COGAT. Auch der israelische
Abgeordnete Michael Oren spricht von "fake news", er
versuchte seine Behauptung noch damit zu verstärken, dass
die Tamimis eine "fake-family" seien, indem er ein
gepiegeltes, doppeltes Foto postete. Ahed kleiner Bruder hat
einen Arm in Gips. Ein 12-j. Junge macht ein Foto vom Gips
an seinem rechten Arm und am nächsten Tag mit einem Gips am
linken Arm. Sag mir, wenn das nicht erfunden und gezielt
ist. Die Familie Tamimi gehöre zu einer "Pallywood"-Industrie,
die für Geld Kinder zur Konfrontation mit IDF-Soldaten
schickt, um Israels PR zu beschädigen, schrieb Oren. Es ist
für jeden, der ein bißchen Hirn hat, klar, dass das Foto ein
identisches Spiegelbild war. Als es immer mehr Kommentare
über diesen krassen Blödsinn gab, entfernte Oren das Foto,
beließ aber den Text.
Ahed als ein Symbol für ein größeres Paradigma - Ahed
ist ein Symbol des jugendlichen Heroismus und Widerstands.
Israels Ziel ist es diese Symbolik zu minimieren, aber es
schießt sich jedesmal selbst ins Bein, wenn es versucht die
Aufmerksamkeit von Ahed abzuwenden. Gestern wurden die
Künstler, die auf die Trennmauer in Bethlehem ein
Wandportrait von Ahed gemalt hatten, von der israelischen
Grenzpolizei verhaftet. (Ein Video der Festnahme im
Originaltext). Mit solchen Vorkommnissen macht sich
Israel nur noch lächerlicher. [...]
Israels Obsession einen antikolonialistischen
Graswurzel-Widerstand zu kontrollieren, ist auf die
"Grammatik" des Widerstands fokussiert, und nicht auf die
viel größere Schrift an der Wand. Daher dürfen wir uns nicht
nur auf Ahed konzentrieren, sondern auf das größere
Paradigma, das sie repräsentiert. Es gibt fast 6.000
palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen
[...]. Fast 300 von ihnen sind Kinder. Fast 450 befinden
sich ohne Anklage in Administrationshaft (auch drei
Mitglieder der palästinensischen Legislativrats) – siehe die
Statistik von Addameer (siehe Originaltext).
Ahed und Nariman Tamimi mögen jetzt frei vom Gefängnis sein,
aber sie sind in keiner Hinsicht frei von der
kolonialistische israelischen Besatzung. Das ist eine
fortdauernde Sache. Aheds Freiheit ist ohne die größere
Freiheit unvollständig. So wie Nelson Mandela gesagt hat:
"Wir wissen zu gut, dass unsere Freiheit ohne die Freiheit
der Palästinenser unvollständig ist". Und deswegen geht es
nicht nur um Ahed, ja nicht einmal nur um die Palästinenser.
Es geht um die Zukunft für uns alle.
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer
|