Ausgangspunkt
Im vergangenen Jahr fanden in mehreren Städten
Kundgebungen statt mit dem Titel "Israel, du
bist nicht allein". Als Veranstalter firmierte
"Eine Initiative von Christen, die Israel
lieben". Auffallend war, dass die Veranstalter
fast ausschließlich aus dem evangelikalen und
pfingstlerisch-charismatischen Flügel der
Christenheit stammten und die
Arbeitsgemeinschaften "Christen und luden" beim
Ev. Kirchentag oder Katholikentag und überhaupt
die klassischen Träger des jüdisch-christlichen
Dialogs nicht auftauchten. lediglich die
Gesellschaft für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit wurde einmal in der Lokalpresse
als Unterstützer genannt. Laut Flugblatt der
Veranstalter sollte die Kundgebung drei Dinge
zum Ausdruck bringen:
•
Mitgefühl mit Israel (wohl angesichts
zunehmender Terror-Attentate);
•
Verbundenheit mit den jüdischen Menschen in
Deutschland;
•
Unterstützung des bedrohten Existenzrechts
Israels.
Diese
Programmpunkte wirken auf den ersten Blick
konsensfähig und unauffällig: auffallend ist
höchstens die völlig fehlende Erwähnung des
Existenzrechts der Palästinenser bzw. des
Mitgefühls auch mit palästinensischen Opfern der
gegenwärtigen Gewalt.
Veranstalter
Beschäftigt man sich freilich etwas näher mit
den Veranstaltern, so stößt man auf Positionen,
die sehr viel weniger konsensfähig sein dürften.
Nehmen wir etwa die Koordinatoren des Ganzen,
die "Christlichen Freunde Israels e.V." aus
Altensteig. Auf deren Homepage1 kommt
eine ebenso eindeutige wie einseitige Sicht des
gegenwärtigen Nahost-Konflikts zum Ausdruck, die
theologisch wie politisch fragwürdig erscheint.
So heißt es auf die Frage, warum Christen
Freunde Israels sein sollten, unter anderem:
Weil
das jüdische Volk in Erfüllung der
Prophezeiungen der Bibel in sein Land
zurückgekehrt ist und dort Wiederherstellung
erlebt (Hes. 36,24).
Weil
der wieder entstehende jüdische Staat mit
Jerusalem als Hauptstadt der Sitz der Regierung
des Messias bei seiner Wiederkehr sein wird
(Jes. 2,34).
Die endzeitlichen Verheißungen der Bibel werden
also unmittelbar auf die
gesellschaftlich-politische Konfliktlage der
Gegenwart angewandt. Die Grenzziehung im Nahen
Osten ist aus dieser Sicht durch göttliches Wort
auf ewig festgelegt - die Bibel als Grundbuch
sozusagen - und keinesfalls mehr menschlicher
Verhandlung anheim gegeben. Auf der Homepage der
"Christlichen Freunde Israels" liest sich das
so:
Gemäß
der Bibel gehört der kleine Landstreifen Gott.
Gott
wiederum hat das Land Abraham, Isaak und deren
Nachkommen (jüdisches Volk) auf ewig verheißen.
Die Palästinenser sind gemäß der Bibel
"Fremdlinge im Land", die gut und gastfreundlich
zu behandeln sind, die aber Fremdlinge sind.
Um jedes Missverständnis auszuschließen, wird
hervorgehoben, dass gerade die heute so
umstrittene "West-Bank", das Westjordanland, als
„Judäa und Samaria" biblisches Kernland und
"Israel auf ewig gegeben" sei. Deshalb wird
vorbehaltlose Solidarität mit den Siedlern
gepredigt. Ein selbstständiger
Palästinenserstaat auf diesem Gebiet wäre darum
ein Sakrileg. Von den Palästinensern heißt es
darum konsequent: Wenn Gott das Land für sein
Volk Israel bestimmt hat, so sind und bleiben
die Palästinenser "Fremdlinge" darin. Es gibt
viele Gebote in der Bibel, die Israel anweisen,
freundlich mit den Fremdlingen umzugehen.
Fremdlinge haben aber keine Selbstbestimmung.
Politische Verortung
Es überrascht daher kaum, dass die Politik des
LIKUD-Blocks, also Begins, Netanjahus und
Sharons, von Seiten dieses
evangelikal-charismatischen Lagers massive
Unterstützung erfährt. Dessen Brückenkopf in
Israel ist die "Internationale Christliche
Botschaft Jerusalem" (ICEJ). Dazu schreibt Uwe
Birnstein: "Als im Juli 1980 das israelische
Parlament Jerusalem zur Hauptstadt erklärte,
öffneten viele Staaten ihre diplomatischen
Vertretungen absichtlich in Tel Aviv. Kurz
darauf öffnete die ICEJ ihre Türen in Jerusalem.
Fundamentalistische Christen aus vielen Ländern
bekundeten öffentlich: Israel - Du bist nicht
allein. Wir beten für Dich und arbeiten Seite an
Seite mit Dir!' Die ICEJ geht davon aus, dass
die Wiederherstellung des jüdischen Staates auf
die bevorstehende Errichtung des messianischen
Reiches durch den von Juden und Christen
erwarteten Messias hindeutet'. Für die
israelische Regierung ist die von offiziellen
Kirchen unabhängige Christliche Botschaft' eine
wichtige Unterstützung.
Nicht nur wegen ihrer finanziellen Hilfe bei
einzelnen sozialen Projekten, sondern auch wegen
der ideologischen Rückendeckung. Bei Kongressen
der ICEJ traten alle Ministerpräsidenten auf,
von Menachem Begin bis Benjamin Netanjahu. Sie
finden hier unkritischen Rückhalt. ‚Die
vornehme, kritische und mitunter feindselige
Distanziertheit der meisten orthodoxen,
katholischen und protestantischen Kirchen
gegenüber Israel und seiner Politik hat dazu
verholfen, dass die ‚Christliche Botschaft' die
der israelischen Regierung nahestehendste
christliche Organisation wurde', schreibt
Professor Jakob Ariel in einer Studie des
David-Institutes für internationale
Beziehungen.“² Entsprechend reagierten diese
evangelikal-charismatischen Gruppen auf den
Friedensprozess. Jeder Versuch der Verständigung
mit den Palästinensern wurde als Verrat, als
verurteilenswerter und zugleich illusionärer und
"säkularer Humanismus" gegeißelt. Politiker wie
Peres oder Rabin wurden wegen ihrer
Kompromissbereitschaft scharf kritisiert. Das
gipfelte 1995 im Rundbrief 3/95 der
charismatischen Bewegung "Fürbitte für
Deutschland" in kaum verhüllten Beifall für den
Mord an Rabin, der bekanntlich von einem
jüdischen Fundamentalisten verübt worden war:
"Es könnte sein, dass Rabin geistlich ein Usija
war, ein König, der viele Siege mit dem Herrn
errang und dessen Herz treulos wurde, so dass
der Herr ihn wegnehmen musste".
Theologische Verortung
Woher kommt nun diese christliche Begeisterung
für ein Groß-Israel? Sie ist gespeist aus
eigenen Endzeiterwartungen. Die besagen
zweierlei: Die Wiedererrichtung des biblischen
Israel ist ein Zeichen und Voraussetzung der
Endzeit. Der Messias kann erst wiederkommen,
wenn er in ein jüdisches Jerusalem zurückkehrt.
Aber der Messias ist natürlich der
neutestamentliche Jesus, zu dem sich auch die
Juden letztlich bekennen und bekehren müssen.
Auch dies im O-Ton der "Christlichen Freunde
Israels":
Wir
glauben, dass die Wiedereinsetzung des jüdischen
Volkes in das Land Israel gemäß dem im Wort
Gottes enthaltenen Versprechen geschieht und die
Zeit Gottes, "Zion zu bestätigen", begonnen hat.
Wir
wissen, dass auch die Juden nur dann ewiges
Leben haben, wenn sie Jeshua als ihren Herrn und
Gott er- und bekennen.
Enger Kontakt besteht zu sogenannten
"messianischen Juden", die
christlich-evangelikalen Glauben mit jüdischem
Brauchtum zu verbinden suchen und die in der
Vergangenheit vor allem jüdische Auswanderer aus
Russland zu missionieren suchten, zum Teil deren
religiöse Unkenntnis ausnutzend. Die jüdischen
Gemeinden wiederum lehnen die Missionstätigkeit
der "messianischen Juden" schroff ab.
Bewertung
Zwei zentrale Kritikpunkte machen diese Bewegung
fragwürdig: Politisch ist es die Erklärung
Groß-Israels zur unverhandelbaren Gottesgabe und
- darin eingeschlossen - die völlige
Delegitimierung eines Prozesses "Land für
Frieden". Theologisch ist es die massive
Endzeit-Erwartung samt Judenmission mit Israel
als Baustein christlicher Apokalyptik. Schon als
Verständigung noch möglich schien, setzten diese
Gruppen eher auf den endzeitlichen großen Knall.
So sah es jedenfalls der Journalist Martin Kloke
in den Evangelischen Kommentaren 1995: "Mit
Unbehagen nehmen die frommen Israelifreunde jene
den Palästinensern zugesagten Konzessionen wahr,
die sich in der Formel Land gegen Frieden'
verdichtet haben. Das kommt ihrer Auffassung
nach der Aufgabe biblischen Landes gleich und
ist daher ein unbotmäßiger Eingriff in den
deterministisch vorgezeichneten göttlichen
Heilsfahrplan." Wäre es zu einem
israelisch-palästinensischen
Verständigungsprozess gekommen, hätte dies das
apokalyptische Weltbild dieser christlichen
Endzeitspezialisten gehörig ins Wanken gebracht.
Nochmals Kloke: "kein Groß-Israel auf dem
biblisch verheißenen Boden, sondern zwei mehr
oder weniger gut neben- und miteinander
koexistierende Staaten; keine konfrontative
Zuspitzung, keine Aussicht auf einen Dritten
Weltkrieg. So hat man sich die Endzeit nicht
vorgestellt. Denn, zuvor bedarf es des letzten
großen Knalls; er wird als der Beginn einer
läuternden Wende gedacht, in der die
endzeitliche Erlösung Israels und die Erlösung
der standhaft gebliebenen Christen einsetzt."³
Reinhard Hempelmann äußerte in der gleichen
Zeitschrift wenige Jahre später über den
christlichen
Zionismus dieser Gruppen, er werde "um den Preis
der Dämonisierung der Palästinenser erkauft. Mit
Berufung auf die Landverheißung wird ein
Groß-Israeli-Konzept unterstützt, wie es auch in
national-religiösen Kreisen in Israel lebendig
ist.“4
Die Ausweglosigkeit dieses Konzepts zeigt sich
gegenwärtig dramatischer denn je. Um so
erstaunlicher ist, wie bruchlos diese
apokalyptische Sicht des Nahost-Konflikts heute
fortgeschrieben wird. Mein Fazit: Dieser
Schulterschluss von jüdischem und christlichem
Fundamentalismus ist für seriöse
christlich-jüdische Zusammenarbeit keine
Hoffnung, sondern ein Hindernis.
Anmerkungen
1 Vgl.
www.christliche-freunde-israels.de.
2 Uwe Birnstein, Wenn Gottes
Wort zur Waffe wird. Christlicher
Fundamentalismus im Aufwind, Gütersloh 1999, 97.
3
Evangelische Kommentare 11/1995, 649.
4
Evangelische Kommentare 1/1999, 15.
Mit freundlicher
Genehmigung des Autors
Lutz Lemhöfer, geb. 1948, katholischer Theologe
und Politologe, Referent für
Weltanschauungsfragen im Bistum Limburg.
Quelle:
Zeitschrift für Religions- und
Weltanschauungsfragen - 66. Jahrgang
3/2003 Seite 111-113
Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen
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