Das Hirngespinst des britischen Antisemitismus und wie
man ihn nicht bekämpfen kann, wenn es ihn denn gäbe
Norman G. Finkelstein - 19. 8. 2018 - Übersetzung
von Jürgen Jung. - Die gegenwärtige Hysterie, die die
britische Labour Party umgibt, löst sich in ein Paar
miteinander verbundener, wenn auch eigenständiger
Prämissen auf: Antisemitismus in der britischen
Gesellschaft im Allgemeinen und in der Labour Party im
Besonderen hat Krisenausmaße angenommen. Wenn keine
dieser Voraussetzungen aufrechterhalten werden kann,
dann ist die Hysterie ein Hirngespinst. Tatsächlich
wurden für beide keinerlei Beweise zu ihrer Begründung
vorgelegt, im Gegenteil, alle Beweise deuten in die entgegengesetzte Richtung. Die rationale
Schlussfolgerung ist, dass die ganze Aufregung ein
inszenierter Schwindel – um nicht zusagen ein Komplott –
ist, um Jeremy Corbyn und die prinzipientreue linke
Politik, die er vertritt, aus der britischen
Öffentlichkeit zu verdrängen. Aber selbst wenn die
Unterstellungen wahr wären, bestünde die Lösung
mitnichten in der Einschränkung der Meinungsfreiheit in
der Labour Party.
Die linksliberale Tradition hat der Wahrheit einen
einzigartigen, fundamentalen Wert beigemessen; aber zur
Wahrheit dringt man nicht vor, wenn Abweichler, so
anstößig sie auch erscheinen mögen, zum Schweigen
gebracht werden. Angesichts der belasteten Geschichte
des Antisemitismus einerseits und seiner groben
Manipulation durch jüdische Eliten andererseits mag eine
objektive, unvoreingenommene Einschätzung unerreichbar
scheinen. Dennoch muss sie versucht werden. Die Aussicht
auf einen historischen Sieg der Linken könnte ansonsten
sabotiert werden, da Corbyns Anhänger, sei es aus Angst,
Berechnung oder politischer Korrektheit, es bisher nicht
wagen, das Übel, das sich da abspielt, zu thematisieren.
Das Ausmaß des Antisemitismus, der die britische
Gesellschaft infiziert hat, war über einen längeren
Zeitraum hinweg Gegenstand zahlreicher Umfragen. Diese
Umfragen haben einheitlich, konsistent und unzweideutig
ergeben, dass Antisemitismus 1. seit langem ein
marginales Phänomen in der britischen Gesellschaft ist,
von dem weniger als 10 Prozent der Bevölkerung befallen
sind, 2. weit weniger ausgeprägt ist als die
Feindseligkeit gegenüber anderen britischen Minderheiten
und 3. im Vereinigten Königreich weniger ausgeprägt ist
als fast überall sonst in Europa. Man könnte annehmen,
dass damit die Dinge geklärt seien.
Aber 2017 veröffentlichte das British Institute for
Jewish Policy Research (JPR) eine Studie, die angeblich
die gängige Meinung differenzierter untersuchte, indem
sie die „Wandlungsfähigkeit" des Antisemitismus
untersucht: das heißt, nicht nur den Prozentsatz der
eingefleischten Antisemiten, sondern auch die
Verbreitung von Stereotypen, die Juden
stigmatisieren.[1] Das Ergebis war, dass, während nur 2
bis 5 Prozent der britischen Bevölkerung als Antisemiten
bezeichnet werden können, ganze 30 Prozent mindestens
ein antisemitisches Vorurteil hegen.
Bevor man die Daten der Studie analysiert, sollte man
sich einige Binsenweisheiten in Erinnerung rufen.
Erstens ist eine Verallgemeinerung etwas, das
„allgemein“ als wahr gilt; sie lässt offensichtlich
Ausnahmen zu. Obwohl Engels, der Mühlenbesitzer, seinen
mittellosen Kameraden großzügig unterstützte, hinderte
dies Marx nicht daran, sich über kapitalistische
„Blutsauger" zu verbreiten. Ohne den heuristischen Wert
weitgehender Generalisierungen müsste die Disziplin der
Soziologie ihren Laden dicht machen. Ihr Auftrag ist es,
das Verhalten der zahlreichen die Gesellschaft
durchwirkenden Gruppen und Untergruppen im Großen und
Ganzen abzubilden und vorherzusagen. Zweitens unterliegt
jede nationale/ethnische Gruppe Verallgemeinerungen:
„Die Franzosen sind...", „Die Italiener sind...", „Die
Deutschen sind...." ... Diese Verallgemeinerungen
reichen von mehr oder weniger schmeichelhaften bis hin
zu geradezu bösartigen, von mehr oder weniger gültigen
bis hin zu völlig falschen. Es sollte auch klar sein,
dass, wenn die meisten positiven Verallgemeinerungen
keinen Widerspruch hervorrufen, dann sollten die meisten
negativen es auch nicht. Die Tatsache, dass Vorurteile
über Juden die gesamte Bandbreite umfassen, ist kaum
Grund zur Beunruhigung; es wäre überraschend, wenn es
nicht so wäre.
Tatsächlich schlägt das JPR keinen Alarm. Während einige
Antisemitismus-Kolporteure seine Ergebnisse übernahmen,
versuchten die Forscher selbst, eine andere Frage zu
beantworten:
„Warum scheinen die innerhalb der jüdischen Bevölkerung
Großbritanniens registrierten Ängste bezüglich der
Ausbreitung des zeitgenössischen Antisemitismus nicht
übereinzustimmen mit dem geringen Ausmaß antisemitischer
Ansichten in der britischen Allgemeinbevölkerung?"[2]
Die Studie stellt fest, dass, wenn britische Juden große
Ängste äußern, selbst wenn es immer weniger Antisemiten
gibt, sie aus der weiten Verbreitung antisemitischer
Stereotype in der britischen Gesellschaft resultieren:
„Diese Verbreitung macht die gegenwärtigen jüdischen
Sorgen um den Antisemitismus bis zu einem gewissen Grade
verständlich"[3] Aber ist das nicht eine übereilte
Schlussfolgerung? Wenn Bewohner von Salem,
Massachusetts, große Angst vor Hexen hatten, wenn
Amerikaner große Angst vor Kommunisten hatten, wenn
weiße Südstaatler große Angst vor schwarzen
Vergewaltigern hatten, wenn Deutsche große Angst vor
einer „jüdisch-bolschewistischen“ Verschwörung hatten,
und auch wenn Christen große Angst vor jüdisch-rituellen
Kindermördern hatten – wenn also eine Angst weit
verbreitet ist, dann folgt daraus nicht
notwendigerweise, ja, ist es nicht einmal
wahrscheinlich, dass es eine rationale Angst ist. Sie
könnte ebenso plausibel durch mächtige soziale Kräfte
hervorgerufen worden sein, die von einer gezielt
konstruierten Paranoia profitieren. Oder, wie im
vorliegenden Fall, könnte sie aus einer jüdischen
Überempfindlichkeit – angesichts der historischen
Erfahrung nur allzu verständlich – zu einem
Phantom-Antisemitismus führen (siehe Woody Allens Annie
Hall).
Die JPR-Studie listet sieben Stereotype auf. Wenn sie
als antisemitisch bestimmt werden, so die Forscher,
liege das daran, dass Juden sie verletzend finden: „Von
einigen Vorstellungen weiß man, dass sie bei Juden als
antisemitisch empfunden werden, und diese Studie nimmt
eine jüdische Perspektive ein als Ausgangspunkt
hinsichtlich dessen, was Antisemitismus ausmacht."[4]
Aber eine Verallgemeinerung kann nun mal verletzend wie
auch wahr sein, da sie in Wahrheit oft einer bitteren
Pille gleichkommt. Wenn die verletzende
Verallgemeinerung wahr ist, dann kann sie – insofern als
der Begriff antisemitisch ein irrationales Ansinnen
signalisiert – nicht antisemitisch sein. Vor etwa 20
Jahren schrieb Daniel Jonah Goldhagen ein Buch, in dem
er behauptete, dass der Nazi-Holocaust seinen Ursprung
in einer tief verwurzelten deutschen Veranlagung zur
Ermordung von Juden habe. Wäre das wahr, ließe seine
These sich nicht als „antiteutonisch“ bezeichnen: „Es
gibt keinen offensichtlichen Grund für die Ablehnung von
Goldhagens These", bemerkte der Schreiber dieser Zeilen
damals. „Sie ist in sich weder rassistisch noch sonstwie
illegitim. Es gibt keinen augenscheinlichen Grund, warum
eine Kultur nicht von einem fanatischen Hass erfüllt
sein könnte"[5] Auch wenn Deutsche bei dieser ihrer
Charakterisierung unangenehm berührt sein mögen, sie in
der Tat als extrem beleidigend empfinden, wenn die
Fakten sie bestätigen, dann kann man nicht sagen, dass
sie in irrationaler Böswilligkeit wurzelt. Allerdings
untermauerten die von Goldhagen vorgelegten Beweise
seine These nicht, aber das ist eine andere
Angelegenheit.
Betrachten wir nun einige der in der JPR-Studie
versammelten Vorurteile, um die Verbreitung des
britischen Antisemitismus einzuschätzen:
Juden denken, dass sie besser sind als andere Menschen
Zwischen ihrem weltlichen Erfolg auf der einen Seite und
ihrem religiösen Auserwähltsein auf der anderen Seite
glauben die Juden selbst in der Tat an die Überlegenheit
ihrer Gruppe. Ist das nicht der Grund, warum sie stolz
sind auf den jüdischen Stammbaum der wegweisenden
Gestalten der Moderne – Marx, Einstein und Freud – sowie
von 20 Prozent der Nobelpreisträger? Was ein jüdisches
Kind erbt, ist „kein Gesetzeskanon, kein Wissensschatz,
keine Sprache und letzten Endes auch kein Gott", stellte
der bedeutende jüdische Schriftsteller Philip Roth
einmal fest, „sondern eine Art Psychologie, und diese
Psychologie lässt sich in drei Worte übersetzen: „Juden
sind besser". Ein prominenter jüdisch-amerikanischer
Gelehrter tat schamlos kund: „Juden wären keine
Menschen, wenn sie sich jeder Vorstellung von
Überlegenheit ganz und gar enthalten hätten", und: „Es
ist für amerikanische Juden außerordentlich schwierig,
vom Gefühl der Überlegenheit ganz abzusehen, so sehr sie
auch versuchen mögen, es zu unterdrücken"[6] Unter der
Überschrift „Sind Juden klüger?" verbreitete sich ein
populäres amerikanisches Magazin über den entsprechenden
genetischen Nachweis.[7]
Damit dies nicht als befremdlicher
amerikanisch-jüdischer Dünkel eingeordnet wird,
spekuliert der prominente anglo-jüdische Autor Howard
Jacobson, dass der Antisemitismus im Kern das
Ressentiment der Nicht-Juden gegenüber der jüdischer
Intelligenz sei: „Freud argumentiert, dass die Juden....
ihre mentale und intellektuelle Seite überentwickelt
hätten... Wir alle haben unsere je eigenen
Überheblichkeiten, und das hier ist der jüdische Dünkel.
Aber die Vorstellung vom Juden als geistig
überentwickelt ist einer der Gründe, warum die
Menschheit sich in einer ständigen Auseinandersetzung
mit uns befindet. Wir gaben der Welt Ethik, Moral, das
geistige Leben, was sie uns nie verzeihen wird"[8] Wenn
es Antisemitismus ist zu glauben, dass „Juden denken,
sie seien besser als andere Menschen", dann scheinen die
meisten Juden in der Tat von diesem Virus befallen zu
sein.
Juden instrumentalisieren die Holocaust-Opferrolle für
ihre eigenen Zwecke
Der redselige israelische Außenminister Abba Eban soll
einmal gescherzt haben: „Es gibt kein Business wie das
Shoah-Business." Aber als der Schreiber dieser Zeilen im
Jahr 2000 ein kleines Buch veröffentlichte mit dem
Titel: Die Holocaust-Industrie: Wie das Leid der Juden
ausgebeutet wird,[9] rief es eine Flut von Ad
Hominem-Angriffen aus. „Es ist vielleicht zu einfach,
einen Kritiker wie Finkelstein als selbsthassenden Juden
abzuschreiben", meinte Jonathan Freedland im Guardian,
aber das hielt ihn nicht davon ab, genau diesen
schäbigen Pfad zu beschreiten: „Finkelstein nimmt den
Antisemiten die Arbeit ab", er sei in der Tat „näher bei
den Menschen, die den Holocaust verursachten, als bei
denen, die unter ihm litten"[10] Es ist nicht
verwunderlich, dass Freedland jetzt zu denen gehört, die
Corbyn wegen seines angeblichen Antisemitismus anklagen.
Wie dem auch sei, seit der feindlichen Rezeption des
Buches sind fast zwei Jahrzehnte vergangen, und
inzwischen sorgt seine These nicht einmal mehr für ein
Stirnrunzeln, da sie zum Klischee geronnen ist.
Sei es, um einen weiteren Aggressionskrieg oder ein
weiteres Massaker an Zivilisten zu rechtfertigen, sei
es, um einen weiteren Schrottfilm über den Holocaust
oder noch einen Schundroman über den Holocaust zu
vermarkten, Juden haben nicht gezögert – ganz im
Gegenteil – sich in den sakrosankten Mantel des
jüdischen Märtyrertums zu hüllen. Ein Buch des
ehemaligen Präsidenten des israelischen Parlaments,
Avraham Burg, in dem die Fixierung Israels auf den
Holocaust angeprangert wird, verweist beiläufig auf „die
Shoah-Industrie". Sie „verwandelt bohrenden Schmerz in
Hohlheit und Kitsch" – stellt Burg fest – und sie
relativiert die israelischen Verbrechen: „Amerikanische
Juden wie Israelis hissen die Shoah-Fahne hoch in den
Himmel und nutzen sie politisch aus...... Alles wird mit
der Shoah verglichen, von der Shoah in den Schatten
gestellt, und deshalb ist alles erlaubt – seien es
Zäune, Belagerungen.... Nahrungsmittel- und
Wasserentzug. . . . Alles ist erlaubt, weil wir die
Shoah durchgemacht haben, und es ist nicht an euch, uns
zu sagen, wie wir uns verhalten sollen"[11] Ist Burg
etwa des Antisemitismus schuldig?
Juden haben in Großbritannien zu viel Macht
Die drei reichsten Briten sind Juden.[12] Juden machen
nur 0,5 Prozent der Bevölkerung aus, aber ganze 20
Prozent der 100 reichsten Briten.[13] Bezogen sowohl auf
die allgemeine Bevölkerung als auch auf andere
ethno-religiöse Gruppen sind britische Juden insgesamt
überproportional wohlhabend, gebildet und beruflich
erfolgreich.[14] Diese Daten entsprechen ziemlich genau
dem Bild andernorts. Juden machen nur 2 Prozent der
US-Bevölkerung aus, aber 30 Prozent der 100 reichsten
Amerikaner, und unter den religiösen Gruppen genießen
Juden das höchste Haushaltseinkommen.(15) Juden machen
weniger als 0,2 Prozent der Weltbevölkerung aus, aber
unter den 200 reichsten Menschen der Welt sind 20
Prozent jüdisch.[16] Juden sind unvergleichlich gut
organisiert, da sie eine Vielzahl von
ineinandergreifenden, sich überschneidenden und sich
gegenseitig verstärkenden kommunalen und
Verteidigungsorganisationen geschaffen haben, die sowohl
im nationalen als auch im internationalen Bereich tätig
sind. In vielen Ländern, nicht zuletzt in den USA und
Großbritannien, nehmen Juden strategische Positionen in
der Unterhaltungsindustrie, der Kunst, im Verlagswesen,
in den Medien, im akademischen Bereich, in Justiz und
Regierung ein. „Juden werden in Großbritannien in einer
Zahl repräsentiert, die ein Vielfaches ihres
Bevölkerungsanteils ausmacht", stellt der
britisch-israelische Journalist Anshel Pfeffer fest, „in
beiden Häusern des Parlaments, auf der Sunday Times
Reichen-Liste, in den Medien, den Wissenschaften, an
Universitäten und in fast jedem Bereich des öffentlichen
Lebens"[17] Es wäre geradezu ein Wunder, wenn diese
Ausgangsdaten nicht übergroßer politischer Macht der
Juden entsprechen würden. Das in Israel ansässige Jewish
People Policy Planning Institute frohlockt, dass „das
jüdische Volk sich heute auf einem historischen Zenit
der Vermögensbildung befindet" und „noch nie so mächtig
war wie heute"[18] Es ist ganz gewiss legitim, die
Reichweite dieser politischen Macht zu hinterfragen und
ob sie überdehnt wurde,[19], aber es kann nicht richtig
sein, wesentliche sozioökonomische Fakten zu leugnen
(oder zu unterdrücken).
Wenn praktisch alle Mitglieder des US-Kongresses wie
defekte Schachtelteufel aufspringen und einem
israelischen Staatschef, der unter dreister und
abstoßender Missachtung des amtierenden US-Präsidenten
ins Kapitol gestürmt ist, eine stehende Ovation nach der
anderen bereiten, dann ist es doch nicht unangemessen zu
fragen: Was zum Teufel ist hier los?[20] Ohne die
übergroße Macht der britischen Juden wäre es schwer
vorstellbar, dass die britische Gesellschaft unablässig
einem Schreckgespenst nachjagen würde. Es ist wahr, dass
sich – obwohl der Schlachtruf „Kampf dem Antisemitismus“
lautet – um diese vermeintliche Ursache herum eine
Vielzahl von mächtigen, etablierten sozialen Kräften
zusammengetan hat, die gemäß ihren nicht gerade geheimen
Absichten agieren. Es lässt sich jedoch nicht leugnen,
dass jüdische Organisationen die vergiftete Spitze
dieses Speers bilden.
Man könnte immer noch fragen: aber ist das nicht „zu
viel" Macht? Betrachten wir folgende Fakten. Jeremy
Corbyn ist der demokratisch gewählte Vorsitzende der
Labour Party. Sein Einfluss nahm enorm zu und rüttelte
die Reihen der Partei auf. Corbyn hat sein Leben ganz
dem Kampf gegen den Rassismus verschrieben; man findet
ihn – ähnlich wie den sprichwörtlichen
Gewerkschaftsführer Joe Hill – dort, wo Arbeiter
streiken und sich organisieren. Nach britischen und
sogar globalen Führungsstandards gibt er eine geradezu
sakrosankte Figur ab.
Auf der anderen Seite haben zumeist ungewählte jüdische
Persönlichkeiten[21] Corbyns Namen in den Dreck gezogen,
ihn verleumdet und diffamiert. Sie haben sich geweigert,
Corbyn zu treffen, obwohl er ihnen wiederholt
Olivenzweige entgegengestreckt und substantielle
Kompromisse angeboten hat[22] Stattdessen stellen sie
„Friss, Vogel, oder stirb“- Ultimaten. Es passt, dass
Juden die Labour Party größtenteils nicht unterstützen,
selbst wenn sich an der Spitze der Parteiliste ein Jude
befindet (Ed Miliband 2015). Dennoch finden es diese
frömmelnd-aufgeblasenen kommunalen Führer nicht
ungebührlich oder gar verfehlt, aus der Ferne und von
oben herab die parteiinterne Politik von Labour zu
diktieren. Die verstorbene Mutter des Autors dieser
Zeilen meinte: „Es ist kein Zufall, dass Juden das Wort
Chuzpe erfunden haben."
Das durchsichtige Motiv hinter dieser zynischen Kampagne
ist die Dämonisierung Corbyns, nicht weil er ein
„verdammter Antisemit" ist, sondern weil er ein
prinzipientreuer Verfechter der palästinensischen Rechte
ist. Allerdings geht es bei Corbyns Kandidatur nicht nur
um Palästina oder gar die britische Arbeiterklasse. Er
ist ein Hoffnungsstrahl für Obdachlose, Hungrige und
Hoffnungslose, Verachtete, Unterdrückte und Mittellose
überall. Wenn Corbyns Verleumder erfolgreich sind, wird
der Schimmer der Möglichkeit, den er verkörpert, von
einer Bande moralischer Erpresser ausgelöscht sein.
Ist es also Antisemitismus zu glauben, dass „Juden in
Großbritannien zu viel Macht haben" - oder ist es nicht
schlicht gesunder Menschenverstand? (Es ist sicher eine
Frage für sich und keine, die sich leicht lösen lässt,
wie man diese Machtverzerrung beheben kann, ohne die
demokratischen Rechte von irgendjemandem zu
beeinträchtigen.) Ist es dennoch nicht antisemitisch zu
verallgemeinern, dass "Juden" ihre Macht missbraucht
haben? Aber selbst wenn man konzediert, dass ein Teil
von ihnen manipuliert oder betrogen wurde, scheint es
tatsächlich, als würden britische Juden im Allgemeinen
die anti-Corbyn‘sche Dampfwalze unterstützen. Wenn dies
tatsächlich eine irrige Ansicht ist, wessen Schuld ist
es dann? Die unausgesprochene Botschaft des
beispiellosen gemeinsamen Leitartikels auf der
Titelseite der großen jüdischen Zeitschriften war:
Britische Juden sind sich einig – Corbyn muss gehen! Ist
es antisemitisch, diese jüdischen Organisationen beim
Wort zu nehmen?
Das Fazit ist, dass die JPR-Studie die
„Wandlungsfähigkeit" des Antisemitismus in der
britischen Gesellschaft eben nicht belegt. Ein paar der
verhetzenden Aussagen, die sie testet, deuten wohl auf
Antisemitismus hin - „Der Holocaust ist ein Mythos",
„Der Holocaust wurde übertrieben" – aber nur ein kleiner
Teil der Briten (2 bzw. 4 Prozent) unterschreibt sie.
Natürlich gibt es Antisemitismus in der britischen
Gesellschaft, aber die JPR hat die Beweise über den
Knackpunkt hinaus ausgedehnt. Es gibt keinen Grund, an
den herkömmlichen Umfragedaten zu zweifeln, die seine
Häufigkeit auf unter 10 Prozent der britischen
Gesellschaft beziffern.
Selbst wenn die JPR-Studie der Prüfung standhielte,
würde sie immer noch nicht beweisen, dass der
Antisemitismus die britischen Juden bedroht. Inmitten
des ekelhaften, ununterbrochenen Spektakels der
solipsistischen, narzisstischen, selbstbemitleidenden
Nabelschau wäre eine Realitätskontrolle angebracht.
Würden populäre Vorurteile entlang eines Spektrums von
gut- bis bösartig dargestellt, wären die meisten
antisemitischen Stereotype in der Nähe des gutartigen
Endes zu positionieren, während sich jene von wirklich
unterdrückten Minderheiten am anderen Ende ansammeln
würden.
Ja, Juden müssen den Ruf ertragen, geizig, aufdringlich
und ethnozentriert zu sein - aber Muslime werden als
Terroristen und Frauenfeinde dargestellt, Schwarze
werden als chronisch faul und genetisch dumm verachtet,
und Roma/Sinti werden als schmutzige Bettler und Diebe
gehasst. Auch erleiden die Juden nicht die
Benachteiligungen, die mit einer tatsächlichen
Opferrolle einhergehen. Wie vielen Juden qua Juden wurde
ein Job oder eine Wohnung verweigert? Wie viele Juden
wurden von der Polizei erschossen oder widerrechtlich
ins Gefängnis geworfen? Während Schwarzer oder Muslim zu
sein, die Türen schließt, öffnet Jüdischsein sie. Wenn
Weiße, die Machtzentren besetzen, zugunsten anderer
Weißer diskriminieren und Männer, die Machtzentren
besetzen, zugunsten anderer Männer diskriminieren, wäre
es überraschend, wenn überwiegend erfolgreiche Juden
nicht zugunsten anderer Juden diskriminieren würden. Es
ist nicht nur keine soziale Bürde mehr, jüdisch zu sein,
sondern es bringt sogar gesellschaftliches Prestige mit
sich.
Während es einst für einen Juden ein Schritt nach oben
war, in eine herrschende Elitenfamilie einzuheiraten,
scheint es heute für die herrschende Elite ein Schritt
nach oben zu sein, in eine jüdische Familie
einzuheiraten. Ist es nicht bezeichnend, dass sowohl
Präsident Bill Clintons Stolz und Freude, Chelsea, als
auch Präsident Donald Trumps Stolz und Freude, Ivanka,
Juden geheiratet haben?
Die sich selbst beweihräuchernde Autorität Barnaby Raine
dreht ihre Runden im britischen Talk-Show-Kreis und
sinniert, dass „es ein sehr, sehr ernstes Problem mit
dem Antisemitismus in der britischen Gesellschaft gibt".
(Abgesehen davon, dass er ein „stolzer britischer Jude"
ist und einst als „kike" [Schimpfwort für Jude]
bezeichnet wurde, fällt es schwer, die Basis für seine
selbstgewissen Äußerungen auszumachen.)
Bertrand Russell schrieb einmal über Trotzki: „Er sieht
sehr gut aus mit seinem bewundernswert gewellten Haar;
man merkt, dass er für Frauen unwiderstehlich ist."
Ähnliches kann man mehr oder weniger von Barnaby dem
Bolschewiki sagen - oder zumindest von dem Ideal, nach
dem er strebt. Die Frage ist letztlich: Würde er es
vorziehen, hässlich und kahl zu sein oder heute in
Großbritannien jüdisch zu sein? Dies ist keine triviale
oder augenzwinkernde Frage. Tatsache ist, dass diese
physischen Stigmata sowohl persönlich als auch beruflich
tausend Mal schwerer wiegen als das Kreuz zu tragen, als
Jude geboren zu sein. Wenn das nicht existierende
Antisemitismusproblem den Rang eines "sehr, sehr ernsten
Problems" im Vereinigten Königreich einnimmt, dann
dürfen sich die Briten überaus glücklich schätzen.
Tatsächlich würde sich die Corbyn-Kandidatur erübrigen,
da das Gelobte Land ja bereits erreicht ist.
„Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit
erinnern können", so die berühmte Warnung George
Santayanas, „sind dazu verdammt, sie zu wiederholen."
Sollten Juden angesichts der Katastrophe, die sie
während des Zweiten Weltkriegs heimgesucht hat, nicht
das Schlimmste annehmen und sich darauf vorbereiten, und
kann man sie wirklich wegen ihrer diesbezüglichen
Hypersensibilität verurteilen? Selbst wenn die Anzeichen
dafür momentan schwach sind, lässt sich nicht leugnen,
dass es hier geschehen könnte. Wenn die Verfügbarkeit
von Mitteln, Zeit und Energie unendlich wäre, könnte ein
solches Argument überzeugen. Aber das sind sie nicht.
„Ökonomie der Zeit", bemerkte Marx in den Grundrissen,
"darauf reduziert sich letztlich die gesamte Ökonomie."
Was auch immer an Zeitaufwand in dieser Hinsicht
betrieben wird, bedeutet weniger Zeitaufwand in anderer
Hinsicht.
Kann man ernsthaft behaupten, dass angesichts der
vielfältigen nationalen und globalen Krisen, die die
britische Gesellschaft heimsuchen – von Obdachlosigkeit,
Gesundheitsversorgung und Arbeitslosigkeit bis hin zu
Brexit, Atomwaffenproliferation und Klimawandel –, der
Antisemitismus auf der Liste der dringlichen
Angelegenheiten, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern,
weit oben steht, dass die begrenzten Ressourcen, über
die Großbritannien verfügt, um hier und jetzt anstehende
Fragen von Leben und Tod anzugehen, stattdessen in die
Bekämpfung nebulöser apokalyptischer Zukunftsszenarien
umgeleitet werden sollten?
Aber die Wahrheit ist, dass die jüdischen Eliten keinen
Augenblick lang glauben, dass Antisemitismus ein
brennendes Thema ist. Wenn sie wirklich befürchteten,
dass er eine klare und gegenwärtige Gefahr jetzt oder in
absehbarer Zeit darstellt, würden sie nicht
hinausposaunen, dass Corbyn ein „verdammter Antisemit"
sei. Denn wenn es im Vereinigten Königreich von
heimlichen Antisemiten nur so wimmelte, dann würde die
Verbreitung dieser Beschuldigung Corbyn logischerweise
kostenlose Werbung verschaffen, da sie in den Ohren
potenzieller Wähler angenehm widerhallen würde. Weit
davon entfernt, ihm zu schaden, könnte ihre Verbreitung
Corbyns Sieg gar erleichtern und den Weg bereiten für
einen zweiten Holocaust.
Jüdische Organisationen wissen ganz im Gegenteil sehr
genau, dass die Verunglimpfung Corbyns als Antisemit
seine Attraktivität drastisch verringern würde, da
Antisemitismus nur bei mancherlei Ewiggestrigen,
Ignoranten und Minderbemittelten ankommt. Mit anderen
Worten, der unwiderlegbare Beweis dafür, dass Corbyns
Verfolger kein Wort von dem glauben, was sie sagen, ist,
dass sie hoffen und erwarten, ihn zu isolieren, indem
sie ihn als Antisemiten verunglimpfen.
Da die Beschuldigung jedoch offenkundig eine Irreführung
ist, könnte es auch sein, dass die gegenwärtige Hysterie
an den meisten Menschen völlig vorbeigeht, nicht weil
ihnen der Antisemitismus gleichgültig wäre, sondern weil
er für sie kaum ein Thema ist. Wenn die Kontroverse
Wirkung zeitigen sollte, wird sie sich darauf
beschränken, die Spaltungen in der Labour-Führung zu
verschärfen und vielleicht auch die allgemeine
Wahrnehmung zu verstärken, dass die von den
Mainstream-Medien veröffentlichten Geschichten ‚fake-news‘,
gefälschte Nachrichten, sind.
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